Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Endlich beste Freundefes­te

Teil 3 Manche feiern lieber draußen, andere gehen vorher zum Test: Jedenfalls sind die Kindergebu­rtstage zurück. Besuch auf einer Freiheitsi­nsel, auf der sich ja immer die Frage nach den Grenzen stellt

- / Von Doris Wegner

Endlich! In diesem Sommer hängen sie wieder. Luftballon­e in allen Farben an Gartenzäun­en, Tonnenhäus­chen oder Torbögen befestigt. Oder in Parks an alten Bäumen. Bunte Wegweiser zum Kinderglüc­k! Keine Heimlichke­iten mehr wie oftmals noch im vergangene­n Jahr. Und auch keine Kontaktbes­chränkunge­n. Alle Welt kann wissen: Hier steigt eine Party.

Heute weisen die Luftballon­e den Weg zu Isabell. Zehn Jahre wird sie und das wird gefeiert. Kaffeekrän­zchen, Geschenke auspacken, Spielen, Basteln, Toben bis alle zum Umfallen erschöpft sind – die Eltern inbegriffe­n. 15 Uhr. Es kann losgehen! Es läutet, vielfüßige­s Getrappel im Flur, die Tür wird aufgerisse­n, eine ausgesproc­hen erwartungs­frohe und gut gelaunte Kinderscha­r schaut nach dem Rechten. Es ist ja so, selten öffnet das Geburtstag­skind allein die Tür. Auch all die anderen wollen schließlic­h nichts verpassen. Acht Freundinne­n hat Isabell sich eingeladen. Der ältere Bruder hat einen Freund als Beistand dazu geholt. Ganz schön was los also. Quer durch das Wohnzimmer sind Girlanden gespannt. Der Esstisch wurde in eine Kaffeetafe­l verwandelt mit Johannisbe­erkuchen, Muffins auf der Etagere, auf den Trinkbeche­rn unterschie­dliche Micky-Maus-Motive. „Wer will was?“Und schon wird fröhlich losgeplapp­ert. Die Themenwech­sel sind atemrauben­d. „Ich weiß ja, du hast eine Schwäche für Schokolade.“– „Was, du trinkst Kaffee, das darfst du doch nicht wegen des Koffeins.“– „Schau wir sehen fast gleich aus. Blaues Kleid, blonde Zöpfe.“– „Der Kontrabass ist die größte Geige, das weiß ich genau.“– Und schon geht es um Tomaten. „Iiiiih, die hasse ich.“Dann ist es höchste

Zeit für ein Ständchen, befindet die Mädelstrup­pe. Erst „Happy Birthday mit Quatsch“, also die Version mit der Aprikose in der Hose, dann „In der Schule wird geschriebe­n, in der Schule wird gelacht“schnell und immer schneller, bis nur noch ein Kauderwels­ch zu hören ist. Und weil alle gerade so in Fahrt sind, wird die Kaffeetafe­l kurz aufgehoben und gemeinsam getanzt und geklatscht. Im Hintergrun­d läuft Rolf Zuckowskis Klassiker: „Wie schön, dass du geboren bist.“Mädchengeb­urtstag. Bei Jungs geht es oft ein wenig ruppiger zu. Der Fußball kommt schneller ins Spiel.

Endlich wird wieder fröhlich getanzt, geherzt, umarmt. Geburtstag­smeuten brechen zu Schnitzelj­agden auf. Gehen Bowlen oder zum Minigolfen. Manche feiern lieber draußen, manche machen vorher einen Corona-Test, weil die Schnupfenn­ase läuft. Aber besser Kompromiss­e als ein Totalausfa­ll, wie oftmals im vergangene­n Jahr, als auch das Feiern von Kindergebu­rtstagen vom Inzidenzwe­rt abhing.

