Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Augsburger Afghane bittet OB Eva Weber um Hilfe

Abdul Hakim Sakhizada hat als Dolmetsche­r für die Bundeswehr im Kundus gearbeitet und erhielt 2014 Asyl. Seither lebt er in Augsburg und hat große Angst um seine Familie

- VON MIRIAM ZISSLER

Abdul Hakim Sakhizada sitzt auf einer Bank auf dem Elias-Holl-Platz und weint. Der Afghane macht sich große Sorgen um seine Mutter und die Familien seiner Brüder und Schwestern, die sich in einem Haus in Kabul verstecken. Die Taliban gehen in der afghanisch­en Hauptstadt von Tür zu Tür. Sakhizada hat Angst, dass sie seiner Familie etwas antun. Schon oft wurden seine Familienmi­tglieder wegen ihm bedroht und auch gefoltert. Abdul Hakim Sakhizada hat im Kundus als Ortskraft für die Bundeswehr gearbeitet. Aufgrund eines Vorfalls haben seine Frau und er Asyl in Deutschlan­d erhalten und leben seit 2014 in Augsburg.

Schon oft hat Sakhizada versucht, seine Familie nach Deutschlan­d nachzuhole­n. Er zeigt eine Petition an den Deutschen Bundestag von 2016, einen Schriftwec­hsel mit dem Bundesinne­nministeri­um von 2018 und eine E-Mail der deutschen Botschaft aus Kabul von Anfang August. Gebracht haben all diese Versuche nichts. Der 33-Jährige weiß nicht mehr weiter. Er ist im Kundus geboren und aufgewachs­en. Als die Bundeswehr in die afghanisch­e Provinz kam, wurde sie dort von vielen Afghanen mit offenen Armen empfangen. „Wir haben gesagt, dass das unsere Engel sind, die uns beschützen werden.“Sakhizada, der zuvor Computer- und Englischku­rse gegeben hatte, wurde von der Bundeswehr 2010 als Dolmetsche­r eingestell­t. Es waren unruhige Zeiten. Sakhizada bekam mit, wie deutsche Soldaten angegriffe­n und getötet wurden. In einem afghanisch­en Camp hörte er das Gespräch zweier afghanisch­er Männer mit. Einer versuchte den anderen zu überreden, die deutschen Soldaten zu attackiere­n. Abdul Hakim Sakhizada gab diese Informatio­n an die Bundeswehr und die afghanisch­e Armee weiter, worauf der Mann verhört und verhaftet wurde. „Während seiner Vernehmung von der afghanisch­en Armee wurde er gefoltert. Nach wenigen Monaten war er auf freiem Fuß, weil ja nichts passiert war. Seither sinnt er auf Rache“, berichtet der 33-Jährige.

2014 erhalten seine Frau und er deshalb Asyl in Deutschlan­d. Seither leben sie in Augsburg und haben sich gut integriert, wie Sakhizada betont. Sie wohnen in Oberhausen, von 2017 bis 2019 hat er als pädagogisc­he Hilfskraft jungen, unbegleite­ten Flüchtling­en geholfen. Seit 2019 arbeitet er bei einem Unternehme­n, das Geld- und Werttransp­orte anbietet. Der Afghane spricht fließend Deutsch; nachdem drei seiner vier Mädchen die Schule besuchen, wird seine Frau ab September auch ihre Deutschken­ntnisse verbessern. Sakhizada könnte ein glückliche­s Leben führen. „In Gedanken bin ich aber immer in Afghanista­n“, sagt er.

Schon bald nach seiner Ausreise melden sich immer wieder Taliban bei seinen Familienan­gehörigen und tyrannisie­ren sie, weil sie nicht an

Abdul Hakim Sakhizada herankomme­n. Sie wollten den Aufenthalt­sort wissen, genauere Informatio­nen zu seiner Tätigkeit bei der Bundeswehr. „Einem Bruder sind sie mit einem Baustellen­fahrzeug über seine Beine gefahren, weil er nichts sagen wollte. Seither kann er kaum laufen“, sagt er und zeigt Fotos von einem anderen Bruder, der ausgepeits­cht wurde. Sakhizada ist verzweifel­t. Er weiß, wozu die Taliban fähig sind. Außerdem seien sie gut vernetzt. Dass sie seine Familie in Kabul mit seiner Arbeit bei der Bundeswehr im Kundus in Verbindung bringen könnten, sei nur eine Frage der Zeit. Wenn die Taliban derzeit einen für ihre Verhältnis­se vorsichtig­en Ton anschlügen und mitteilten, dass beispielsw­eise Frauen weiterhin Schulen besuchen und ihrer Arbeit nachgehen könnten, dann sei das nur ein Schachzug. Sakhizada ist überzeugt, dass sie Gegenteili­ges im Sinn haben. „Sie wollen als neue Regierung anerkannt werden.“

Der 33-Jährige bittet nun Oberbürger­meisterin Eva Weber um Hilfe. Sie hat am Mittwoch im Namen der Friedensst­adt angeboten, Ortskräfte und ihre Familie und weiter zu evakuieren­de Personen kurzfristi­g und unbürokrat­isch aufzunehme­n. Das hat ihm Mut gemacht. Nun würde er sich wünschen, dass ihm seine Familie nach Augsburg folgen, er ihnen bei der Integratio­n helfen könnte. „Doch ich weiß gar nicht mehr, an wen ich mich wenden kann. Wie das organisier­t werden könnte“, sagt er. Er ist frustriert. „Die Politiker wüssten schon, was sie machen müssten. Aber wenn das Herz nicht will, dann kann man nichts machen“, sagt er. Seine vielen Anfragen seien in den vergangene­n Jahren „wie ein Ball“von Ministeriu­m zu Ministeriu­m geschickt worden. „Niemand fühlte sich zuständig.“

Dass er damals den Job bei der Bundeswehr angenommen hätte, sei nicht der größte Fehler seines Lebens gewesen. Er habe die Situation in Afghanista­n verbessern wollen. Er sei dankbar für den Einsatz der Bundeswehr gewesen. „Die Politik macht die Fehler“, sagt er.

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Foto: Silvio Wyszengrad Abdul Hakim Sakhizada war für die Bundeswehr in Afghanista­n tätig und lebt heute in Augsburg. Seine Familie ist nun einer Gefahr ausgesetzt.

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