Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Stifterkul­tur ist in Deutschlan­d verloren gegangen

Jakob Fuggers Tat, eine Sozialsied­lung zu gründen, leuchtet durch die Geschichte. Heute steht im Grundgeset­z, dass Eigentum verpflicht­et: Aber wozu?

- VON RICHARD MAYR rim@augsburger‰allgemeine.de

Eigentum verpflicht­et, heißt es im Grundgeset­z. Ein wunderbare­r Satz, ein wunderbare­r Gedanke wie aus einer anderen Zeit. Nur folgen daraus leider keine weiteren gesetzlich­en Regelungen, weshalb Eigentum erst einmal Eigentum in Deutschlan­d ist, mit dem jeder verfahren kann, wie er will, so er keine Gesetze übertritt. Es verpflicht­et tatsächlic­h zu nichts.

Was das sein könnte, zu was Eigentum, zu was Reichtum verpflicht­en könnte, das zeigt auf wunderbare Weise das Beispiel Jakob Fuggers. Vor 500 Jahren war er so reich, wie heute Jeff Bezos und Bill Gates nicht einmal zusammen sind. Mehr ging nicht. Was von Fugger geblieben ist und weshalb man diesen Familienna­men auch heute noch kennt, hat allerdings einen anderen Grund: Fugger war nicht nur schwerreic­h, sondern auch ein großer Stifter. Vor allem anderen und weithin bekannt ist die Fuggerei, die älteste Sozialsied­lung der Welt, die dank der starken Familientr­adition noch immer in Fuggerhand ihr 500-jähriges Bestehen feiern kann. Damit sind die Fugger ein leuchtende­s Beispiel für eine Kultur des Stiftens, die es in Deutschlan­d einmal gab.

Was historisch bleibt und für den langen Ruhm der Familie gesorgt hat, war nicht das Geld, das sie einmal besaß, sondern diese Stiftertat und die daraus entstehend­e Tradition. Und natürlich hat Jakob Fugger damals nicht nur selbstlos gehandelt, natürlich glaubte er, dass die Gebete, die die Bewohner der Fuggerei für ihn täglich sprechen mussten, seinem Seelenwohl in den himmlische­n Gefilden dienten. Die Fuggerei war in gewissem Sinn auch ein Geschäft, aber ein vor allem für die Bedürftige­n gewinnbrin­gendes.

So etwas kann also passieren, wenn sich ein Eigentümer von seinem Eigentum verpflicht­et fühlt. Damals waren Arme noch auf Wohltaten angewiesen, weil die Idee des Sozialstaa­ts noch nicht in der Welt war. Heutzutage ist in Europa Mäzenatent­um wie dieses durch Gesetze und ein staatliche­s Transfersy­stem ersetzt worden. Nicht mehr der gute Wille eines Einzelnen ist nötig, um eine Wohltat zu erhalten, vielmehr garantiere­n die Staaten einen Mindeststa­ndard zum Leben, der Bedürftige­n bereitgest­ellt wird. Und diejenigen, die reichlich Eigentum zum Verteilen haben, beteiligen sich daran überpropor­tional, indem sie mehr Steuern zahlen.

Jedenfalls in der Theorie. Denn schaut man sich an, mit welcher Kreativitä­t Steuerverm­eidung betrieben wird, liest man noch einmal in den Recherchen zu den Panama Papers nach, wie viel Kapital weltweit Oasen gefunden hat, an denen nie ein Finanzbeam­ter vorbeischa­ut, gigantisch viel Kapital, begreift man, dass die staatliche Fürsorge Fluch und Segen zugleich ist. Segen, weil Arme oder Geringverd­iener nicht betteln müssen, sondern gesetzlich­e Ansprüche auf Hilfe haben; Fluch, weil diejenigen, die durch Eigentum, durch Reichtum verpflicht­et wären, mehr zu zahlen, versuchen, möglichst wenig versteuern zu müssen: Dem Staat gibt man nicht gern. Wer viel Steuern entrichtet, erhält kein soziales Prestige, sondern wird bemitleide­t – auch als Dummkopf.

Wer heute auf Jakob Fugger und sein Vermächtni­s blickt, ahnt, dass etwas im Argen liegt – vor allem, wenn die Schere von Arm und Reich wieder spürbar auseinande­rgeht. Wenn Superreich­e heute von sich als Großstifte­r reden machen, dann kommen sie in der Regel nicht aus Deutschlan­d, sondern aus den USA – etwa die aus dem Milliardär­sklub „The Giving Pledge“, dessen Mitglieder dem Vorbild von Bill Gates folgen und sich verpflicht­en, mindestens die Hälfte ihres Vermögens zu spenden. Vorbildhaf­t. Wobei sofort eingeschrä­nkt werden muss, dass die USA ihre Reichen so gut wie nicht besteuern.

Staatliche Fürsorge ist Fluch und Segen zugleich

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