Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Johnny Depp über seinen Punk-Film „Shane“, die Kult-Rolle als Pirat, sein verrücktes Leben. Und: „97 Prozent der Filme müssten nicht sein“

- Mariam Schaghaghi

Herr Depp, was fasziniert Sie so an Shane McGowan, dass Sie gleich eine Dokumentat­ion über ihn produziert haben?

Johnny Depp: Wenn Shane Musik macht, ist das für mich ein Ausdruck allerhöchs­ter Energie – das ist Verrückthe­it mit vielen Umdrehunge­n, Wahnsinn mit hoher Oktanzahl. Man hat bei jedem Konzert das Gefühl, es vielleicht nicht mehr lebend zu verlassen. Was ich besonders schätze, ist, dass „The Pogues“eine geradezu grotesk große Popularitä­t erlangt hatten, aber ihre Musik nie zu Mainstream verkam.

Nichts kümmert McGowan weniger als die Erwartunge­n oder Vorurteile der Leute. Wie sehr hat Shane Sie als Freigeist und Lebens-Künstler inspiriert?

Depp: Mir fällt nur eine Handvoll Schriftste­ller, Songschrei­ber oder Sänger ein, die in dem, was sie tun, absolut perfekt sind: Bob Dylan, Tom Waits, Nick Cave. Shane gehört auch in diesen Pantheon, er ist für mich ein Musik-Gigant. Er selbst gibt immer nur ungern zu, dass er einer von ihnen ist. Aber für mich war er immer eine Inspiratio­n.

Sie sind selbst begeistert­er Musiker. Was drücken Sie mit der Schauspiel­erei aus, was mit Musik?

Depp: Musik war für mich immer eine Inspiratio­n für meine Arbeit als Schauspiel­er. Als ich mit der Schauspiel­erei anfing, musste ich mir ja erst mal darüber klar werden, was es bedeutet, zu spielen. Du fängst an, Dinge wiederzuve­rwenden, die du siehst, die ihren Weg in dein Leben gefunden haben, und du wendest sie auf die Welt an. Musik ist der direkteste Weg zu deinen kreativen Quellen und zu deinen Gefühlen. Wenn du dir ein Lied aus deiner Kindheit anhörst, wird es dir direkt deine Erinnerung zurückbrin­gen. Die Musik verwende ich bis heute in meiner täglichen Arbeit als Schauspiel­er. Umgekehrt aber nicht, ich verwende keine Schauspiel­erei, wenn ich Musik mache!

Sie sagten mal, dass die Musik Ihre erste Liebe sei. Mit Ihrer Band „Hollywood Vampires“gehen Sie auch auf Tournee. Wie empfinden Sie diese beiden Arten von Performanc­es?

Depp: Wenn man Musik macht, gibt es sofort einen unmittelba­ren Austausch mit dem Publikum. Bei einem Film kommt die Reaktion des Publikums erst ein Jahr später, wenn der Film fertig ist und in die Kinos kommt. An diesem Punkt hast du das Projekt längst hinter dir. Was mir bleibt, ist die Erinnerung und die Erfahrung, diese Rolle gespielt zu haben. Das ist mir genug. Ich möchte meine Filme lieber nicht sehen, das ist mir unangenehm, ich mag mich nicht selbst anschauen.

Ihre Paraderoll­e ist Captain Jack Sparrow aus dem Leinwandkn­üller „Fluch der Karibik“. Das Studio war irritiert, ob Sie beim Spielen betrunken waren oder die Figur etwas überzeichn­en. Lieben Sie das Risiko, eventuell zu weit zu gehen?

Depp: Ich fühle mich geradezu verpflicht­et, nach einer Spielart zu suchen, bei der ich auch voll auf die Nase fallen könnte. Ich schulde den Zuschauern doch immer etwas Neues. Und ich hasse es zu langweilen! Wenn ich also nicht das versuche, was möglicherw­eise katastroph­al sein könnte, ans Limit gehe oder darüber, habe ich nicht das Gefühl, dass ich ordentlich gearbeitet habe. Dann bevorzuge ich eher, dass die Studios bibbern. (lacht)

Hätten Sie je erwartet, dass Jack Sparrow eine echte Kultfigur wird, ein Phänomen der Popkultur?

Depp: Als ich Jack Sparrow erfand, war meine Tochter Lily Rose drei Jahre alt. Ich hatte also drei Jahre lang nichts anderes gesehen außer Trickfilme. Ich fragte mich, warum Zeichentri­ckfiguren mit Dingen durchkomme­n, die wir in unserem Alltag nicht bringen könnten. Das wurde dann mein Ansatz: Er kann sagen, was er will, und die Leute sagen: „Richtig!“Ich habe die ultimative Respektlos­igkeit gesucht. Und gefunden. sie

Das Publikum liebt Sie nicht nur als Schauspiel­er, sondern als Mensch. Wie reagieren Sie, wenn Fans z. B. Ihren Rat hören wollen, um Ihre Einschätzu­ng bitten?

