Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Kein Happy End für die Kinos
Die Corona-Lockerungen in Bayern helfen den Filmtheatern in ihren Nöten nicht. Ein Betreiber erklärt, warum eine Vollauslastung mit Maske keinen Sinn hat. Der Kino-Verband fordert dringend Nachbesserungen
Aichach/Berlin Wurden nicht eben und ab sofort die Corona-Auflagen in Bayern gelockert? Werner Rusch aber, Kinobetreiber an neun Standorten, sagt vor Beginn der neuen Spielwoche an diesem Donnerstag: „Wir lassen alles, wie es ist.“Er wirkt dabei reichlich ernüchtert. Wenn die neuen Regelungen nämlich bedeuteten, dass er für die Filmhäuser in seiner Heimat Aichach, aber etwa auch in Fürth, Memmingen, Königsbrunn oder Meitingen diese zwei Möglichkeiten zur Auswahl hat: getestetes, geimpftes oder genesenes Publikum in voll besetzten Sälen, aber mit lückenloser Maskenpflicht, oder weiterhin mit 1,5 Metern Abstand, jedoch ohne Maske – dann nimmt Rusch „ganz sicher“die zweite. Auch wenn das bedeute, dass er mit einer Maximalauslastung von 25 Prozent weiterhin „nicht kostendeckend“, erst recht nicht profitabel arbeiten kann.
Warum? Die Antwort kommt wortgleich zu seiner Einschätzung auch vom Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF) aus Berlin auf Anfrage unserer Zeitung: „Der Verzehr stellt im Kino einen elementaren Bestandteil der Einkünfte dar. Ohne diese Umsätze aus dem Verzehr könnten die Kinos finanziell nicht überleben.“Darum fordert der Verband auch, dass „hier dringend nachgebessert werden“müsse. Eine Vollauslastung mit Maske und quasi einem Verzehrverbot jedenfalls ergebe für Werner Rusch keinen Sinn. Kein Popcorn, keine Getränke – keine Geschäftsperspektiven. Das Mindeste, was er sich wünscht an Nachbesserungen, ist eine Verringerung des Abstands – von 1,5 Metern, die faktisch der Breite von zwei Sitzen entsprächen, auf einen Sitz. Bis wann? Bis zum Start des neuen Bond-Films am 30. September, zu dem die Betreiber traditionell viel Publikum erwarten? „Wir hoffen von Woche zu Woche“, sagt der Kinobetreiber aus Aichach.
Der HDF geht – „zumal während der gesamten Pandemie bisher kein einziger Covid-Ausbruch im Zusammenhang mit einem Kinobesuch bekannt geworden“sei – noch weiter und verweist auch darauf, dass die bayerische Verordnung da noch keine endgültige Klarheit bringe. Jedenfalls: Erst wenn diese so zu verstehen sei, dass bei 3G-Kontrolle und Vollauslastung der Säle auf dem Platz der Verzehr ohne Maske erlaubt sei, „beschreiten wir mit der jetzigen Neuregelung einen Weg in die richtige Richtung und streben diese auch als bundesweite Lösung an“. Schließlich, so der HDF: „Wie es weitergeht, bleibt abzuwarten. In Anbetracht des leider immer noch dynamischen Infektionsgeschehens muss man in der nächsten Zeit sicherlich erst einmal weiter auf Sicht fahren.“
Was aber heißt das konkret für einen wie Werner Rusch? Wie waren die Wochen seit der Wiedereröffnung am 1. Juli? Es sei viel los gewesen in den vergangenen Wochen, erzählt er: „Wir waren sehr überrascht, wie viele Leute wieder gekommen sind, da die Besucher nach dem ersten Lockdown eher verhalten waren.“Jetzt seien die Besucherzahlen besser als erwartet. „Es hat sich auch viel Programm angestaut“meint Rusch. ‚The Fast and Furious‘ ging ganz gut, das haben wir in vier Sälen gespielt. Eine Steigerung dazu war dann ‚Kaiserschmarrndrama‘. Das haben wir in sechs Sälen raufund runtergespielt. Da mussten wir teilweise die Leute wegschicken.“Ein Zeichen: Die Menschen sehnen sich wieder nach Kultur. Und jetzt stehen eben Kino-Höhepunkte wie Bond oder auch der Science-Fiction-Kracher „Dune“an…
Auch Anke Römer, zweite stellvertretende Vorsitzende beim HDF, spricht von einem „positiven Ergebnis“der vergangenen Wochen. Bis etwa Mitte August seien elf Millionen Besucherinnen und
Besucher in die deutschen Kinos gekommen – zum Vergleich: Etwa 17 Millionen waren es im gleichen Zeitraum im Jahr 2019, ohne Beschränkungen. Trotzdem ist Römer nicht allzu euphorisch: „Wir haben ermittelt: In den Bundesländern, die die 3G-Regelungen umsetzen müssen, ist die Auslastung um bis zu 50 Prozent geringer.“Also auch in Bayern. Dieser Flickenteppich und die Ungleichbehandlung, die daraus entsteht, sei für die Branche immer noch nicht nachvollziehbar, so Römer. Und das regt auch Werner Rusch auf – dass manche Bundesländer da viel weiter seien als Bayern, das jetzt für die Branche ja nur scheinbare Erleichterungen beschlossen habe.
Hamburg etwa ermöglicht eine 2G-Regelung – alles frei für
Geimpfte und Genesene. Entscheiden, wen sie hereinlassen, sollen dabei die Betreiber selbst. Eine Maskenpflicht gilt bei 2G nur, wenn man sich nicht am Platz befindet. Aber auch das hat Tücken: Der Freifahrtschein für die einen bedeutet im Gegenzug jedoch Einschränkungen für Ungeimpfte und NichtGetestete.
Das sieht auch Anke Römer so: „Diese Regel ist unverhältnismäßig. Wir Kinobetreiber sind nicht für den Impffortschritt des Landes verantwortlich.“Ungeimpfte vom kulturellen Leben auszuschließen, könne nicht der Weg sein. „Das wäre ja furchtbar, wenn wir in Zukunft nur noch die Geimpften reinlassen dürften. Kino ist Kultur. Und Kultur sollte für alle da sein.“
Werner Rusch jedenfalls macht sich Sorgen: „Wenn wir mit dieser Auslastung weitermachen müssen, brauchen wir für das zweite Halbjahr noch mal Unterstützung.“Denn auch ohne Pandemie ist das Geschäft ja keine Goldgrube. Die Branche stagniert seit Jahren. Und muss investieren, um sich zu behaupten: in gute IT, Soundanlagen, Liegesitze. Ein Erlebnis, das sich gegen die Konkurrenz des Streamings zu Hause behauptet.
Betreiberinnen und Betreiber in Bayern investierten darum trotz der Pandemie zuletzt mit mehr als drei Millionen Euro kräftig. Der Freistaat fördert diese Investitionen zusätzlich mit mehr als 670000 Euro, so der FilmFernsehFonds Bayern. Eine Förderung durch lockerere Regelungen wäre langsam aber noch viel wichtiger. Derzeit gibt es in Bayern 280 Kinos mit insgesamt 845 Leinwänden. Muss man ergänzen: noch?