Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie lange bleibt die Corona‰Ampel grün?

Bayern orientiert sich nicht mehr an der Inzidenz, sondern an der Zahl der Covid-Patienten in den Kliniken. Wie die Lage dort derzeit aussieht, welche Kritik es am neuen Konzept gibt und wie Mediziner in den Herbst blicken

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Wohl noch nie wurde so oft über Ampeln gesprochen wie in diesen Tagen. Zum einen ist da die anstehende Bundestags­wahl und ein denkbares Bündnis aus Rot, Grün und Gelb. Zum anderen – natürlich – die Corona-Pandemie, der die Politik im Freistaat nun mit einer Krankenhau­s-Ampel beikommen will. „Das ist eine grundlegen­de Richtungsw­eisung im Kampf gegen Corona“, sagt Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder. „Ein neues Kapitel.“

Diese neuen Seiten, die nun also im Corona-Drama aufgeschla­gen werden, bedeuten vor allem eine Abkehr von der Sieben-Tage-Inzidenz, die in den vergangene­n anderthalb Jahren so etwas wie die Fieberkurv­e der Republik war. Stattdesse­n ist jetzt die Klinik-Ampel maßgeblich, die auf Gelb schaltet, wenn bayernweit innerhalb von sieben Tagen mehr als 1200 Patienten mit einer Corona-Erkrankung neu in Krankenhäu­ser aufgenomme­n werden mussten. Dann soll es schärfere Maßnahmen geben – etwa die Rückkehr zur FFP2-Maskenpfli­cht.

Auf Rot schaltet die Ampel, wenn mehr als 600 Corona-Patienten auf den Intensivst­ationen des Freistaats liegen. Welche Maßnahmen dann getroffen werden, ist allerdings noch offen.

Derzeit leuchtet die Ampel grün. In den vergangene­n sieben Tagen mussten im Freistaat 232 Menschen wegen einer Corona-Infektion in ein Krankenhau­s eingewiese­n werden (Stand Mittwoch). Viele Mediziner befürchten aber bereits, dass sich die Situation in den kommenden Wochen verschlimm­ern wird. „Die Fallzahlen steigen in den letzten Tagen konstant“, sagt etwa Professor Dr. Michael Beyer, Ärztlicher Direktor und Vorstandsv­orsitzende­r des Augsburger Universitä­tsklinikum­s. Aktuell würden dort 14 Corona-Fälle auf der Normalstat­ion und 15 auf der Covid-Intensivst­ation behandelt. Nur ein stationär behandelte­r Patient ist Beyer zufolge mit einem in Europa nicht zugelassen­en Impfstoff geimpft, alle anderen sind ungeimpft.

Vor allem die intensivme­dizinische Behandlung der Covid19-Kranken sei enorm aufwendig, fährt Beyer fort. Die neue Krankenhau­s-Ampel ordnet er angesichts dessen so ein: „Der Wert von 600 Intensivpa­tienten der ,roten Stufe‘ entspricht circa 15 Prozent der betreibbar­en Intensivka­pazitäten in Bayern und dürfte ein frühzeitig­er, zusätzlich­er Indikator sein, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um die Infektions­zahlen zu senken.“

Dr. Wolfgang Geisser, Ärztlicher Direktor der Kreisklini­k Dillingen, äußert sich ähnlich wie sein Augsburger Kollege. Schon jetzt zeichne sich ab, dass die Zahlen stark ansteigen. „Wir spüren eine Zunahme der Krankenhau­spatienten. Und wir sehen, dass die Menschen, die wegen Covid behandelt werden müssen, sehr jung sind“, sagt er. „Wir Intensivme­diziner befürchten, dass sich die Situation in den kommenden Wochen deutlich verschlimm­ern wird.“Auch viele Kinder seien gefährdet, fährt Geisser fort. „Kinder erkranken auch, sie sind für eine Infektion genauso anfällig wie Erwachsene. Schwere Verläufe sind glückliche­rweise seltener, aber es gibt sie.“Man müsse nur in die USA blicken. In Bundesstaa­ten wie etwa Florida, in denen es an Schulen keine Schutzmaßn­ahmen mehr gebe, seien die Kinderklin­iken voll.

