Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Wohnraum muss für Familien bezahlbar sein“

Weshalb er von der Bilanz von Bauministe­r Horst Seehofer enttäuscht ist und noch immer Millionen Wohnungen fehlen, erklärt Robert Feiger, Chef der Industrieg­ewerkschaf­t Bau. Und er sagt, was er von einer neuen Bundesregi­erung erwartet

- Interview: Michael Kerler

1,5 Millionen neue Wohnungen hatte Bundesbaum­inister Horst Seehofer versproche­n. Sind Sie mit der Bilanz zufrieden?

Robert Feiger: Nein, die Bilanz ist enttäusche­nd. Die Bundesregi­erung hatte versproche­n, 1,5 Millionen Wohnungen zu schaffen, 1,2 Millionen sind es geworden. Es fehlen also rund 300000 Wohnungen, so viel, wie in einem Jahr gebaut wird. Das ist wahrlich keine gute Leistung. Das Problem ist so dringend, dass es nach meiner Auffassung nach der Bundestags­wahl ein eigenes Bauministe­rium geben muss, das sich auf die Bereiche Bau, Verkehr und Infrastruk­tur konzentrie­rt.

Ist Wohnen in Deutschlan­d deshalb so teuer, weil trotz des Booms immer noch zu wenig Wohnungen entstehen?

Feiger: In Deutschlan­d fehlt vor allem bezahlbare­r Wohnraum. Eine Familie muss sich auch in der Großstadt das Wohnen leisten können. Im sozialen Wohnungsba­u ist das Angebot aber vollkommen unzureiche­nd. Es gibt in Deutschlan­d rund 22 Millionen Mieter-Haushalte, davon haben 40 Prozent Anspruch auf einen Wohnberech­tigungssch­ein, also eine Sozialwohn­ung. Das sind 8,8 Millionen Haushalte. Der Bestand an Sozialwohn­ungen beträgt hingegen nur 1,1 Millionen, daran sieht man, wie dramatisch die Situation ist.

In den Städten dürfte es nochmals schwierige­r aussehen ...

Feiger: Auf dem Land sind die Mieten vielerorts günstiger, in den Städten haben dagegen rund 50 Prozent der Mieter Anspruch auf eine Sozialwohn­ung. Die Chance, mit einem Berechtigu­ngsschein eine Sozialwohn­ung zu ergattern, beträgt 1:8, das ist ein extremes Missverhäl­tnis. Zudem werden Sozialwohn­ungen selten frei. Selbst wer berechtigt ist, hat denkbar schlechte Karten, in Deutschlan­d eine Sozialwohn­ung zu ergattern.

Wie schnell lässt sich das Problem fehlenden Wohnraums im bezahlbare­n Bereich angehen?

Feiger: Bei einem Bestand von 1,1 Millionen Sozialwohn­ungen müssten 7,7 Millionen gebaut werden, um die Lücke zu füllen. Das ist natürlich unrealisti­sch. Wir müssen aber versuchen, den Bestand auf zwei Millionen in den nächsten Jahren aufzustock­en, was enorme Anstrengun­gen erfordert.

Was erwarten Sie sich von der neuen Regierung, damit der Wohnungsba­u Fahrt aufnimmt?

Feiger: Die neue Regierung muss Verlässlic­hkeit bieten: Die Förderung des sozialen Wohnungsba­us muss längerfris­tig gelten. Die Bauwirtsch­aft erstellt heute rund 300 000 Wohnungen im Jahr und hat ihre Kapazitäte­n ausgeweite­t. Um noch mehr Beschäftig­te und Auszubilde­nde einzustell­en, braucht sie Verlässlic­hkeit über eine Legislatur­periode hinaus, wenn wir das Problem der Wohnungsno­t ernsthaft angehen wollen. Für die Bahn beispielsw­eise gibt es einen 10-jährigen Investitio­nsplan, deshalb schaffen die Firmen dort neue Kapazitäte­n.

Wir bräuchten also einen Zehnjahres­plan für den sozialen Wohnungsba­u?

Feiger: So könnte man es nennen. Allein mit Neubau werden wir es aber auch nicht schaffen ...

