Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Schimpfwörter flogen durch den Raum
Mit Eintracht Frankfurt trifft der Österreicher auf den FC Augsburg. In seinem Buch schreibt der Ex-FCA-Profi über den Streit mit Trainer Baum, seine Spielsucht und Depressionen
Manchmal vergisst man, wie beliebt Martin Hinteregger einmal beim FC Augsburg war. Nicht nur seine Sticheleien gegen den ehemaligen Arbeitgeber, das Fußballkonstrukt in Salzburg oder Leipzig, fanden Anklang bei Augsburgs Anhängerschaft. Diese kann ebenso wenig mit RB und dessen Verständnis eines Sportkonzerns anfangen. Hinteregger erfreute sich Beliebtheit, weil er authentisch wirkte, weil er Fußball aus Fansicht beschrieb und geradeheraus sagte, was er sich dachte. Dass er damit im Aussage scheuenden Profifußballgeschäft anecken würde, war dem Österreicher stets bewusst. Störte ihn aber nicht. Einmal sagte er: „Es wäre schön, wenn man das sagen könnte, was man denkt. Und nicht das, was man sagen muss, damit es ruhig bleibt.“
Hinteregger wusste folglich, welche Tragweite sein Satz im Januar 2019 haben würde. Nach der 0:2-Niederlage gegen Mönchengladbach sagte der damalige FCAAbwehrspieler über seinen damaligen Trainer Manuel Baum: „Ich kann nichts Positives sagen und will nichts Negatives sagen.“Danach kam es zum Bruch zwischen Hinteregger und dem FCA, der Spieler ließ sich zu Eintracht Frankfurt verleihen. Im jüngst erschienenen Buch „Innensicht“erzählt Hinteregger ziemlich detailliert, welche Vorgeschichte seinem folgenreichen Satz vorausgegangen war. Hinteregger schreibt von einem Gespräch mit dem Trainer, Sportdirektor Stephan Schwarz und Sport-Chef Stefan Reuter, das Jeffrey Gouweleeuw, die Außenverteidiger Philipp Max und Jonathan Schmidt sowie er vor dem Gladbach-Spiel geführt hatten. Baum zeigte Bereitschaft, dem Spielerwunsch nach mutigerem Verteidigen zu folgen – ließ aber erneut tief stehendes Abwarten üben. Hinteregger ärgerte das. Wie er im Interview unmissverständlich zeigte.
Noch auf dem Heimflug stellte Baum den Spieler zur Rede, nach der Ankunft im Stadion lieferten sich beide vor versammelter Mannschaft einen lautstarken Disput. Hinteregger schreibt: „Schimpfwörter flogen durch den Raum. Vielleicht hätten wir eine Nacht drüber schlafen müssen, dann wäre unser beider Reaktion wahrscheinlich anders ausgefallen. Das müssen wir uns beide ankreiden.“
Vor dem nächsten Training forderte Reuter Hinteregger auf, sich zu entschuldigen. Doch dieser beharrte auf seinem Standpunkt.
„Nach der Reaktion des Trainers am Vorabend – die ich im Nachhinein verstehe – blieb ich stur, sagte Nein.“Der FCA suspendierte den 28-Jährigen, später verlieh er ihn an Eintracht Frankfurt. Dort betonte der österreichische Nationalspieler nimmermüde, wie gut die Zusammenarbeit mit Trainer Hütter funktioniere und wie wenig er zurück zum FCA wolle – auch wenn Baum dort nicht mehr Trainer war.
Nach seiner Rückkehr provozierte Martin Hinteregger seinen Abgang. Ein Video zeigte ihn während des Trainingslagers betrunken in Kitzbühel, am nächsten Tag fehlte er im Training. Später blieb er einem Fototermin fürs Mannschaftsbild fern. Hinteregger streikte sich zur Eintracht, für neun Millionen Euro ließ der FCA ihn ziehen. Im damaligen Verhalten begründet sich, dass sich vor dem Duell beider Mannschaften (Samstag, 15.30 Uhr/ Sky) Hintereggers Beliebtheit in Augsburg in Grenzen hält. Statt ihn zu feiern, pfeifen ihn Teile der FCA-Fans jetzt aus.
In seinem Buch gibt Hinteregger über 45 Kapitel und 224 Seiten tiefe Einblicke. In seinen Profialltag, vor allem aber in sein Seelenleben. Offen erzählt er von Ängsten, die ihn begleitet haben. Von Depression und Spielsucht. Hinteregger flüchtete sich in eine andere Welt, um der Realität aus dem Weg zu gehen. Er schreibt: „Das Glücksspiel zog mich regelrecht an. Immer mehr. Der Zeitpunkt kam, an dem ich allein ins
Casino ging. Drei Mal die Woche. Auch tagsüber.“
Nach dem Wechsel von Augsburg zu Frankfurt sei er in ein mentales Loch gefallen. Die Folge: Er erkrankte an einer Depression. Hinteregger zieht sogar Parallelen zu
Robert Enke, der sich das Leben nahm. „So weit wäre es bei mir nicht gekommen. Aber es war schon sehr dunkel. Ich war am Limit, wäre wohl komplett abgestürzt.“Von seiner Depression wusste niemand, der Österreicher holte sich Hilfe bei einer Psychologin. Sonst wäre es wohl schlimm ausgegangen, mutmaßt Hinteregger.
Immer öfter thematisieren Profisportler Erfolgsdruck und psychische Belastung, jüngstes Beispiel ist die US-Turnerin Simone Biles, die ihre mentalen Probleme während der Olympischen Spiele in Tokio öffentlich machte. Hinteregger setzt auf einen Effekt. Darauf, dass jüngere Spieler und Menschen abseits des Fußballs für Depressionen sensibilisiert werden. Einen grundsätzlichen Wandel erwartet er aber nicht. „Das wird nicht besser. Nach zwei Tagen hat jeder solche Themen vergessen“, sagte er jüngst in der Sport Bild.
Etwas bewirken kann Hinteregger auf jeden Fall mit seinem Buch. Weil er die Einnahmen an karitative Einrichtungen spendet. Der Reinerlös geht unter anderem an die Arche Frankfurt, an die Stiftung Kindertraum in Österreich und an die Kärntner Kinder-Krebs-Hilfe.