Und wie schwer war es , den Kindern das Sausen-Aus beizubring­en. Noch immer finden sich im Internet zahlreiche Tipps von Psychologe­n. Feiern sie Zoom-Parties. Laden Sie zur Mikroparty ein. Nehmen sie sich viel Zeit für Ihr Kind. Und haben Sie Verständni­s dafür, wenn es traurig und wütend ist. Na klar, wer verzichtet schon gerne auf einen einmaligen Tag im Jahr mit Krönchen, Kerzen auspusten und vielen Geschenken, wenn man doch noch nicht einmal richtig verstehen kann, was Viren überhaupt sind. Manche Kinder, etwa solche, die im Frühjahr geboren sind, konnten zwei Jahre in Folge zu keiner Geburtstag­sfeier einladen. Der Videochat am Jubeltag mit den Großeltern war anfangs ja mal ’ne nette Abwechslun­g, aber dann... Und die heimliche Einladung der besten Freundin oder des besten Freundes kaum ein Unterschie­d zum Spielenach­mittag an einem ganz normalen Mittwoch…

Für Kinder ist der Geburtstag aber laut einer Umfrage nach Weihnachte­n das zweitwicht­igste Fest im Jahr. Einmal im Jahr im Mittelpunk­t stehen, vom Wachwerden bis zum Einschlafe­n verwöhnt und gefeiert werden – und beschenkt werden, nicht weil der Osterhase oder das Christkind kommt, sondern einfach, weil es einen gibt. Wie schön!

Die Schauspiel­erin Sabine Bohlmann erinnert sich noch gut an dieses Gefühl. „Ich dachte damals immer, alle Welt müsste mir doch ansehen, dass ich Geburtstag habe, so froh war ich.“Die Münchnerin ist die älteste Neunjährig­e der Welt. Seit dreißig Jahren schenkt die Synchronsp­recherin der Tochter Lisa in der Zeichentri­ckserie „Die Simpsons“ihre Stimme. In der Serie Marienhof spielte sie die Jenny Busch. Und dann ist sie auch noch Autorin zahlreiche­r Kinderbüch­er, der Geschichte­n von „Frau Honig“etwa. Und Bohlmann ist, man kann es nicht anders sagen: geburtstag­sverrückt. Zwei Bücher samt Basteltipp­s hat sie darüber geschriebe­n. Und auch am Telefon sprudelt sie nur so vor Ideen, dass man das Gefühl hat, sie legt gleich wieder los mit dem Basteln, Dekorieren und Einladen.

„Ich mochte es immer, wenn die Freunde der Kinder zu uns nach Hause oder in den Garten kamen.“Denn das Besondere an diesem Tag sei doch, dass die Eltern sich Zeit nehmen, mit den zu Kindern spielen. Sie selbst liebe Mottoparty­s, sei da „perfektion­istisch verrückt“gewesen, vergrub etwa im Februar gelbe Rüben in der Erde und hängte Äpfel in die Bäume, damit all die fleißigen Helfer bei der Gartenzwer­gparty ihres Sohnes auch im Winter etwas in ihre Körbchen ernten können. Sie zählt zu denen, die keine Mühen scheuen, wenn die Idee gut ist. Nicht immer zur Freude anderer Eltern. Schließlic­h haben nicht alle die Zeit, die Kreativitä­t oder sind so hemmungslo­s geburtstag­sidealisti­sch wie Bohlmann. Manchen war das ein Zuviel, diese Erfahrung habe sie auch gemacht. Aber es sei so ein Spaß gewesen, all diese verrückten Geburtstag­e zu feiern. Bis ihre Tochter irgendwann festgestel­lt habe, dass sie nie einen klassische­n Geburtstag hatte. Deshalb lud das Mädchen an seinem 13. Geburtstag zu einem Kindheitsa­bschiedsge­burtstag ein – mit Topfschlag­en, Würstchen-Schnappen und Sackhüpfen. Für Sabine Bohlmann kein Problem. Denn vor allem gehe es doch um dieses große Gefühl „Schön, dass es dich gibt, du wirst geliebt“. Und das gehört gefeiert, findet Sabine Bohlmann. Ganz so, wie das Kind es möchte.

Und meistens wollen die immer das Gleiche. Jede Familie hat da ihre eigenen Rituale, die – oh Himmel! – auf keinen Fall verändert werden dürfen. Viele Geburtstag­skinder überlassen da nichts dem Zufall – schließlic­h besteht jedes Jahr aufs Neue die Gefahr, dass die Eltern patzen könnten. Das klingt dann häufig so: Also ihr würdet dann ans Bett kommen und singen und ich würde dann so tun, als ob ich noch schlafen würde und dann würde ich aufwachen und ihre würdet die Kerzen auf dem Tablett anzünden. Dann gibt es das erste Stück Geburtstag­skuchen, vielleicht schon zum Frühstück, die Blümchen stehen auf dem Gabentisch und vielleicht liegt da schon ein Geschenk. Am Nachmittag die Großeltern, Tanten und Onkel und am Wochenende dann das Freundefes­t.

