Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Bürgermeister bedroht
Mit Beleidigungen oder sogar Nötigung sind Politiker im Landkreis Augsburg konfrontiert. Seit Corona haben die Menschen eine kürzere Zündschnur, sagt ein Bürgermeister
Mit Beleidigungen oder sogar Nötigung sind Politiker im Landkreis Augsburg konfrontiert. Seit Corona haben die Menschen eine kürzere Zündschnur.
Landkreis Augsburg Auch vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht hält das Urteil stand: Eine 68-jährige Frau aus Thierhaupten muss wegen versuchter Nötigung ins Gefängnis. Ihr Ziel waren Bürgermeister Toni Brugger und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auf der einen Seite sei er froh, dass die Geschichte erledigt sei, sagt Brugger. Andererseits hoffe er, dass nun wirklich nichts mehr komme: „Mich hat das nicht kalt gelassen.“
Die Rentnerin wollte aus dem Melderegister gelöscht werden. Um Druck auszuüben, hatte sie Brugger samt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung mit hohen Geldbeträgen in ein amerikanisches Schuldnerverzeichnis eingetragen. Vor allem um seine Kolleginnen und Kollegen habe er sich gesorgt, sagt der Bürgermeister. Durch die Erwähnung im Schuldnerverzeichnis könne deren Reisefreiheit eingeschränkt werden.
Berufung und Revision der Frau blieben erfolglos, nun muss sie für sieben Monate ins Gefängnis.
Silvia Kugelmann konnte den Menschen, die sie bedrohten, nicht im Gerichtssaal in die Augen schauen. Die ehemalige Bürgermeisterin von Kutzenhausen wurde jahrelang anonym angefeindet. Während ihrer Zeit als Rathauschefin bekam sie Hassbriefe mit Zeilen wie: „Verrecken sollst du“. Unbekannte stachen Nägel in die Reifen ihres Autos und beschmierten es mit Hundekot. Auch Teile des Gemeinderates und deren Familien wurden laut der ehemaligen Bürgermeisterin bedroht. 2016 machte Kugelmann die hinterlistigen Angriffe öffentlich. Das Interesse war riesig: Viele Medien berichteten über den Fall und Silvia Kugelmann war bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Gast.
Zumindest auf Fälle, in denen Menschen im Internet Hass verbreiten, ist die Justiz mittlerweile deutlich besser vorbereitet als noch vor wenigen Jahren. Seit 2019 gibt es in der Staatsanwaltschaft Augsburg ein Sonderdezernat für Hatespeech (Hassrede). Neben Fällen von Lokalpolitikern, die im Netz mit Hass überzogen werden, fallen auch andere Formen von Hasskriminalität öffentlichen Foren in den Zuständigkeitsbereich. Ein Unterschied: Politische Mandatsträger wie Bürgermeister oder Abgeordnete können Hassreden über ein Onlinemeldeverfahren direkt an die Staatsanwaltschaft übermitteln.
Damit reagiert die Justiz auf einen Trend: Laut einer Studie wurden fast zwei Drittel aller deutschen Bürgermeister schon beleidigt, bedroht oder angegriffen. Eine aktuellere Studie sieht sogar eine Steigerung seit Beginn der Corona-Pandemie, mittlerweile seien es 72 Prozent aller Bürgermeister.
Im Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft Augsburg, der neben dem Augsburger Land die Stadt Augsburg und die Landkreise Aichach-Friedberg, Dillingen, Landsberg und Donau-Ries umfasst, gab es im vergangen Jahr 46 Hatespeech-Verfahren. Heuer sind es bislang 26. Im Schnitt fast ein Verfahren pro Woche.
Wo beginnt Hatespeech? Was zählt als Beleidigung? Matthias Nickolai, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Augsburg, sagt, die strafrechtliche Relevanz sei eine Einzelfallentscheidung. „Wenn sich jemand beleidigt fühlt und das anzeigen möchte, prüfen wir das.“Wichtig sei oft der Zusammenhang: In welcher Situation fallen bestimmte Wörter?
Der Meitinger Rathauschef Michael Higl sagt, die persönliche Grenze zwischen Beleidigung und „kerniger Diskussion“setze jeder Bürgermeister selbst. Higl ist Stellvertretender Kreisverbandsvorsitzender für Augsburg im Bayerischen Gemeindetag. „Im Kollegenkreis weiß jeder von harten Gesprächen“, sagt er.
Higl hat selbst schon anonyme Briefe mit Beleidigungen bekommen. „Das ist gemein, weil man sich gegen Anschuldigungen gerne verteidigen möchte.“Außerdem beginne er sofort zu überlegen: Wer könnte der Absender sein? Dass man als Politiker eben ein dickes Fell brauche, sei leicht gesagt – in der Praxis gehen die Anfeindungen den Bürgermeistern meistens trotzdem nahe. Anonyme Briefe sind dabei nicht das Schlimmste: „Ich kenin ne Kollegen, die sagen, dass bei ihnen überraschend viele Autoreifen kaputt sind“, sagt Higl. Heizt Corona die Stimmung weiter auf? Bei den Beleidigungen gebe es nicht unbedingt eine steigende Tendenz, aber: „Ich habe das Gefühl, dass die Menschen seit Corona insgesamt eine kürzere Zündschnur haben.“
Eine aggressiver werdende Stimmung beobachtet auch Toni Brugger: „Die Zeit hat allen aufs Gemüt geschlagen.“Er selbst sei sowohl persönlich als auch in den sozialen Medien schon beleidigt worden. „Das lese ich nicht einmal ganz, sondern drücke es einfach weg.“
Dass es anders geht, zeigt das Beispiel von Peter Ziegelmeier. Der Bürgermeister von Fischach wurde in fast vier Jahrzehnten Lokalpolitik nie beleidigt, bedroht oder angegriffen. „Es gibt immer wieder kritische Briefe, die gehen aber nicht ins Beleidigende.“In der Anonymität des Internets sieht er bei vielen eine niedrigere Hemmschwelle. Für Ziegelmeier die logische Schlussfolgerung: „In den sozialen Medien bin ich bewusst nicht.“