Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Trau’ vielen über 30
Mit der Nominierung seines ersten Kaders am Freitag gibt Hansi Flick die Richtung vor. Alte Namen sind gesetzt. Doch wer sind die Neuen?
Frankfurt am Main Thomas Müller, 31, na klar. Marco Reus, 32, gerne wieder. Mats Hummel, 32, wenn er fit ist. Ilkay Gündogan, 30, bitte weitermachen. Wenn Hansi Flick am Donnerstag seinen ersten Kader als Bundestrainer verkündet, ist der einst von Joachim Löw unter viel öffentlichem Wehklagen versuchte Generationenumbruch schwarz auf weiß für unbestimmte Zeit verschoben. Gemeinsam mit Kapitän und Ewig-Nummer-1 Manuel Neuer, 35, bekommt eine starke Ü-30-Fraktion den Auftrag zur möglichst schnellen Wiederherstellung des guten deutschen FußballRufes. Der als nächste Führungsriege auserkorene Jahrgang 1995/96, um die mittlerweile starken Wortführer Joshua Kimmich und Leon Goretzka, beide 26, verbleibt auch vier Jahre nach dem als Initialzündung verspürten Gewinn des Confederation Cups in Russland nur im Mittelbau der Alterspyramide der Nationalmannschaft. Zu dieser Generation gehört auch der für die EM von Löw aussortierte Julian Draxler, 27, dem Flick wie dessen Kollegen von Paris Saint-Germain, Thilo Kehrer, 24, ein DFB-Comeback in
Aussicht stellte. Flicks erstes Dogma zum Erreichen des als derzeit Gruppendrittem noch keineswegs gesicherten Tickets für die WM 2022 in Katar steht schon fest: Nicht das Geburtsdatum, sondern die Leistung ist entscheidend. „Bei mir gibt es kein Alter, wo es heißt, von da an ist er kein Nationalspieler mehr“, sagte Flick – ein klares und notwendiges Abgrenzen von Vorgänger Löw.
Einzig Toni Kroos, 31, hat aus dem im EM-Achtelfinale gescheiterten Kader seinen DFB-Rücktritt erklärt. Bei einigen anderen – wie auch Gündogan – wirkte Flick offenbar aktiv auf eine schwarz-rot- goldene Karrierefortsetzung hin. „Nach den positiven Gesprächen mit Hansi war für mich klar: Ich bin noch nicht fertig mit dem Kapitel Nationalmannschaft“, sagte Gündogan dem Kicker. Mit dem Vertrauen auf die möglicherweise nur verschütteten Stärken ihm wohl vertrauter Profis ist Flick schon nach seiner Amtsübernahme als Chefcoach beim FC Bayern 2019 bestens gefahren. Gaudi-Bursche und Endlos-Antreiber Müller ist die personifizierte Blaupause dafür. „Ich habe meine Bereitschaft signalisiert, weiter mit dabei zu sein“, sagte Müller dem Spiegel. „Hansi Flick ist der Trainer, der mich beim FC Bayern gefördert hat. Er hat mich auf ein noch höheres Level gebracht“, sagte der 106-malige Nationalspieler.
Die spannende Frage aber ist: Wie will Flick den irgendwann letztlich unausweichlichen Neuanfang im DFB-Team angehen? Der 56-Jährige weiß genau, dass er trotz des Beharrens auf alte Weggefährten jetzt nach und nach eine neue Generation potenzieller Titeljäger einbauen muss. Die Zeit bis zur Katar-WM in 15 Monaten lässt sich noch überbrücken – aber bis zur Heim-EM 2024 sind es keine drei Jahre mehr. Auf wen setzt der Weltmeister-Assistent von 2014 also schon beim anstehenden Dreierpack gegen Liechtenstein (2.9.), Armenien (5.9.) und Island (8.9.)?
Jamal Musiala, 18, ist als jüngstes Mitglied des unverändert starken
Bayer-Blocks mittlerweile gesetzt. Leverkusens Teenager Florian Wirtz, 18, wird es bald sein, muss aber erst mal seine aktuellen Probleme mit der Leiste vollständig überwinden. In Karim Adeyemi, 19, spielt ein Talent beim FC Salzburg groß auf, das dem Flickschen Beuteschema entspricht. Die Nachrichtenagentur APA vermeldete bereits den Historienfakt, dass Adeyemi der erste Spieler der Nachkriegszeit im Lande sei, der aus Österreich direkt ins deutsche A-Team rücken könnte. Dass der U-21-Europameister auf der DFB-Liste für die A-Auswahl steht, ist kein Geheimnis mehr. Ein Mittelstürmer wird nämlich dringend gesucht.
Eine Alternative wäre auch Adeyemis U-21-Kollege Lukas Nmecha, 22, der gerade den VfL Wolfsburg mit seinem Siegtor in Berlin an die Tabellenspitze der Bundesliga schoss. Für die Außenbahn empfahl sich auch sein Teamkollege Ridle Baku, 23, der unter Löw im Vorjahr debütierte. Viel mehr logische Kandidaten gibt es kaum. Flick wird also vielleicht auch mit vermeintlichen No-Names überraschen.