Alle Corona-Patienten des Landkreise­s Dillingen werden Geisser zufolge im Wertinger Krankenhau­s behandelt. Derzeit sind es fünf, zwei davon liegen auf der Intensivst­ation. Das klingt nicht nach sonderlich viel – in der Relation zu den verfügbare­n Betten sieht die Sache aber anders aus. „Es gibt in Wertingen sechs Intensivbe­tten. Zwei davon sind bereits jetzt mit Covid-Patienten über eine lange Zeit belegt.“

Dass die Zahlen der Corona-Patienten wieder steigen, bestätigt auch die Deutsche Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin (Divi). Erstmals seit dem 18. Juni werden wieder mehr als 1000 Covid-19-Patienten auf den

Intensivst­ationen in Deutschlan­d behandelt, wie aus einer aktuellen Datenerfas­sung des Intensivre­gisters hervorgeht. „Seit gut einem Monat steigen die Patientenz­ahlen wieder an – noch ist die Situation auf den Intensivst­ationen aber zu bewältigen“, sagt Divi-Präsident Professor Gernot Marx in einem Pressestat­ement. Damit es nicht zu einer Überlastun­g komme, müsse man aufs Impftempo drücken. „Wir wissen mittlerwei­le aus der Forschung, dass die Steigerung der Impfquote – und sei es nur um wenige Prozentpun­kte – schon eine große Auswirkung auf die Zahl intensivpf­lichtiger Covid-19-Patienten haben kann.“

Das Intensivre­gister hat auch aufgeschlü­sselt, wie die Situation in den vergangene­n Monaten im Freistaat aussah: Demnach gab es Anfang Januar dieses Jahres mehr als 900 intensivme­dizinisch behandelte Covid-19-Fälle in Bayern. Hätte es die Klinik-Ampel damals schon gegeben, wäre sie tiefrot gewesen. Das gilt auch für Ende April, als es mehr als 780 Corona-Intensivfä­lle im Freistaat gab. Aktuell liegen die Zahlen deutlich niedriger. Für den 1. September wurden 169 Patientinn­en und Patienten gemeldet, die derzeit auf einer bayerische­n Intensivst­ation liegen.

Am Ampel-Modell, das die Krankenhäu­ser vor einer Überlastun­g bewahren soll, gibt es auch Kritik. Aus Sicht der Deutschen Stiftung Patientens­chutz geht das Konzept an der Realität vorbei. Eugen Brysch, der Vorsitzend­e, spricht in einem Interview von einer unsinnigen Unterschei­dung zwischen normalen Krankenhau­sbetten und Intensivbe­tten. „In der Hochzeit der Belegung hatten wir sehr viel mehr Menschen auf Normal- als auf Intensivst­ation. Hier eine Differenzi­erung zu machen, wird der Wirklichke­it nicht gerecht.“Ähnlich äußert sich Roland Engehausen, Geschäftsf­ührer der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft, gegenüber unserer Redaktion: „Überrascht sind wir, dass für die Gelb-Phase ausschließ­lich der Sieben-Tages-Wert der Krankenhau­s-Neuaufnahm­en von Corona-Erkrankten gilt. Und für die Rot-Phase ausschließ­lich die Gesamt-Belegung mit Corona-Patienten auf Intensivst­ationen in Bayern bewertet wird.“Beide Parameter seien aus seiner Sicht für die gelbe Vorwarnstu­fe und die Rotphase relevant.

Und noch etwas sorgt für Diskussion­en: Die Hospitalis­ierungszah­len werden bayernweit erfasst, die Maßnahmen sollen aber gegebenenf­alls vor Ort geplant werden. Details, wie das aussehen soll, gibt es nicht. „Es ist völlig unklar, wie Regionen oder Kommunen gezielte Maßnahmen ergreifen sollen, wenn der Hauptindik­ator die bayernweit­e Krankenhau­s-Ampel ist“, sagt Christina Haubrich, die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der Grünen im Bayerische­n Landtag. „Entweder müsste man die Krankenhau­s-Ampel nach Regionen differenzi­eren oder aber es braucht zusätzlich­e Indikatore­n, die eine differenzi­ertere Bewertung vor Ort erlauben.“Bis jetzt sei auch unklar, was beim Umspringen der Krankenhau­s-Ampel auf Gelb oder Rot passieren soll. „Was bedeutet das für Schulen, Kitas, Krankenhäu­ser und Homeoffice? Die Infektions­zahlen steigen, da kann man diese Fragen nicht einfach unbeantwor­tet lassen.“

Die Krankenhäu­ser füllen sich wieder

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Foto: Anne Wall Steigen die Patientenz­ahlen in den Kliniken, dann schaltet die Krankenhau­s‰Ampel von Grün auf Gelb um.

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