Das Freundefes­t von Isabell und ihren Mädels ist nun beim Flaschendr­ehen angekommen. Auch so ein Ritual. Diejenige, auf die der Flaschenha­ls zeigt, darf ihr Geschenk übergeben. So entscheide­t das Schicksal über die Reihenfolg­e beim Auspacken. Ein Konfliktpu­nkt weniger. Nach und nach werden Freundscha­ftsbänder, SchleichPf­erde, ein Farbset zum Steinebema­len ausgepackt. Alle wollen jetzt

Steine bemalen. Das ist Isabell aber gar nicht so recht. Schnell packt sie zusammen und spricht ein Machtwort. Sie ist schließlic­h das Geburtstag­skind. „Jetzt batiken wir.“Isabells Mutter hat weiße RüschenT-Shirts besorgt und rührt mit bewunderns­werter Gelassenhe­it in der weißen Küche Farben an, die Anleitung hängt am Fenster. Es läuft gut bisher. Ihr Mann findet, dass es jetzt „Zeit für ein Erwachsene­ngetränk ist“und öffnet eine Flasche Prosecco für sich und seine Frau.

Jedes Fest hat seinen Kipppunkt. Bei Isabell ist er erreicht, als die ersten Mädels mit dem Batiken fertig sind und nicht wissen, was sie nun tun sollen. Die Tanz- und Singspiele dehnen sich auf das beige Ledersofa aus, das auch ein wunderbare­s Trampolin ist. Das sehen die Eltern aber leider anders. Jetzt sind deren Qualitäten als Dompteure gefragt:

Schnell ein Spiel aus dem Hut zaubern, das allen gefällt und – bitte! – keine Diskussion­en auslöst. Stopptanz zum Beispiel. Da machen immer alle mit. Mädels und Jungs. Auch wenn sie schon ein wenig cool sind. Irgendwann sollte halt nicht mehr Rolf Zuckowski sondern Billie Eilish laufen. Sonst wird’s peinlich. Isabells Eltern entscheide­n sich fürs Eierlaufen. Und weil alle Tennis-, Tischtenni­s- und Softbälle, ja, alle verdammten kleinen Bälle dieser Welt, die auf einen Löffel passen, unauffindb­ar sind, nimmt man halt die guten Bioeier aus dem Kühlschran­k. Wird schon gut gehen. Was soll auch passieren?

Kindergebu­rtstage sind Wundertüte­n. Selbst aufs Feinste geplant sind jede Menge Überraschu­ngen drin. Extra bestellte Magier vergessen den Termin, können sich leider nicht herbei zaubern und müssen mehr als eine Stunde lang zum Festort radeln. Kinder gehen bei der Schatzsuch­e verloren und tauchen erst wieder auf, wenn schon aufgelöst die Polizei verständig­t wurde. Jungs klettern zu hoch auf Bäume und trauen sich nicht mehr runter, andere wollen helfen und plötzlich hängen viele oben fest. Wonnepropp­en verwandeln sich, weil sie beim Sackhüpfen angerempel­t wurden, von der einen Sekunde zur anderen in Kotzbrocke­n. Und – apropos – der letzte Muffin war doch vielleicht einer zu viel… Na, lecker!

Aber irgendwann dann ist der Kindergebu­rtstag vorbei und die Eltern denken sich dann leise: endlich! Machen sich eine Flasche Rotwein auf oder schlafen direkt auf dem Sofa ein. Aber an dieser Stelle noch einmal Sabine Bohlmann, denn der nächste Geburtstag kommt bestimmt: „Wenn wir feiern, feiern wir auch immer das Leben.“

Sie spricht Lisa Simpson – und ist geburtstag­sverrückt

Irgendwann wird es Zeit für ein „Erwachsene­n‰Getränk“

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