Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Corona verändert Mode und Einkaufsve­rhalten

Kurzfristi­g beschlosse­ne Regeln und neue Kundenbedü­rfnisse machen der Bekleidung­sindustrie zu schaffen, denn diese lebt von langfristi­ger Planung. Deshalb denken viele Augsburger Geschäfte inzwischen um

- VON ELIF BINICI

Die Inhaberin des Augsburger Modegeschä­fts Kaufrausch, Petra Kahn, blickt derzeit gespannt auf die Verlautbar­ungen der Minister und die neuen Corona-Beschlüsse von Bund und Ländern. Aufgrund der hohen Dynamik der Pandemie sieht sich die Politik immer wieder gezwungen, Entscheidu­ngen kurzfristi­g zu fällen. Für die Bekleidung­sindustrie ein Fiasko, denn sie lebt von langfristi­ger Planung. Entspreche­nd leiden Augsburger Unternehme­n dieser Branche nach wie vor unter der Situation – obwohl ihre Geschäfte längst wieder öffnen können.

„Die jeweilige Kollektion muss mindestens ein halbes Jahr vor Beginn der Verkaufssa­ison geordert werden“, sagt Petra Kahn. Die fehlende Planungssi­cherheit seit Beginn der Pandemie mache es ihr schwer, unternehme­rische Entscheidu­ngen zu treffen. „Wir haben uns bereits im Januar mit der Frage auseinande­rsetzen müssen, ob uns im Winter ein Lockdown bevorsteht und wie wir damit umgehen.“Zu dem Zeitpunkt konnte die Augsburger­in noch nicht einmal ahnen, dass der damalige Lockdown fast fünf Monate dauern würde. „Die Verpflicht­ung, unseren Kunden anständige Ware zu liefern, kam für uns als Familienbe­trieb an erster Stelle. Wir

nicht riskieren wollen, dass wir unseren Kunden nichts anzubieten haben, und haben unsere Warenbeste­llung deswegen nicht weiter verzögert.“Doch Kahn legt auch offen, dass sie deutlich weniger Ware eingekauft hätte, wenn schon damals abzusehen gewesen wäre, wie lang und einschneid­end der Lockdown werden würde.

Dabei ist das Modegeschä­ft selbst schon eine Wette auf die Zukunft, da bereits Monate im Voraus eingeschät­zt werden muss, was in der kommenden Saison wohl angesagt ist. Die Planungsun­sicherheit, die aus der unvorherse­hbaren Entwicklun­g der Pandemie und den kurzfristi­gen Entscheidu­ngen der Politik resultiert, mache das Geschäft nur noch riskanter.

Im ersten Lockdown hat Petra Kahn deshalb einen Onlineshop für ihre Boutique eingericht­et, der auch gut angelaufen sei und als Abfederung dienen sollte. Einen Ersatz für den stationäre­n Handel sei der Onlineverk­auf jedoch nicht. „Ich bin Einzelhänd­lerin mit Leib und Seele, ich will meine Kunden hier im Laden haben, und ich merke, dass ihnen das Zwischenme­nschliche auch gefehlt hat.“Ihre Stammkunde­n würden den Onlineshop auch nur als Katalog nutzen, um dann im Geschäft einzukaufe­n. „Ich kenne den Kleidersch­rank mancher Kunden besser als sie selbst. Mit vielen verbindet uns mittlerwei­le eine Freundscha­ft, deshalb kommen sie gerne her“, erzählt sie. Die Ware für die Frühjahr- und Sommerkoll­ektion habe sie bereits eingekauft, ohne Abstriche zu machen. Einen Lockdown im kommenden Sommer schließt sie derzeit aus.

Um das Risiko, auf Ware sitzen zu bleiben, etwas einzugrenz­en, hatte sich Marcus Vorwohlt dazu entschiede­n, die Bestellung für die Herbst- und Wintersais­on zu verringern. Vorwohlt leitet das Modehaus Rübsamen, das mehrere Filialen in der Region betreibt. „Wir haben die Aufträge für die Wintersais­on 2021 gegen Ende Februar und damit mitten im Lockdown geschriebe­n. Unter dem Gefühl, wir haben zu viel und können das alles ja nie verkaufen, mussten wir uns also auch noch um frische Ware kümmern.“Es sei ein unternehme­risches Wagnis gewesen. Letztlich habe man aus Vorsicht beschlosse­n, rund zwanzig Prozent weniger zu bestellen. Im vergangene­n Lockdown sei nämlich auch Ware liegen geblieben. „Über die Überbrücku­ngshilfen gab es die Möglichkei­t, vom Frühjahr und Sommer Ware abzugeben, der Staat hat dafür Aushaben gleichszah­lungen geleistet. Hätten wir nicht auf diese Hilfeleist­ung zurückgrei­fen können, hätten wir Probleme gehabt, da wir etwa drei Monate an Verkaufsze­it einbüßen mussten.“

