Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bürgermeis­ter bedroht

Mit Beleidigun­gen oder sogar Nötigung sind Politiker im Landkreis Augsburg konfrontie­rt. Seit Corona haben die Menschen eine kürzere Zündschnur, sagt ein Bürgermeis­ter

- VON MARCO KEITEL

Mit Beleidigun­gen oder sogar Nötigung sind Politiker im Landkreis Augsburg konfrontie­rt. Seit Corona haben die Menschen eine kürzere Zündschnur.

Landkreis Augsburg Auch vor dem Bayerische­n Obersten Landesgeri­cht hält das Urteil stand: Eine 68-jährige Frau aus Thierhaupt­en muss wegen versuchter Nötigung ins Gefängnis. Ihr Ziel waren Bürgermeis­ter Toni Brugger und seine Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r. Auf der einen Seite sei er froh, dass die Geschichte erledigt sei, sagt Brugger. Anderersei­ts hoffe er, dass nun wirklich nichts mehr komme: „Mich hat das nicht kalt gelassen.“

Die Rentnerin wollte aus dem Melderegis­ter gelöscht werden. Um Druck auszuüben, hatte sie Brugger samt Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r der Verwaltung mit hohen Geldbeträg­en in ein amerikanis­ches Schuldnerv­erzeichnis eingetrage­n. Vor allem um seine Kolleginne­n und Kollegen habe er sich gesorgt, sagt der Bürgermeis­ter. Durch die Erwähnung im Schuldnerv­erzeichnis könne deren Reisefreih­eit eingeschrä­nkt werden.

Berufung und Revision der Frau blieben erfolglos, nun muss sie für sieben Monate ins Gefängnis.

Silvia Kugelmann konnte den Menschen, die sie bedrohten, nicht im Gerichtssa­al in die Augen schauen. Die ehemalige Bürgermeis­terin von Kutzenhaus­en wurde jahrelang anonym angefeinde­t. Während ihrer Zeit als Rathausche­fin bekam sie Hassbriefe mit Zeilen wie: „Verrecken sollst du“. Unbekannte stachen Nägel in die Reifen ihres Autos und beschmiert­en es mit Hundekot. Auch Teile des Gemeindera­tes und deren Familien wurden laut der ehemaligen Bürgermeis­terin bedroht. 2016 machte Kugelmann die hinterlist­igen Angriffe öffentlich. Das Interesse war riesig: Viele Medien berichtete­n über den Fall und Silvia Kugelmann war bei Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier zu Gast.

Zumindest auf Fälle, in denen Menschen im Internet Hass verbreiten, ist die Justiz mittlerwei­le deutlich besser vorbereite­t als noch vor wenigen Jahren. Seit 2019 gibt es in der Staatsanwa­ltschaft Augsburg ein Sonderdeze­rnat für Hatespeech (Hassrede). Neben Fällen von Lokalpolit­ikern, die im Netz mit Hass überzogen werden, fallen auch andere Formen von Hasskrimin­alität öffentlich­en Foren in den Zuständigk­eitsbereic­h. Ein Unterschie­d: Politische Mandatsträ­ger wie Bürgermeis­ter oder Abgeordnet­e können Hassreden über ein Onlinemeld­everfahren direkt an die Staatsanwa­ltschaft übermittel­n.

Damit reagiert die Justiz auf einen Trend: Laut einer Studie wurden fast zwei Drittel aller deutschen Bürgermeis­ter schon beleidigt, bedroht oder angegriffe­n. Eine aktuellere Studie sieht sogar eine Steigerung seit Beginn der Corona-Pandemie, mittlerwei­le seien es 72 Prozent aller Bürgermeis­ter.

Im Zuständigk­eitsbereic­h der Staatsanwa­ltschaft Augsburg, der neben dem Augsburger Land die Stadt Augsburg und die Landkreise Aichach-Friedberg, Dillingen, Landsberg und Donau-Ries umfasst, gab es im vergangen Jahr 46 Hatespeech-Verfahren. Heuer sind es bislang 26. Im Schnitt fast ein Verfahren pro Woche.

Wo beginnt Hatespeech? Was zählt als Beleidigun­g? Matthias Nickolai, Pressespre­cher der Staatsanwa­ltschaft Augsburg, sagt, die strafrecht­liche Relevanz sei eine Einzelfall­entscheidu­ng. „Wenn sich jemand beleidigt fühlt und das anzeigen möchte, prüfen wir das.“Wichtig sei oft der Zusammenha­ng: In welcher Situation fallen bestimmte Wörter?

Der Meitinger Rathausche­f Michael Higl sagt, die persönlich­e Grenze zwischen Beleidigun­g und „kerniger Diskussion“setze jeder Bürgermeis­ter selbst. Higl ist Stellvertr­etender Kreisverba­ndsvorsitz­ender für Augsburg im Bayerische­n Gemeindeta­g. „Im Kollegenkr­eis weiß jeder von harten Gesprächen“, sagt er.

Higl hat selbst schon anonyme Briefe mit Beleidigun­gen bekommen. „Das ist gemein, weil man sich gegen Anschuldig­ungen gerne verteidige­n möchte.“Außerdem beginne er sofort zu überlegen: Wer könnte der Absender sein? Dass man als Politiker eben ein dickes Fell brauche, sei leicht gesagt – in der Praxis gehen die Anfeindung­en den Bürgermeis­tern meistens trotzdem nahe. Anonyme Briefe sind dabei nicht das Schlimmste: „Ich kenin ne Kollegen, die sagen, dass bei ihnen überrasche­nd viele Autoreifen kaputt sind“, sagt Higl. Heizt Corona die Stimmung weiter auf? Bei den Beleidigun­gen gebe es nicht unbedingt eine steigende Tendenz, aber: „Ich habe das Gefühl, dass die Menschen seit Corona insgesamt eine kürzere Zündschnur haben.“

Eine aggressive­r werdende Stimmung beobachtet auch Toni Brugger: „Die Zeit hat allen aufs Gemüt geschlagen.“Er selbst sei sowohl persönlich als auch in den sozialen Medien schon beleidigt worden. „Das lese ich nicht einmal ganz, sondern drücke es einfach weg.“

Dass es anders geht, zeigt das Beispiel von Peter Ziegelmeie­r. Der Bürgermeis­ter von Fischach wurde in fast vier Jahrzehnte­n Lokalpolit­ik nie beleidigt, bedroht oder angegriffe­n. „Es gibt immer wieder kritische Briefe, die gehen aber nicht ins Beleidigen­de.“In der Anonymität des Internets sieht er bei vielen eine niedrigere Hemmschwel­le. Für Ziegelmeie­r die logische Schlussfol­gerung: „In den sozialen Medien bin ich bewusst nicht.“

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Foto: Christian Kruppe (Symbolbild) Aufgestoch­ene Reifen gehören ebenfalls zum Repertoire vieler, die Politiker bedrohen.
 ?? Foto: Marcus Merk (Archivbild) ?? Kutzenhaus­ens ehemalige Bürgermeis‰ terin Silvia Kugelmann wurde lange ano‰ nym angefeinde­t, erhielt jahrelang Droh‰ briefe. Als sie die Vorfälle im Jahr 2016 öffentlich machte, war die Resonanz rie‰ sig.
Foto: Marcus Merk (Archivbild) Kutzenhaus­ens ehemalige Bürgermeis‰ terin Silvia Kugelmann wurde lange ano‰ nym angefeinde­t, erhielt jahrelang Droh‰ briefe. Als sie die Vorfälle im Jahr 2016 öffentlich machte, war die Resonanz rie‰ sig.

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