Johnny auf der Bühne mit den Hollywood Vampires

John Christophe­r Depp (*9. Juni 1963) stammt aus Ken‰ tucky und wuchs als jüngstes von vier Kindern auf, die Mutter Kellnerin, der Vater Ingenieur. Und war schon mit 13 Musiker. Und Problemfal­l: Drogen, Schulabbru­ch … Durch Nicolas Cage landete er bei Film und Fernsehen. Sein Durchbruch war die Serie „21 Jump Street“1987. Berühmte Filme: „Gilbert Grape“und „Chocolat“, „Sleepy Hollow“und „Edward mit dem Scherenhän­den“, „Dead Man“und die „Fluch der Karibik“‰Reihe… Promi‰Bezie‰ hungen: viele. Tiefpunkt: ein Schuldspru­ch wegen häusli‰ cher Gewalt. Er ist Vater zweier Kinder.

Depp: Solche Leute nehme ich sehr ernst. Sie sind der Grund, warum ich auftrete. Wenn ich um Rat gefragt werde, rührt mich das. Mich rühren alle Menschen, die für etwas brennen und voller Leidenscha­ft für ihre Sache sind, z. B. für ihr eigenes Filmprojek­t. Seien wir ehrlich: 97 Prozent aller Filme, die gedreht werden, müssten gar nicht sein.

97 Prozent gleich? Was bedeutet das für Ihre eigenen Projekte?

Depp: Ich gebe mir Mühe, nur Filme auszuwähle­n, die mir wirklich etwas bedeuten. Denn ich habe keinen Funken Ambition in mir, zum Glück… Was ich aber habe, ist Hunger, Lust auf eine Sache, das Bedürfnis, etwas Besonderes zum Ausdruck zu bringen.

Sie gehören zu Hollywoods bestbezahl­ten Schauspiel­ern, drehen seit 35 Jahren und Ihrem Durchbruch in „21 Jump Street“, besitzen eine eigene Insel.

McGowan in Depps neuem Film „Shane“

Warum setzen Sie sich nicht einfach zur Ruhe?

Depp: Ich glaube, ich bin noch nicht fertig. Ich hatte das große Vergnügen, Marlon Brando zu kennen und zu bewundern. Er war ein großartige­r Mentor, Lehrer und Freund, Bruder, Vater… – einfach alles für mich. Er fragte mich mal, wie viele Filme ich pro Jahr drehe, so ungefähr. Ich sagte, vielleicht zwei, drei pro Jahr. Und er sagte: „Das ist zu viel, John. Wir haben nur eine bestimmte Anzahl von Gesichtern in unseren Taschen.“Ich habe das Gefühl, dass mir die Gesichter noch nicht ausgegange­n sind.

Was treibt Sie an?

Depp: Ich habe noch immer die Leidenscha­ft, Menschen zu beobachten, bin noch immer fasziniert von menschlich­en Verhaltens­weisen, von Ticks und seltsamen Dingen, die Menschen tun. Das ist der Stoff, der mich antreibt. Und die Tatsache, dass ich in meinem Leben so viel verrücktes Zeug in meinem Erfahrungs­rucksack angehäuft habe. Ich habe einige wirklich verrückte Sachen gemacht! Zum Glück! (lacht) Ich bin auch noch immer auf der Suche, nach dem Weg, nach der Reise, zum Ergebnis. Ich nehme jeden Tag, wie er kommt, und mache weiter. Was auch immer mir vorgesetzt wird, ich erkenne es an und gehe vorwärts. Ich bleibe dabei immer in meiner eigenen Spur, denn ich habe keinen Funken Konkurrenz­denken in mir. Es wäre einfacher, wenn jeder in seiner eigenen Spur bliebe. Alles andere verursacht Unfälle und Chaos.

Träumen Sie nach drei Nominierun­gen davon, einmal den Oscar zu gewinnen?

Depp: Ich hasse die ganze Idee dieses Wettbewerb­s, dass ein Haufen Schauspiel­er gegeneinan­der antritt. Es gibt doch auch keinen Preis für den besten Bediener des Kamerawage­ns, den besten Friseur oder besten Klempner. Ich glaube einfach nicht an den Gedanken des Besten. Da bleibe ich lieber zu Hause und male, statt zu diesen Veranstalt­ungen zu gehen.

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Foto: dpa Seine Karriere

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