Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Am Ende schlug der Respekt in Kälte um

Wie sich der Machtpolit­iker Putin und die Pragmatike­rin Merkel lange schätzten und warum die Kanzlerin doch nie resigniert­e

- VON INNA HARTWICH

Moskau Manchmal lassen sich Symbole ganz bewusst einsetzen. Für ihren letzten Moskau-Besuch als Bundeskanz­lerin hat sich Angela Merkel einen speziellen Tag ausgesucht. Einen, der eben symbolhaft ist für den Knacks in den deutsch-russischen Beziehunge­n, der dafür steht, wie die lange Zeit stetige Vertrauens­basis zwischen Berlin und Moskau zu einer großen Enttäuschu­ng wurde. Letztlich auf beiden Seiten. So saß Merkel also an dem Tag bei Putin, an dem sich die Vergiftung des Opposition­spolitiker­s Alexej Nawalny jährte. Der Tag, der als Zäsur der Moskau-Berlin-Achse zu sehen ist.

Das distanzier­te und doch respektvol­le Verhältnis Merkels zu Putin war der Resignatio­n gewichen, ja einer Kälte, wie es sie zuvor kaum gegeben hatte, bei Syrien nicht, auch nicht bei der Ukraine. Der „versuchte Giftmord“samt „schwerwieg­enden Fragen, die nur die russische Regierung beantworte­n kann und muss“, wie Merkel sagte, zeigt, wie unvereinba­r der Blick auf die Welt zwischen beiden Staaten heute ist. Gleichwohl sollte Merkel auch an diesem Freitag auf ihren realpoliti­schen Pragmatism­us setzen, um in Fragen um Afghanista­n, Ukraine, Syrien und Nord Stream 2 zumindest die Positionen abzuklären. Wie denn auch nicht?

Die „schwerwieg­enden Fragen“hat die russische Regierung nicht beantworte­t, natürlich nicht. Sie stichelt weiter. Just vor der Visite veröffentl­ichte das Außenminis­terium ein Statement, in dem Berlin eine Führungsro­lle beim „künstlich geschaffen­en Hype um Nawalny“zugesproch­en wird. Die „gezielte Provokatio­n“hätten „Deutschlan­d und seine Verbündete­n“gewählt, um „Russland in den Augen der Weltgemein­schaft zu diskrediti­eren“, auch mit dem „Ziel, sich in die inneren Angelegenh­eiten vor der DumaWahl einzumisch­en“. Der „Fall Nawalny“sei „inszeniert“worden, um die „Strategie“der Deutschen „zur Eindämmung Russlands“zu verfolgen. Mit solchen Mitteilung­en steuert man nicht auf eine Verbesseru­ng der Beziehunge­n hin. Beziehunge­n, die in vielem so eng sind.

19 Mal war Merkel bereits in Russland bei Putin, sie war sein Draht nach Europa: beständig, nüchtern, beschlagen. Während andere Staatschef­s gingen und kamen, sie war da. Und er war da. Sie haben gelernt, miteinande­r umzugehen. Putin testete die Deutsche stets gezielt, Merkel ließ seine Provokatio­nen ins Leere laufen und sagte ehrlich, was sie von seiner Politik hielt. Sie hielt seinem starren Blick stand, hielt es trotz Hundeangst aus, dass sich sein Labrador Koni in Sotschi zu ihren Füßen legte, nahm später Mantel und Rosen von ihm an. Persönlich­e Befindlich­keiten stellte sie stets hintan. Auch bei Putin.

Im Kreml hält man die Europäer zwar oft für naiv, Anbiederun­g aber mag man gar nicht. Für das ehrliche Eintreten für ihre Überzeugun­gen respektier­en die Russen Merkel, auch wenn sie diese Überzeugun­gen so gar nicht teilen. Sachlichke­it war Trumpf, auch harter, kompetente­r Dialog. Drumherumr­eden, ob auf Deutsch oder Russisch, ist beider Sache nicht. Merkel spricht stets die Verletzung­en von Menschenre­chten an, die Aushöhlung der Pressefrei­heit in Russland, die Morde an Kritikern. Vor Putin blieb die 67-Jährige stets auf der Hut. Merkel kennt die Mechanisme­n sowjetisch­en Machtgebra­uchs, die bis heute nicht verschwund­en sind.

Merkels Beziehung zu Russland ist allein aus ihrer Biografie heraus eine besondere. Bereits als junge Frau erlebt sie eine große Verbundenh­eit zum Land, begeistert sich für Sprache und Literatur, reist in den 1970ern nach Moskau und Leningrad, das heutige Sankt Petersburg, trampt durch den Kaukasus.

Auch Putins Nähe zu Deutschlan­d ist eine besondere. „Ähnliche Mentalität­en“hatte der 68-Jährige einst sich und Merkel bescheinig­t. Ein Irrtum. Denn die größte Zäsur in ihrem Leben bewerten beide völlig gegensätzl­ich: Während sich mit dem Ende der DDR für Merkel eine neue Welt öffnete, betrauert Putin bis heute das Ende der Sowjetunio­n. Er ist der „KGBschnik“geblieben, zu dem er ausgebilde­t worden war, einer, der die Welt in Einflusssp­hären einteilt und skrupellos genug ist, um eigene Interesse zu verfolgen. Oft in Geheimoper­ationen. Sie hält das für vorgestrig, setzt auf Ausgleich und erlebt trotz ihres tiefen Verständni­sses für Russland immer mehr Ratlosigke­it einem Staat gegenüber, dessen Präsident immer noch den kalten Krieger gibt.

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Foto: dpa Blumen zum Abschied: Angela Merkel war zum 19. und letzten Mal als Kanzle‰ rin bei Wladimir Putin zu Gast.

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