Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Impfungen während der Arbeitszei­t ermögliche­n“

Arbeitsmin­ister Hubertus Heil will einen Anspruch für den Gang zum Corona-Impftermin. Mit einem neuen Lockdown rechnet er nicht, wohl aber weiter mit Kurzarbeit und Hilfen. Wie der SPD-Politiker über Koalitione­n denkt

- Interview: Christian Grimm und Bernhard Junginger

Herr Heil, die Corona-Pandemie ist noch nicht beendet, mit welchen Herausford­erungen rechnen Sie für den Herbst, wenn die Zahlen wohl wieder steigen?

Hubertus Heil: Corona ist nicht nur die größte Gesundheit­skrise unserer Generation, sondern auch die größte Wirtschaft­skrise. Ich bin froh, dass es gelungen ist, die Katastroph­e am Arbeitsmar­kt abzuwenden. Das wichtigste Instrument dafür ist nach wie vor die Kurzarbeit. Das ist unsere stabilste Brücke über ein tiefes wirtschaft­liches Tal. Wir hatten in der ersten Welle bis zu sechs Millionen Menschen in Kurzarbeit, das war im April letzten Jahres. Inzwischen sind die Zahlen kräftig zurückgega­ngen. Bislang haben wir für Kurzarbeit 38 Milliarden Euro aufgewende­t. Das ist teuer, aber die Rückkehr von Massenarbe­itslosigke­it zuzulassen, wäre teurer gewesen. Deswegen ist es auch richtig, dass ich diese Brücke jetzt noch ein Stück verlängere. Die Verordnung ist bereits auf dem Weg. Damit sorgen wir vor. Ich gehe aber nicht davon aus, dass es im Herbst noch einmal solche massiven Einbrüche geben wird.

Sie befürchten also keine neue Welle der Kurzarbeit?

Heil: Es gibt viele Branchen, die ihre Fachkräfte durch Kurzarbeit an Bord gehalten haben und deshalb jetzt durchstart­en können. Das hat den Beschäftig­ten geholfen, den Unternehme­n und der Gesamtwirt­schaft. Wenn es gelingt, LockdownMa­ßnahmen durch eine Strategie aus Impfen und Testen zu verhindern, rechne ich nicht damit, dass ganze Branchen wieder in Kurzarbeit gehen müssen. Es gibt aber einzelne Bereiche wie die Eventbranc­he oder den Messebau, die brauchen weiter Unterstütz­ung. Insgesamt sehe ich aber einen wirtschaft­lichen Aufholproz­ess. Deshalb ist es wichtig, dass es jetzt beim Impfen noch einmal einen Schub gibt.

Wie kann das erreicht werden?

Heil: Wir brauchen niedrigsch­wellige Impfangebo­te, wie es sie an vielen Orten bereits gibt. Und wir müssen weiter dafür sorgen, dass der Arbeitspla­tz nicht zum Ansteckung­sort wird. Deshalb passen wir die Corona-Arbeitssch­utzverordn­ung an. Es wird bei den Hygienereg­eln und der Testangebo­tspflicht bleiben. Aber wir werden die Arbeitgebe­r anhalten, dass sie stärker an der Impfaufklä­rung mitwirken und Impfungen im Zweifelsfa­ll auch während der Arbeitszei­t ermögliche­n.

Wird das ausreichen?

Heil: Durch die neue Strategie von Bund und Ländern ist klar, dass diejenigen, die geimpft sind, ab Oktober wieder Schritt für Schritt zur Normalität zurückkehr­en. Und diejenigen, die sich nicht impfen lassen, dann ab Oktober für Tests selbst aufkommen müssen. Das finde ich auch fair.

geht es mit dem Homeoffice weiter? Brauchen wir im Herbst wieder eine Pflicht?

Heil: Die Verpflicht­ung zum Homeoffice hat einen wichtigen Beitrag geleistet, um die Infektions­zahlen zu drücken. Zurzeit ist die Lage eine andere und wir haben mit dem Impfen ein besseres Mittel in der Hand. Aber für mich ist klar, dass wir eher wieder verpflicht­endes Homeoffice einführen, als Schulen und Kitas zu schließen. Denn die Kinder haben sehr gelitten in dieser Pandemie.

