Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der Klimakiller Kohle ist so begehrt wie lange nicht
Aktien und Immobilien haben in den vergangenen Jahren satte Renditen erbracht. Noch steiler verlief der Anstieg der Kohlepreise
Augsburg Deutschland will aus der Kohle aussteigen. Spätestens 2038 soll das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet werden, so hat es der Bundestag vor gut einem Jahr beschlossen. Doch im ersten Quartal 2021 war der schmutzige Rohstoff wieder Energieträger Nummer eins für die Stromerzeugung in Deutschland. Weltweit ist die Nachfrage nach der Kohle extrem angestiegen und der Preis explodiert.
Gabor Vogel, Rohstoff-Analyst der DZ-Bank, erklärt, warum sich der Weltmarktpreis für Kohle seit September 2020 auf zwischenzeitlich bis zu 177 Dollar pro Tonne mehr als verdreieinhalbfacht hat: Grundlage der Entwicklung sei demnach der weltweite Anzug der Konjunktur. Dem Boom entsprechend stieg der globale Energiebedarf massiv, die alternativen Energieträger wie Solar- und Windkraft können den Mehrbedarf aber noch nicht kompensieren. Getrieben wird der Preis zusätzlich von China, das weltweit am meisten Kohle braucht: „Die Chinesen sind derzeit bereit, Höchstpreise zu zahlen.“
Warum? Vogel analysiert, dass es einerseits 2020 in Chinas Südwesten zu einer längeren Dürre kam, was die Stromproduktion durch Wasserkraft erheblich reduzierte. Von diesem Rückschlag haben sich die Chinesen noch nicht erholt. Zugleich habe es beim Haus- und Hoflieferanten Chinas, Indonesien, gerade im Frühjahr starke Regenfälle gegeben, was den Nachschub zusätzlich minimierte. Und schließlich habe die rasant wachsende Weltmacht die eigenen Sicherheitsvorkehrungen für die Kohleförderung verschärft, was dazu führte, dass noch weniger des fossilen Energieträgers zur Verfügung stand.
Mit Australien, das Kohle liefern könnte, befindet man sich im Handelsstreit, weil die Regierung in Canberra untersuchen lassen will, wo das Coronavirus herkommt. Vogel resümiert: „Das Land ist derzeit in der Zwickmühle.“Erschwerend hinzu komme, dass der Preis für Erdgas zuletzt auch gestiegen sei, was Kohle als Gas-Ersatz zusätzlich attraktiv gemacht habe. Heißt: „Der Preis ist derzeit überhitzt.“
Trotz der durch den Klimawandel ausgelösten, zunehmenden Extremwetterereignisse fasst Vogel die Lage so zusammen: „Die Internationale Energieagentur geht davon aus, dass die Hälfte des globalen Energiebedarfanstiegs in 2021 und 2022 mit fossilen Energieträgern gedeckt werden muss. 35 Prozent des Stroms werden weltweit derzeit mit Kohle erzeugt. Das wird deutlich weniger werden, aber nicht über Nacht. Das wird sich erst langfristig, mit Blick auf die nächsten zehn Jahre, stark ändern.“
Und Vogel beschreibt die Notwendigkeiten: „Es ist entscheidend, dass die hohen Investitionen in alternative Energieträger weiter erhöht werden. Wir dürfen jetzt nicht aufhören und müssen den Hebel noch mal umlegen. Die jetzige Situation ist, so würde ich das sehen, eine letzte fossile Warnung. Denn der Energiebedarf wird künftig auch hoch bleiben, diese Lücke muss jetzt geschlossen werden.“
Mit dieser Einschätzung ist er nicht allein. Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat jüngst eingeräumt, dass die Schätzung der Bundesregierung zum künftigen Strombedarf zu niedrig angesetzt war. Nun soll nachgerechnet werden. Die drohende Stromlücke gefährdet die deutschen Klimaziele akut. Die Expertenkommission
Agora Energiewende geht nach ihren jüngsten Berechnungen davon aus, dass die Treibhausgasemissionen für das Jahr 2021 nur noch um 37 Prozent unter dem Niveau von 1990 liegen werden - drei Prozent über der angestrebten Verminderung um 40 Prozent.
„Im Wahljahr 2021 wird Deutschland den höchsten Anstieg der Treibhausgasemissionen seit 1990 verzeichnen. Das übertrifft selbst den Anstieg nach der Wirtschaftskrise 2009/2010“, wird Patrick Graichen, der Direktor von Agora Energiewende, in einer Mitteilung zitiert. Die bessere Bilanz im Jahr 2020 sei vor allem Sondereffekten und dem wirtschaftlichen Einbruch durch die Corona-Krise zu verdanken gewesen.
In Deutschland sank nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Quellen im ersten Quartal 2021 um 23 Prozent. Nachdem im Jahr 2020 erstmals mehr als die Hälfte des Stroms aus erneuerbaren Quellen kam, ging der Wert im ersten Quartal zurück auf rund 41 Prozent. Schuld daran war demnach vor allem das relativ windarme Frühjahr. In die Lücke sprangen Gasund besonders Kohlekraftwerke.
Während die Steinkohleförderung in Deutschland bereits 2018 eingestellt wurde, ist das Land derzeit größter Braunkohleförderer weltweit. Anders als für Steinkohle gibt es für die Braunkohle keine internationalen Markt, Deutschland versorgt sich selbst. Das lohnt sich trotz deutlich steigender Preise für die CO2-Zertifikate vor allem deshalb, weil die Preise an der Strombörse noch stärker gestiegen sind. Immerhin: Mittlerweile mehren sich die Stimmen, die für einen früheren Kohleausstieg werben. Auch Bundeswirtschaftsminister Altmaier hält den für möglich, wie es in einem Papier aus seinem Ministerium zum Stand des Prozesses heißt.
Aber weltweit ist ein Ende der Kohleverbrennung nicht in Sicht. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass nur zwei Prozent der riesigen Summen, die zur Stabilisierung der Wirtschaft in der Corona-Krise aufgewendet werden, dazu dienen, die Energieproduktion sauberer zu machen. Wenn die Ausgabepläne der Regierungen, die von der Agentur ausgewertet wurden, eingehalten werden, dürften die globalen CO2-Emissionen schon 2023 einen neuen Rekordwert erreichen – und danach weiter steigen, schreibt die IEA in ihrem im Juli veröffentlichten Bericht. Vor allem Schwellenund Entwicklungsländer liegen demnach mit ihren Ausgaben zum Umbau der Energieversorgung weit zurück.