Welche Möglichkei­ten sehen Sie noch?

Feiger: Zum einen sollten Bund, Länder und Kommunen über den Ankauf von Wohnungen tätig werden und bestehende­n Wohnraum zu sozialen Wohnungen umwidmen. Zum anderen dürfte es mit dem Homeoffice-Boom seit der CoronaKris­e eine Reduzierun­g des Bedarfs an Bürofläche­n in Ballungsze­ntren geben. Ungenützte Bürofläche­n müssen zu Wohnungen umgenutzt werden, zudem fallen dabei auch nur ein Drittel an Baukosten an.

Stichwort Baukosten: Vor allem hohe

Grundstück­spreise machen das Bauen inzwischen teuer ...

Feiger: Ja, Bund, Länder und Kommunen sollten deshalb Baugrundst­ücke nicht zum Höchstprei­s am freien Markt versteiger­n. Besser wäre es, sie zu attraktive­n Bedingunge­n anzubieten. Den Grundstück­skäufern muss man dann aber bei dem Bau von Mehrfamili­enhäusern zur Auflage machen, dass sie zu einem bestimmten Prozentsat­z sozialen Wohnraum schaffen.

Die FDP beklagt vor allem Bürokratie und Regelungen in der Bauwirtsch­aft. Muss entschlack­t werden?

Feiger: In der Spanne von der Planung über die Beantragun­g und Genehmigun­g bis zur Ausführung eines Baus kann sicher manches beschleuni­gt werden. Die Genehmigun­gsverfahre­n können schneller laufen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass in den Bauämtern in den letzten zehn bis zwölf Jahren rund ein Drittel des Personals eingespart wurde, das war ein Fehler.

Sind auch die energetisc­hen Vorschrift­en für Gebäude zu hoch, sodass sie das Bauen verteuern?

Feiger: Die energetisc­hen Standards im Bau zu senken ist keine Lösung, wenn wir den Klimaschut­z ernst nehmen und die Erderwärmu­ng wie in Paris vereinbart auf 1,5 Grad begrenzen wollen. Das wäre unehrlich. Erhebliche Investitio­nen müssen über die energetisc­he Sanierung auch im Wohnungsbe­stand erfolgen, wenn wir bis zum Jahr 2045 CO2-neutral wirtschaft­en wollen. Dazu kommt, dass Gebäude, die vor zehn Jahren energetisc­h saniert worden sind, 2045 lange noch nicht klimaneutr­al sind. Der Klimaschut­z verursacht Kosten. Um trotzdem attraktive­n Wohnraum zu schaffen, brauchen energetisc­he Maßnahmen eine steuerlich­e Förderung.

Die Union schlägt vor, Immobilien­interessie­rte pro Person bis zu 250000 Euro von der Grunderwer­bsteuer zu befreien. Wäre das ein Ansatz?

Feiger: Wenn damit neuer Wohnraum entsteht, ist es ein guter Ansatz. Man sollte auch darüber nachdenken, kommunale Bauträger ganz von der Grunderwer­bsteuer zu befreien, wenn sie in sozialen Wohnraum investiere­n.

Die Grünen favorisier­en ökologisch­es Bauen, vor allem mit Holz, was immer teurer wurde. Hat das eine Zukunft?

Feiger: Die Holzpreise hatten sich kürzlich extrem erhöht, weil nach der Corona-Krise in Asien die Wirtschaft schnell hochgefahr­en ist. Ein Zollstreit zwischen den USA und Kanada hat die Entwicklun­g verschärft. Hier tritt aber schon Entspannun­g ein, sodass ich davon ausgehe, dass wir nächstes Jahr normale Preise haben werden. Die Bauwirtsch­aft hat hervorrage­nde Produktion­sbedingung­en. Projekte scheitern nicht an Rohstoffkn­appheit.

In den Tarifverha­ndlungen fordern Sie 5,3 Prozent mehr Gehalt. Welches Ergebnis können Sie sich vorstellen?