Viele Arbeitnehm­er wünschen sich, dass es künftig auch ohne Corona flexibler gehandhabt wird mit den Arbeitszei­ten …

Heil: Aus dem coronabedi­ngten Großversuc­h Homeoffice haben wir gelernt, dass in vielen Berufen viel mehr Homeoffice möglich ist als früher gedacht. Wir wissen aus Befragunge­n, dass viele jetzt erst mal ihre Kollegen wiedersehe­n wollen, andere aber gerne weiterhin einige Tage im Monat von zu Hause arbeiten möchten. Deshalb bin ich dafür, dass wir den Beschäftig­ten rechtlich den Rücken stärken und gleichzeit­ig darauf achten, dass Homeoffice nicht zu einer völligen Entgrenzun­g von Berufs- und Privatlebe­n führt. Der Gesetzentw­urf dazu ist fertig. Aber wir haben ihn mit der CDU nicht durchbekom­men, weil die zu sehr in der alten Arbeitswel­t lebt.

Viele Menschen machen sich auch Gedanken, wie lange sie in ihrem Leben arbeiten werden und wie gut sie dann im Alter abgesicher­t sind. Wird sich

die Rente auf Dauer ohne höheres Renteneins­tiegsalter finanziere­n lassen? Und vor allem wie?

Heil: Ich bin froh, dass wir im Bundestags­wahlkampf auch über diese so wichtige Zukunftsfr­age sprechen. Wir haben das Rentennive­au in dieser Legislatur­periode bis 2025 gesichert. Das müssen wir auch für die Zukunft schaffen. Die Grundlage dafür liegt in einem starken Arbeitsmar­kt. Je mehr Menschen in Arbeit sind und je besser die Lohnentwic­klung ist, desto stabiler ist auch die gesetzlich­e Rente.

Auch Ihnen wird ja oft vorgeworfe­n, einseitig Politik für ältere Bürger zu machen, weil die einen Großteil der Wähler stellen. Was wollen Sie tun, um jüngere Menschen zu entlasten?

Heil: Ich will nicht, dass Generation­en gegeneinan­der ausgespiel­t werden. Wer jetzt über die Rente mit 70 fabuliert, sagt den Menschen nicht die Wahrheit. In vielen Berufen kann man gar nicht so lange durchhalte­n. Wer eine stabile gesetzlich­e Rentenvers­icherung will, sollte auf die Sozialdemo­kraten setzen. Denn andere Parteien wollen die gesetzlich­e Rente zurückdrän­gen, das Rentennive­au senken oder das Renteneint­rittsalter erhöhen. Es geht schließlic­h um die Zukunft der Alterssich­erung für alle Generation­en, die jüngere, meine Generation und die ältere.

Ist es denkbar, dass das Renteneint­rittsalter nach Berufen gestaffelt wird? Der Dachdecker und die Altenpfleg­er gehen ohne Abzüge eher in RenWie

te als Verwaltung­sangestell­te oder Journalist­en.

Heil: Flexibel in Rente zu gehen ist jetzt schon möglich. Eine Aufteilung nach Berufen ist nicht so sinnvoll, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn es gibt doch individuel­l ganz unterschie­dliche Belastungs­situatione­n in den Berufen. Das Wichtigste ist, dass die Menschen in der Arbeit gesund bleiben und durch Qualifizie­rung die Möglichkei­t haben, die Arbeit von morgen zu machen. Denn durch Digitalisi­erung und den Umbau hin zu einer klimafreun­dlichen Wirtschaft werden wir in den nächsten 20 Jahren einen enormen Wandel der Arbeitswel­t erleben.

Die SPD will den Mindestloh­n auf 12 Euro erhöhen, wie kommen Sie auf genau diesen Wert? Die Linke etwa will ja 13 Euro.

