Augsburger Allgemeine (Land Nord)
200 Tafeln ganz ohne Kalorien
Warum Schokogenuss nur eine Frage der Wahrnehmung ist
Das 21. Jahrhundert überrascht doch laufend mit neuen Entwicklungen. Der Takt ist hoch, die Ergebnisse sind zuweilen skurril. Wie etwa die Nachricht, die uns aus Aachen erreichte – wo ein junges Unternehmen aus der Biobranche eine Schokolade entwickelt hat, die man aber gar nicht isst.
Toller Plan. Schokogenuss durch Nichtessen. Das klingt erst einmal etwas dämlich. So wie Fußball ohne Ball, schwimmen ohne Wasser oder sich herzlich selbst umarmen. Doch die Sache wird etwas interessanter, wenn man genauer hinhört. Ein Balsam aus Kakaobohnen wird unter der Nase und auf dem Nasensteg einmassiert – und schon werden die Rezeptoren für die körpereigenen Glückssubstanzen Endorphin und Dopamin aktiviert. Jene Rezeptoren, die auch auf den Genuss der richtigen Schokolade reagieren. Und das Ganze ist dann auch noch rein pflanzlich, vegan, ohne Mikroplastik
und tierversuchsfrei, wie das Unternehmen natürlich gerne betont. Zehn Gramm Balsam kann man 200-mal verwenden und entsprechen 200 Tafeln Schokolade. Fortschrittspessimisten werden nun umgehend düster und deprimiert bemängeln, dass es bald Bratwürste, Butterbrezen und bayerisches Bier nur noch in riechbarer Form geben wird. Freilich ein allzu vorhersehbarer wie zu vernachlässigender Reflex. Niemand wird sich künftig Bratwurstfett auf und unter die Nase schmieren. Aber jeder weiß hingegen, dass der Volksmund weise ist. Und der sagt bekanntlich gern: Weniger ist mehr. Nicht immer. Aber manchmal schon. Auch beim Thema Schokolade.