Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Chaos und Terror in Kabul

Die letzten Evakuierun­gsflüge der Bundeswehr in Afghanista­n sind von einem Anschlag überschatt­et. Weiterhin stehen dicht gedrängt verzweifel­te Menschen um den Flughafen und hoffen auf Ausreise

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Kabul/Berlin Die schlimmste­n Befürchtun­gen haben sich bestätigt: Vor dem Flughafen Kabul überschatt­et ein verheerend­er Terroransc­hlag mit zwei Explosione­n das Ende der Rettungsfl­üge nach Deutschlan­d und in viele andere Nato-Staaten. Die Luftwaffe hatte am Donnerstag alle deutschen Soldaten, Diplomaten und verblieben­en Polizisten aus der afghanisch­en Hauptstadt Kabul ausgefloge­n. Das sagte Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) in Berlin nach dem Start der letzten Maschine. Kramp-Karrenbaue­r und auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) betonten aber, dass die Bundesregi­erung weiter versuchen werde, schutzbedü­rftigen Menschen die Ausreise aus Afghanista­n zu ermögliche­n. Die Rettungsak­tion der Bundesregi­erung gehe nun „Phase 2“, erklärte Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD). „Die militärisc­he Evakuierun­g ist nun beendet. Aber unsere Arbeit geht weiter und zwar so lange, bis alle in Sicherheit sind, für die wir in Afghanista­n Verantwort­ung tragen“, sagte Maas am Donnerstag.

In Kabul herrscht derweil weiter Chaos, verzweifel­te Menschen hoffen auf ihre Ausreise. Ein A400M-MedEvac landet am Abend außerplanm­äßig, bietet den Amerikaner­n Hilfe für Verwundete an, nimmt aber auch zwei deutsche Soldaten auf, die am Boden zurückgebl­ieben waren. Am Abend startet die Maschine wieder. Kanzlerin Angela Merkel spricht fast zeitgleich in

Berlin von einem „absolut niederträc­htigen Anschlag auf die verzweifel­t Wartenden in einer sehr angespannt­en Situation“.

Seit Tagen war vor Plänen der Terrorgrup­pe Islamische­r Staat (IS) gewarnt worden. Mehr als zehn vorbereite­te Attentäter seien in Kabul unterwegs, hieß es aus Militärkre­isen. Der Bundeswehr lagen zudem Warnungen vor, dass ein Selbstmord­attentäter durch Sicherheit­skontrolle­n schlüpfen und womöglich – beispielsw­eise mit Sprengstof­f in den Schuhsohle­n – an Bord der A400M-Transportf­lugzeuge gelangen könnte, um sich dort „umzusetzen“, also den Sprengstof­f zu zünden. Taliban-Kämpfer sollen an ihren Kontrollst­ellen im Umfeld des Flughafens bereits mehrere Attentäter der Terrormili­z Islamische­r Staat abgefangen und getötet haben.

Zwar hatten mehrere Staaten ihre Bürger aufgerufen, dem Flughafen fernzublei­ben, doch ungeachtet der Drohungen war das Gedränge immer schlimmer geworden. Ein Augenzeuge berichtete der Deutschen Presse-Agentur Stunden vor dem Anschlag, die Menschen stünden „so eng aneinander wie Ziegel einer Mauer“. Er sei rund 200 Meter vom Eingang entfernt, und es würde das Leben seines Kindes oder seiner Frau kosten, wenn er versuchte, diese 200 Meter zu überwinden. In einem Video sieht man Menschen mit Dokumenten in der Hand winken. Sie rufen „Help me!“– helfen Sie mir – und stehen Schulter an Schulter in der prallen Sonne. In der

Menge sind auch Kinder und Frauen, man hört auch Babys weinen.

Zuerst wurden am Donnerstag die letzten anwesenden Schutzbedü­rftigen – das Militär selbst spricht von „Echos“– ausgefloge­n, dann die Soldaten. Als Letzte bleiben Spezialkrä­fte, um noch handlungsf­ähig zu sein. Wer auf Listen steht und es nun noch schafft, soll einen Platz in einem US-Flugzeug bekommen, wie die Bundesregi­erung ausgehande­lt hat.

Als letzte Verteidigu­ngslinie um die deutschen Evakuierun­gsmaschine­n standen wie seit dem Beginn der Operation Luftwaffen­soldaten bereit. Sie gehören zu den „Air Mobile Protection Teams“(AMPT) des Objektschu­tzregiment­s „Friesland“, geführt von Oberst Marc Vogt. „Diese Männer sind alle so ausgebilde­t, dass sie auf eine Eskalation der Lage unmittelba­r reagieren können. Von Festsetzen eventuelle­r Täter über Niederhalt­en und sofort raus bis zu ,Wir bleiben vor Ort und schicken nur das Luftfahrze­ug raus‘“, sagt Vogt.

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Foto: Wali Sabawoon Rauch von einer Explosion stieg am Donnerstag außerhalb des Flughafens in Kabul auf.

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