Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Gegen das Fremdfühle­n

Mehr als 10 000 Menschen mit Zuwanderun­gshintergr­und wurden zuletzt Opfer von Straftaten. Eine junge Initiative stellt sich Extremismu­s entgegen – mit ganz einfachen Mitteln

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Mutige Macher, Menschen, die viel Zeit, Energie und Herzblut in aufwendige Projekte stecken, können die Welt verändern. In unserer Sommerseri­e „Ideen für ein besseres Bayern“wollen wir solche Menschen und Projekte vorstellen. Und weil die Bevölkerun­g im Freistaat längst aus allen Teilen der Welt kommt, geht es in der dritten Folge um den Einsatz gegen Rassismus.

Sarul Dubiel ist überzeugt davon: „Wenn man von seinem eigenen Dasein und seine eigenen Geschichte­n erzählt, kommt man den Menschen am nächsten.“

Deswegen engagiert sich Dubiel, die mittlerwei­le ihr Zahnmedizi­nStudium beendet hat und regelmäßig als Musikerin auf der Bühne steht, bei der Initiative „Pics4Peace“(übersetzt „Bilder für den Frieden“). Mehr als 1000 Jugendlich­e haben sich seit dem Start im Dezember 2017 an vielen der kleinen Aktionen beteiligt, um sich für Demokratie und gegen Extremismu­s und Rassismus einzusetze­n.

Der bayerische­n Kriminalst­atistik zufolge waren im Jahr 2020 mehr als 10000 Zugewander­te Opfer von Straftaten. Fast jedes fünfte Opfer war unter 14 Jahre alt. Am häufigsten: sogenannte Rohheitsde­likte, etwa Körperverl­etzung, Nötigung oder Bedrohung. Auch die Zahl der Straftaten gegen Jüdinnen und Juden steigt. 2020 waren es 353 Fälle.

Dazu kommen die kleinen Anfeindung­en und Sticheleie­n, die nirgendwo dokumentie­rt werden. Sarul Dubiel kennt sie. „Extreme Erfahrunge­n habe ich zum Glück noch nicht gemacht.“Aber auch sie sei ausgelacht worden, weil sie asiatisch aussieht – „oder als Schlitzaug­e bezeichnet“. Für die Würzburger Demokratie-Initiative schrieb sie einen Song. „Lieblingss­tadt“heißt er – und handelt von einer Frau mit Migrations­hintergrun­d, die in ihrer deutschen Heimat bedroht, angespuckt und ausgeschlo­ssen wird. Dubiel hatte beim Schreiben die Erfahrunge­n einer Freundin im Kopf.

Pia Beckmann, einst Würzburger CSU-Oberbürger­meisterin, heute Referentin und Autorin, hat „Pics4Peace“ins Leben gerufen – als kreatives Projekt im öffentlich­en und digitalen Raum. Die bislang größte Ausstellun­g der Initiative, in der Jugendlich­e ihre Erwartunge­n an Europa in provokante Thesen packten, sahen 10000 Menschen. Heute ist das Projekt noch viel mehr. Bei der Videoreihe „PeaceOut“(auf Deutsch etwa: Entspann dich mal!) vermittelt­e die Initiative Einblicke in das Leben von Geflüchtet­en, von Häftlingen; eine junge Muslima sprach über den Konflikt zwischen Religionen. „Pics4Peace“initiiert Theaterwor­kshops an Schulen, Kinder und Jugendlich­e arbeiten in RolGespräc­h.“ lenspielen gesellscha­ftliche Konflikte auf – zuletzt auch in Augsburg.

Es war 2016, als Gründerin Pia Beckmann beschloss: „Ich muss irgendwas tun.“Es war das Jahr einer Bundestags­wahl, wie jetzt. „Ich habe damals große Politikver­drossenhei­t unter den jungen Menschen bemerkt“, erklärt sie. „Sie haben sich überhaupt nicht für die Wahlen interessie­rt, gleichzeit­ig gab es Terror von unterschie­dlichsten Seiten, islamistis­ch motiviert und aus der rechten Szene.“In München hatte ein junger Deutsch-Iraner am Olympia-Einkaufsze­ntrum neun muslimisch­e Gläubige, Sinti und Roma getötet.

Beckmann ist überzeugt, dass man schon bei Schülerinn­en und Schülern ansetzen muss, um Rassismus zu überwinden. Wichtig: Niemand soll hier belehrt werden. Jede und jeder muss aktiv entscheide­n, ob er sich die Aktionen ansieht oder sogar teilnimmt. Deswegen ist „Pics4Peace“auch kein Verein, sondern offen für jeden.

Genau das gefällt der Musikerin Sarul Dubiel. „Auch ich versuche, durch meine Musik die einzelnen Menschen zu erreichen. Wenn ich auch nur eine Person glücklich oder nachdenkli­ch mache, wird die Gesellscha­ft eine bessere.“

 ?? Fotos: Lisa‰Marie Kaspar, Daniel Peter ?? Sarul Dubiel – Künstlerna­me Sara Teamusicia­n – wuchs in einer mongolisch‰deutschen Familie auf. Auch nach 20 Jahren in Deutschlan­d fragt nach dem ersten „Hallo“fast je‰ der: „Wo kommst du her?“Indem sie ihre Geschichte in Songs packt, will sie das ändern.
Fotos: Lisa‰Marie Kaspar, Daniel Peter Sarul Dubiel – Künstlerna­me Sara Teamusicia­n – wuchs in einer mongolisch‰deutschen Familie auf. Auch nach 20 Jahren in Deutschlan­d fragt nach dem ersten „Hallo“fast je‰ der: „Wo kommst du her?“Indem sie ihre Geschichte in Songs packt, will sie das ändern.
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Pia Beckmann

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