Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Stifterkultur ist in Deutschland verloren gegangen
Jakob Fuggers Tat, eine Sozialsiedlung zu gründen, leuchtet durch die Geschichte. Heute steht im Grundgesetz, dass Eigentum verpflichtet: Aber wozu?
Eigentum verpflichtet, heißt es im Grundgesetz. Ein wunderbarer Satz, ein wunderbarer Gedanke wie aus einer anderen Zeit. Nur folgen daraus leider keine weiteren gesetzlichen Regelungen, weshalb Eigentum erst einmal Eigentum in Deutschland ist, mit dem jeder verfahren kann, wie er will, so er keine Gesetze übertritt. Es verpflichtet tatsächlich zu nichts.
Was das sein könnte, zu was Eigentum, zu was Reichtum verpflichten könnte, das zeigt auf wunderbare Weise das Beispiel Jakob Fuggers. Vor 500 Jahren war er so reich, wie heute Jeff Bezos und Bill Gates nicht einmal zusammen sind. Mehr ging nicht. Was von Fugger geblieben ist und weshalb man diesen Familiennamen auch heute noch kennt, hat allerdings einen anderen Grund: Fugger war nicht nur schwerreich, sondern auch ein großer Stifter. Vor allem anderen und weithin bekannt ist die Fuggerei, die älteste Sozialsiedlung der Welt, die dank der starken Familientradition noch immer in Fuggerhand ihr 500-jähriges Bestehen feiern kann. Damit sind die Fugger ein leuchtendes Beispiel für eine Kultur des Stiftens, die es in Deutschland einmal gab.
Was historisch bleibt und für den langen Ruhm der Familie gesorgt hat, war nicht das Geld, das sie einmal besaß, sondern diese Stiftertat und die daraus entstehende Tradition. Und natürlich hat Jakob Fugger damals nicht nur selbstlos gehandelt, natürlich glaubte er, dass die Gebete, die die Bewohner der Fuggerei für ihn täglich sprechen mussten, seinem Seelenwohl in den himmlischen Gefilden dienten. Die Fuggerei war in gewissem Sinn auch ein Geschäft, aber ein vor allem für die Bedürftigen gewinnbringendes.
So etwas kann also passieren, wenn sich ein Eigentümer von seinem Eigentum verpflichtet fühlt. Damals waren Arme noch auf Wohltaten angewiesen, weil die Idee des Sozialstaats noch nicht in der Welt war. Heutzutage ist in Europa Mäzenatentum wie dieses durch Gesetze und ein staatliches Transfersystem ersetzt worden. Nicht mehr der gute Wille eines Einzelnen ist nötig, um eine Wohltat zu erhalten, vielmehr garantieren die Staaten einen Mindeststandard zum Leben, der Bedürftigen bereitgestellt wird. Und diejenigen, die reichlich Eigentum zum Verteilen haben, beteiligen sich daran überproportional, indem sie mehr Steuern zahlen.
Jedenfalls in der Theorie. Denn schaut man sich an, mit welcher Kreativität Steuervermeidung betrieben wird, liest man noch einmal in den Recherchen zu den Panama Papers nach, wie viel Kapital weltweit Oasen gefunden hat, an denen nie ein Finanzbeamter vorbeischaut, gigantisch viel Kapital, begreift man, dass die staatliche Fürsorge Fluch und Segen zugleich ist. Segen, weil Arme oder Geringverdiener nicht betteln müssen, sondern gesetzliche Ansprüche auf Hilfe haben; Fluch, weil diejenigen, die durch Eigentum, durch Reichtum verpflichtet wären, mehr zu zahlen, versuchen, möglichst wenig versteuern zu müssen: Dem Staat gibt man nicht gern. Wer viel Steuern entrichtet, erhält kein soziales Prestige, sondern wird bemitleidet – auch als Dummkopf.
Wer heute auf Jakob Fugger und sein Vermächtnis blickt, ahnt, dass etwas im Argen liegt – vor allem, wenn die Schere von Arm und Reich wieder spürbar auseinandergeht. Wenn Superreiche heute von sich als Großstifter reden machen, dann kommen sie in der Regel nicht aus Deutschland, sondern aus den USA – etwa die aus dem Milliardärsklub „The Giving Pledge“, dessen Mitglieder dem Vorbild von Bill Gates folgen und sich verpflichten, mindestens die Hälfte ihres Vermögens zu spenden. Vorbildhaft. Wobei sofort eingeschränkt werden muss, dass die USA ihre Reichen so gut wie nicht besteuern.
Staatliche Fürsorge ist Fluch und Segen zugleich