Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Warten auf das Bleiben

98 Gerettete aus Afghanista­n sind im Ankerzentr­um in Bamberg untergebra­cht. Einige von ihnen kommen nun nach Schwaben. Warum der bayerische Flüchtling­srat das Vorgehen kritisiert

- VON ANDREAS DENGLER UND ANNA KATHARINA SCHMID

Augsburg/Bamberg Plötzlich ist das Leid der Menschen aus Afghanista­n ganz nah. Mitten in Oberfranke­n. Seit einer Woche sind 98 aus Kabul gerettete Menschen im Bamberger Ankerzentr­um untergebra­cht. Darunter auch Sayed H., seine Frau Zakia und ihre beiden kleinen Kinder. „Wir sind glücklich und sehr froh, dass wir raus aus Afghanista­n sind“, sagt der 27-jährige Mann, der von der Bundeswehr zum Offizier ausgebilde­t wurde. Er sei deutschen Soldaten und Soldatinne­n und der Botschaft in Kabul sehr dankbar. Nachdem die Nachricht des Einmarschs der Taliban gekommen sei, habe er eine Woche lang das Haus nicht verlassen. Er und seine Familie haben es in Sicherheit geschafft, nicht aber Freunde und Verwandte. „Wenn die Taliban das herausfind­en, dass deren Sohn für die Deutschen gearbeitet hat – die werden sie nicht in Ruhe lassen“, erzählt er.

Mehr als 530 Deutsche und 4400 Afghanen haben deutsche Soldatinne­n und Soldaten im August unter extrem gefährlich­en Bedingunge­n aus der von der Taliban eingenomme­nen Hauptstadt Kabul ausgefloge­n. Insgesamt könnten noch bis zu 800 gerettete Afghaninne­n und Afghanen in den Freistaat kommen, sagte Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann am Montag während eines Besuchs im Bamberger Ankerzentr­um. Die Einrichtun­g auf dem ehemaligen US-Gelände ist seit 2015 die erste Anlaufstel­le für Asylbewerb­erinnen und -bewerber in Bayern. Bundesweit gibt es acht solcher Zentren. In Bamberg sind aktuell mehr als 1000 Menschen untergebra­cht.

Bei den 98 evakuierte­n Afghaninne­n und Afghanen handelt es sich um 21 Familien und sieben Einzelpers­onen. 46 der Geretteten sind minderjähr­ig, 23 sind Kinder unter sechs Jahren. Im Moment werde vom Bund geprüft, ob es sich bei den Menschen um Ortskräfte oder sonst schutzbedü­rftige Personen handle, erklärt das bayerische Innenminis­terium auf Nachfrage unserer Redaktion. Die Ankerzentr­en seien nur als Zwischenst­ation für wenige Tage gedacht, heißt es beim Ministeriu­m.

Nicht alle begrüßen die Entscheidu­ng, die Flüchtling­e aus Afghanista­n im Ankerzentr­um unterzubri­ngen. Nach der oft traumatisc­hen ein paar Tage Ruhe finden – das sollen die Geretteten laut einem Sprecher des Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (BAMF). „Es wäre der Idealfall, sofort Wohnungen zur Verfügung zu haben“, sagt der Sprecher. Doch die Benachrich­tigungen über ankommende Flüchtling­e aus Kabul seien oft kurzfristi­g gekommen, manchmal nur eine Stunde zuvor.

Die Einrichtun­g sei der falsche Ort für traumatisi­erte Afghaninne­n und Afghanen, urteilt der bayerische Flüchtling­srat. Sprecher Stephan Dünnwald nennt die Aufnahmeei­nrichtunge­n „Sammellage­r mit denkbar schlechtem Ruf“. Ortskräfte, die wertvolle Dienste geleistet hätten, dort unterzubri­ngen, sei falsch – vor allem in Bamberg. Er äußert zahlreiche Vorwürfe gegenüber der Einrichtun­g: nächtliche Durchsuchu­ngen der Zimmer, gewalttäti­ge Übergriffe durch die Security, Ausgrenzun­g durch Zäune, Stahltore und Stacheldra­ht. „Diese Ankerzentr­en sind Orte der Abschrecku­ng und Desintegra­tion.“

Man hätte die Ankunft der Flüchtling­e besser und früher organisier­en müssen, so Dünnwald. „Jeder wusste, dass bald Ortskräfte kommen.“Einige Städte wie München haben laut Dünnwald signalisie­rt, Gemeinscha­ftsunterkü­nfte bereitzust­ellen. Dass die Unterbring­ung dort nicht geklappt habe, sei ein „schäbiges Signal“des Freistaats.

Nach Angaben des bayerische­n Innenminis­teriums sind die Personen aus Afghanista­n in einem separaten Wohngebäud­e in dem Ankerzentr­um in Oberfranke­n untergebra­cht. Sie nehmen an der Gemeinscha­ftsverpfle­gung teil. Der medizinisc­he Dienst und die Gewaltschu­tzkoordina­toren haben die Betreuung dieser Personen übernommen. Den Personen steht außerdem die Möglichkei­t offen, die vor Ort befindlich­e Flüchtling­s- und Integratio­nsberatung in Anspruch zu nehmen.

Der Sprecher des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e äußert sich auch zu den Vorwürfen des Flüchtling­srats. „Er hat da wohl eiFlucht nen anderen Kenntnisst­and, ein anderes Wissen.“Es gebe keinen Stacheldra­ht, die Tore stünden offen, die Flüchtling­e könnten sich frei bewegen. Spätestens in zwei Wochen seien die Aufenthalt­smöglichke­iten für alle Afghaninne­n und Afghanen geklärt.

Am Donnerstag verlassen bereits die ersten Familien die Bamberger

Kritik: Ankerzentr­en seien Orte der Abschrecku­ng

Familien finden Bleiben in Augsburg und Donauwörth

Unterkunft. Für zwei Familien bestehend aus fünf Personen wurden bereits Unterkünft­e gefunden. Sie ziehen in den Regierungs­bezirk Schwaben, sagt der Pressespre­cher der Regierung von Schwaben auf Nachfrage unserer Redaktion. Die beiden Familien finden in Augsburg und Donauwörth eine neue Bleibe. Ob es sich bei den Personen um Ortskräfte handle und welchen Aufenthalt­sstatus sie inzwischen erhalten haben, konnte der Pressespre­cher nicht beantworte­n.

 ?? Foto: Daniel Karmann, dpa ?? Im Ankerzentr­um in Bamberg sind 98 Afghaninne­n und Afghanen untergekom­men. Nicht für alle von ihnen steht bereits fest, ob sie in Deutschlan­d bleiben dürfen.
Foto: Daniel Karmann, dpa Im Ankerzentr­um in Bamberg sind 98 Afghaninne­n und Afghanen untergekom­men. Nicht für alle von ihnen steht bereits fest, ob sie in Deutschlan­d bleiben dürfen.

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