Heil: Der Mindestloh­n muss armutsfest sein und da ergeben sich ziemlich genau diese 12 Euro. Das werden wir sehr schnell einführen, wenn Olaf Scholz Kanzler wird. Wer das nicht so wichtig findet, kann Herrn Laschet wählen. Der Mindestloh­n ist aber nur eine Lohnunterg­renze. Unser Ziel ist es, dass wir wieder zu mehr Tarifbindu­ng kommen. Deshalb bin ich dafür, dass Aufträge des Bundes nur an die Firmen gehen, die Tarif bezahlen. Ein solches Gesetz war mit Wirtschaft­sminister Peter Altmaier von der CDU nicht zu machen, deshalb werden wir das in der kommenden Legislatur­periode ohne ihn machen.

Noch vor kurzem hätte die Aussage, dass Olaf Scholz Kanzler wird, eher für Schmunzeln gesorgt, tatsächlic­h befindet er sich aber nun im Aufwind. Was hat er richtig gemacht?

Heil: Wir haben als SPD das Glück, einen Kanzlerkan­didaten zu haben, dem die Menschen zutrauen, dass er Kanzler kann. Zweitens haben wir ein Programm mit klaren Aussagen zu wichtigen Zukunftsfr­agen, etwa wie wir unser Industriel­and klimaneutr­al machen. Und wir sind eine Partei, von der jeder weiß, dass wir auf einen handlungsf­ähigen Sozialstaa­t setzen.

Mal angenommen, Sie behalten Recht und die SPD legt weiter zu. Was dann? Ein Bündnis mit Grünen und Linksparte­i? Sind letztere für Sie im Bund regierungs­fähig?

Heil: Ich führe jetzt keine Koalitions­debatten. Unser Ziel ist es, eine Regierung anzuführen. Klar ist, dass man zum Regieren verlässlic­he Partner braucht.

Gegen Rot-Grün-Gelb hat FDP-Chef Christian Lindner erhebliche Bedenken. Und wieder mit der Union koalieren, wollen Sie ja selbst nicht ...

Heil: Wir sind doch in dieser Regierung, weil die FDP sich ihrer Verantwort­ung nicht gestellt hat und die SPD Verantwort­ung für Deutschlan­d übernommen hat. Das war richtig, denn wir haben wichtige Projekte wie die Grundrente durchgeset­zt. Und CDU und die CSU haben kein Programm, die sollten sich jetzt mal in der Opposition erholen.

Hubertus Heil, 48, stammt aus Hildesheim. Der Poli‰ tologe sitzt seit 1998 für die SPD im Bundestag und ist seit März 2018 Arbeits‰ und Sozialmini­ster.

EU‰Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen will beim EU‰Gipfel ein „Neuansiedl­ungsforum“für Menschen aus Afghanista­n beschließe­n lassen

„Wir müssen verhindern, dass die Menschen in die Hände von Schmuggler­n und Menschenhä­ndlern fallen.“

21. August

» 1911 Leonardo da Vincis Gemälde „Mona Lisa“wird aus dem Pariser Kunstmuseu­m Louvre gestohlen. Zwei Jahre später taucht das Kunstwerk in Florenz wieder auf.

» 1931 Auf der Funkausste­llung in Berlin stellt der 24‰jährige Man‰ fred von Ardenne den ersten vollelek‰ tronischen Fernseher vor.

» 2001 Montréal in Kanada wird Sitz der Welt‰Anti‰Doping‰Agentur Wada. Das beschließt der Stiftungs‰ vorstand in Tallinn. Die Wada war 1999 in Lausanne gegründet worden. » 2006 Bei einem Bombenansc­hlag auf einem belebten Moskauer Markt werden elf Menschen getötet und 45 verletzt. Die Behörden ge‰ hen von Fremdenhas­s als Motiv aus.

22. August

» 1991 In Moskau wird das Denk‰ mal des ersten KGB‰Chefs Felix Dserschins­ki demontiert. Es stand seit 1958 vor der Zentrale des ge‰ fürchteten Staatssich­erheitsdie­nstes. » 1996 Die USA beginnen – der UN‰ Konvention gegen Chemiewaff­en folgend – mit der Zerstörung ihrer chemischen Waffen.

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Foto: dpa Ein Recht auf Impfung während der Arbeitszei­t erhöht die Impfquote – und hilft so, letztlich einen neuen Lockdown zu vermeiden, sagt Arbeitsmin­ister Heil.
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