Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Innenamt“
Dann stolperte sie über eigene Fehler. tei verspielt? / Von Christian Grimm
gefremdelt hat. In der Psychologie spricht man davon, dass sie sich in Baerbock nicht spiegeln können.
Wie es besser geht, hat Altkanzler Gerhard Schröder vorgemacht, der öffentlich das deutsche Nationalgericht Currywurst verteidigte, weil es in einer Kantine des Volkswagen-Konzerns vom Speiseplan verbannt werden sollte. Er nannte die Currywurst den „Kraftriegel der Facharbeiterinnen und Facharbeiter“. Mit der Wortschöpfung gelang Schröder zweierlei. Seine SPD als Beschützerin der Arbeiterschaft und ihrer Lebensweise in Szene zu setzen, aber gleichzeitig andere Teile des Wahlvolks anzusprechen. Denn auch Manager mögen Wurst – sei es mit Senf, Ketchup oder ertränkt in Currysauce. Das Lastenrad hingegen ist ein Symbol einer spezifischen Schicht in den großen Städten.
Wäre Habeck der Bogenschlag geglückt, den Schröder früher geschafft hat? Die Antwort auf diese Frage muss theoretisch bleiben, denn er ist nicht der Kanzlerkandidat. Es spricht aber einiges dafür. Der ehemalige Umweltminister Schleswig-Holsteins hat schon vor Jahren angefangen, seine Partei auf die Breite auszurichten. Er verordnete ihr, sich mit den großen Begriffen Heimat und Patriotismus auseinanderzusetzen – im grünen Kosmos waren das Igitt-Wörter, die nach rechts und konservativ klangen. Er wollte seiner Partei die Überheblichkeit austreiben, als einzige zu wissen, wie der Klimawandel bekämpft und ein gutes Leben geführt werden kann. Er lebte einen anderen Politikstil vor, der nicht sofort auf alles eine Antwort hat. Es ist nicht so, dass die Bauern in Schleswig-Holstein Habeck heute als Heiligen verehren. Doch seine Zeit als Minister in einem ländlich-konservativ geprägten Bundesland hat ihn die Augenhöhe gelehrt, von der Baerbock als klassische Aufsteigerin innerhalb der Parteihierarchie nur redet.
Dass sie ihn trotz seiner Vorteile allein durch ihr Frausein beiseiteschieben konnte, hat nur funktioniert, weil es die Statuten so vorsehen und der Funktionärskörper der Grünen dies mitträgt. Im Frühjahr bestach das Argument, dass Baerbock die Frauen, die bisher Angela Merkel (CDU) gewählt haben, zu den Grünen ziehen werde. Das Argument ging so: Eine junge Frau führt die Nation und lebt endlich die Gleichberechtigung vor, denn ihr Mann bleibt zu Hause und kümmert sich um die beiden Töchter. Dieser Mann heißt Daniel Holefleisch und sieht dem Fußballtrainer Jürgen Klopp ähnlich. Sollte seine Frau doch noch das Kanzleramt holen, gibt er seinen Posten als Lobbyist für die Deutsche Post auf und wird Hausmann. So hat es jedenfalls seine Frau verkündet. Holefleisch kommt aus der Grünen Ursuppe, sein Vater war Ewigkeiten Bürgermeister
in Göttingen, sein Bruder Grünen-Geschäftsführer in der Bremer Bürgerschaft. Auf den Kurznachrichtendienst Twitter beschreibt er sich in seinem Profil schlicht als „Papa“.
Was auf den ersten Blick aussieht wie der wahr gewordene Traum aller Gleichstellungsbeauftragten, entpuppt sich auf den zweiten Blick als wenig fortschrittlich. Denn das Geschlechterverhältnis kehrt sich einfach um. Statt des Mannes wird nun die Frau zur Ernährerin, während er zu Hause die Kinder hütet und den Haushalt schmeißt. Die Schriftstellerin Jana Hensel hat in einem viel gelesenen Essay bedauert, dass Angela Merkel sich nie ausdrücklich zum Feminismus bekannt hat und ohne viel Gewese „ihren Mann stand“. Dass Baerbock jetzt auf dem Geschlechterticket nach vorne kam, ist für Hensel kein echter Fortschritt. „Ich hielt den Feminismus, der Baerbock zur Kandidatur verhalf, schon immer für veraltet“, sagt Hensel. Sie glaubt, dass die Grünen sogar eine historische Chance versiebt haben, indem sie Habeck nicht zum Zuge kommen ließen. Es ist ein wenig paradox: Der Mann aus der Provinz hätte in dieser Gleichung mehr für Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern erreichen können, weil seine Chancen auf das Erbe Merkels größer gewesen wären. Die Kanzlerkandidatin wird für die Frauen wenig erreichen können, weil sie mit großer Wahrscheinlichkeit nicht Kanzlerin wird. In Hensels Interpretation wird Baerbock ihren Habeck noch nicht einmal auf dem Felde des Feminismus los. Dies ist die dritte bittere Ironie an Baerbocks
Kandidatur.
In der verbleibenden Zeit bis zur Wahl am 26. September soll ihm das Kunststück gelingen, für seine Partei Prozente zu retten, ohne die Spitzenkandidatin in den Schatten zu stellen. Für Baerbock ist die Lage mittlerweile so schlimm, dass sie sich in Interviews die Frage gefallen lassen muss, ob sie Habeck in möglichen Koalitionsverhandlungen die wichtigen Posten überlassen wird. Sie antwortet dann trotzig mit Politikersätzen, dass das Fell des Bären nicht verteilt wird, bevor er erlegt ist.
Dabei geht es schon lange nicht mehr um das Kanzleramt, von dem sie immer noch als „Kanzlerinnenamt“redet. Es geht um Regierungsämter mit Gewicht, wie zum Beispiel das Finanzministerium. Denn dass die Grünen an der Regierung beteiligt sein werden, ist sehr wahrscheinlich. Sie werden für eine Mehrheit gebraucht und sie wollen endlich die Oppositionsbank verlassen. Nach jetziger Lage werden sie als starker Juniorpartner an der Seite von Union oder SPD in das Kabinett einziehen. Sehr wahrscheinlich werden sie den Vizekanzler stellen. Erste Wahl dafür wäre Habeck, wenn Baerbock bei deutlich unter 20 Prozent landet. Vielleicht bekommt sie auch ein Ministerium, eines mit kleinerem Gestaltungsspielraum. Parteien sind mit Wahlverliererinnen grausam. Annalena Baerbock wäre endgültig dann das, was sie nie sein wollte. Die Frau an Habecks Seite.