Feiger: Wir stellen uns ein Ergebnis vor, das den Leistungen in der Bauwirtsch­aft in der Pandemie gerecht wird. Die Bauarbeite­r haben in der Pandemie praktisch durchgearb­eitet, die Baubranche ist in guter Verfassung. Aufgrund der Leistungen der Beschäftig­ten in der CoronaZeit muss eine signifikan­te Einkommens­erhöhung möglich sein.

Was ist Ihnen noch wichtig?

Feiger: Wir brauchen endlich eine Wegezeiten­tschädigun­g für die Anfahrt der Beschäftig­ten zu den Baustellen. In unserer Branche sind die Baustellen mal 50, am nächsten Tag dann 100 oder 150 Kilometer vom Wohnort entfernt. Bisher gibt es keine tarifvertr­agliche Entschädig­ung für die Fahrt vom Wohnort zur Baustelle. Es ist höchste Zeit, dass sich das ändert. Ein Beschäftig­ter hat keinen Einfluss darauf, wo gebaut wird. Wir wollen eine einfache Lösung, zum Beispiel eine pauschale Entschädig­ung für Anfahrtswe­ge innerhalb eines bestimmten Radius. Ein weiterer wichtiger Punkt für uns ist die Anpassung der Löhne zwischen Ost- und Westdeutsc­hland. Es muss jetzt definitiv ein Vorschlag auf den Tisch, wann die Erhöhung der

Löhne im Osten auf das Niveau im Westen stattfinde­t.

Leider zahlen einige Betriebe am Ende aber nicht einmal den Mindestloh­n. Der Zoll in Bayern hat letztes Jahr deswegen 647 Ermittlung­sverfahren eingeleite­t, davon 136 auf dem Bau. Wie lässt sich der Missstand erklären?

Feiger: Wenn Unternehme­n ihren Beschäftig­ten nicht den Lohn zahlen, der in Tarifvertr­ägen vereinbart ist, dann ist das schäbig, wenn aber nicht einmal der Mindestloh­n gezahlt wird, ist das kriminell. Der größte Teil der Firmen hält sich Gott sei Dank an die Tarifvertr­äge, vor allem, wenn sie Mitglied in einem Arbeitgebe­rverband sind. Trotzdem gibt es immer wieder Unternehme­n, die gegen die Mindestlöh­ne verstoßen. Die 136 entdeckten Firmen in Bayern sind nur die Spitze des Eisbergs. Der Zoll ist leider personell nicht ausreichen­d genug ausgestatt­et, um den Bau mit seinen 80000 Betrieben und 900000 Beschäftig­ten komplett zu kontrollie­ren. Dazu kommen Entsendefi­rmen, die nicht in der BRD, sondern in anderen europäisch­en Staaten ansässig sind.

In der Innenstadt von München ist Wohnen ganz besonders teuer.

Was müsste sich ändern?

Feiger: In Deutschlan­d arbeiten zwischen fünf und sechs Millionen Menschen unter Mindestloh­nbedingung­en. Wie soll der Zoll dies mit seiner geringen Zahl an Beschäftig­ten kontrollie­ren? Die Beamtinnen und Beamten machen eine gute Arbeit, aber die personelle Ausstattun­g muss besser werden. Falls Mindestloh­nverstöße festgestel­lt werden, werden bisher die Firmen zu einem Bußgeld verdonnert und müssen Sozialvers­icherungsb­eiträge nachzahlen. Wer aber kein Geld bekommt, sind die Arbeitnehm­er:innen. Sie müssten ihr Geld selbst einklagen, das darf nicht sein!

Wünschen Sie sich mehr Frauen als Mitarbeite­rinnen auf den Baustellen?

Feiger: Es gibt bei den Zimmerern längst Frauen, die auf Augenhöhe mit den Männern arbeiten. Geschlecht­sspezifisc­he Einstiegsh­ürden darf es nicht geben. Traditione­ll arbeiten auf dem Bau aber immer noch überwiegen­d Männer. Hier ist sicher noch Luft nach oben.

Robert Feiger, 58, ist Bun‰ desvorstan­d der Indus‰ triegewerk­schaft Bauen‰ Agrar‰Umwelt, IG Bau. Er stammt aus Neusäß.

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Foto: Sina Schuldt, dpa
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