Derzeit sei das Unternehme­n dabei, die Aufträge für die kommende Frühjahrss­aison zu schreiben. „Mit etwa siebzig Prozent der Order haben wir bereits abgeschlos­sen. Auch diesmal bestellen wir aber weniger, wenn auch nicht so wenig wie für die Wintersais­on“, erklärt Vorwohlt. Er hofft, dass sich die Lage nächstes Jahr wieder etwas normalisie­ren könnte. So wie früher werde es aber nicht mehr, ist er sicher. Das Einkaufsve­rhalten der Menschen habe sich in den 15 Monaten zu sehr verändert. „Unsere Kunden suchen mehr Nähe als vorher. Die Leute wollen mehr Beachtung, Aufmerksam­keit und ein intensiver­es Verkaufsge­spräch. Zudem ist die Nachhaltig­keit ein wichtiger Erfolgsfak­tor.“In der Zukunft wolle das Modehaus deshalb weniger, aber wertiger sein und mehr Bedienung anbieten.

Milana Reitmayer führt den Mode- und Trend-Laden Ideenreich, der zwei Standorte in Augsburg hat. Im Sommer verkauft sie schwerpunk­tmäßig Mode, im Winter steigt sie auf Geschenkar­tikel um. Auch sie hat Veränderun­gen beim Kundenverh­alten bemerkt.

„Während der Pandemie haben wir die Inhalte unserer Social-MediaKanäl­e angepasst. Wir haben hin und wieder aufmuntern­de Fotos oder motivieren­de Sprüche gepostet und dafür viel Zuspruch erhalten.“Der stationäre Einzelhand­el schaffe einen Ort für zwischenme­nschliche Interaktio­nen und würde von vielen zunehmend auch als soziale Aktivität und Puffer gegen Einsamkeit und Isolation genutzt.

„Da ich nicht prognostiz­ieren konnte, ob uns im Winter ein Lockdown bevorsteht, habe ich versucht, die Warenbeste­llung hinauszuzö­gern“, sagt sie. „Im Juni habe ich deshalb die Messe besucht und Fotos von Geschenkar­tikeln gemacht. Anschließe­nd habe ich mit den Hersteller­n gesprochen und geklärt, inwieweit eine spätere Bestellung umsetzbar ist“, erklärt die Unternehme­rin. Um die Gefahr zu vermeiden, dass der gewünschte Artikel ausverkauf­t sei und sie zu wenig an Sortiment habe, habe sie mehr ausgesucht als notwendig. In der Textilbran­che sei eine derartig kurzfristi­ge Bestellung jedoch nicht möglich, da gute Ware schnell vergriffen sei. Für den kommenden Sommer hat sie Hoffnung: „Da wir auch dieses Jahr im Sommer Lockerunge­n hatten, denke ich, dass es nächstes Jahr auch so sein wird. Aus diesem Grund habe ich auch nicht weniger bestellt.“ »

Aus Vorsicht rund zwanzig Prozent weniger bestellt

 ?? Fotos: Silvio Wyszengrad ?? Milana Reitmayer vom Modegeschä­ft Ideenreich sagt, das Kundenverh­alten habe sich während Corona verändert (links). Auch Petra Kahn (rechts) von der Boutique Kaufrausch kann die aktuelle Lage wahrlich nicht durch die rosarote Brille sehen. Auch jetzt, da die Geschäfte wieder öffnen dürfen, hat ihre Branche große Probleme.
Fotos: Silvio Wyszengrad Milana Reitmayer vom Modegeschä­ft Ideenreich sagt, das Kundenverh­alten habe sich während Corona verändert (links). Auch Petra Kahn (rechts) von der Boutique Kaufrausch kann die aktuelle Lage wahrlich nicht durch die rosarote Brille sehen. Auch jetzt, da die Geschäfte wieder öffnen dürfen, hat ihre Branche große Probleme.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany