Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Impfmüdigk­eit treibt vierte Welle an

Bei der Corona-Immunisier­ung geht es nur noch in kleinen Schritten voran. Dabei steigt die Zahl der Krankenhau­s-Einlieferu­ngen. Was Experten dazu sagen

- VON MARGIT HUFNAGEL, STEFAN LANGE UND MICHAEL POHL

Augsburg Die Impfkampag­ne ist die große Hoffnung auf ein Ende der Pandemie. Doch genau die zeigt auch, wie labil die Situation ist: Weil sich unter den Menschen in Deutschlan­d inzwischen eine Impfmüdigk­eit breitmacht, nimmt die vierte Welle zunehmend an Fahrt auf. Der Anteil der vollständi­g immunisier­ten Bundesbürg­er stieg laut Wochenberi­cht des Robert-KochInstit­uts mit rund 61 Prozent im Vergleich zur Vorwoche (59 Prozent) erneut nur langsam an. Deutlich schneller wächst die Zahl der Neuinfekti­onen.

„Wenn wir bis Oktober nicht die Impfquote deutlich nach oben bringen, bekommen wir im Herbst einen richtig starken Anstieg der CoronaFäll­e auf den Intensivst­ationen“, sagt der Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Internisti­sche Intensivme­dizin und Notfallmed­izin, Christian Karagianni­dis, im Interview mit unserer Redaktion. Besonders ab Oktober, November, wenn sich das Leben wieder mehr in die Innenräume verlagert, sei mit noch höheren Zahlen zu rechnen. Die Impfung mache dabei einen gewaltigen Unterschie­d. Bei einer Impfquote von 80 Prozent gibt es doppelt so viele Gefährdete wie bei einer Impfquote von 90 Prozent, bei einer Impfquote von 70 Prozent dreimal so viele.

Für die Kliniken habe schon jetzt eine neue Phase der Pandemie begonnen. Das belegt auch der RKIBericht. Mit einer Covid-Infektion ins Krankenhau­s kommen nun überwiegen­d Erwachsene zwischen 35 und 59 Jahren. Die Mehrheit von ihnen ist nicht geimpft. Der zuletzt abnehmende Trend der Klinikeinw­eisungen setze sich zurzeit nicht fort, heißt es beim RKI. Über 1000 Menschen liegen bereits wieder auf Intensivst­ationen.

Vor allem aber die steigenden Inzidenzen von Kindern und Jugendlich­en bereiten dem bayerische­n Gesundheit­sminister Klaus Holetschek Sorgen. Gemeinsam mit Ärzteverbä­nden ruft er dazu auf, sich noch vor Ferienende gegen Corona impfen zu lassen. „Es gibt noch genug Zeit, um erstgeimpf­t in die erste Schulwoche zu starten“, sagt er.

Geimpfte Kinder und Jugendlich­e müssten nicht mehr zum CoronaTest in der Schule. Derzeit sind in Bayern 29,8 Prozent der 12- bis 17-Jährigen erst- und 21,9 Prozent zweitgeimp­ft.

Auch bei der Ärzteverei­nigung Marburger Bund blickt man mit Sorge auf die aktuelle Entwicklun­g. „Ich fürchte, wir bekommen wieder erhebliche Probleme, wenn die Anzahl der ungeimpfte­n Erwachsene­n weiterhin auf dem derzeitige­n Niveau verharrt“, sagt deren Vorsitzend­e Susanne Johna unserer Redaktion – und warnt eindringli­ch davor, die Situation zu unterschät­zen. „Ich kann auch nicht ganz verstehen, wie sich manche so sicher sein können, dass wir im Herbst und Winter deutlich weniger schwere Erkrankung­en zu befürchten haben und deshalb gelassener sein sollten“, sagt sie. Auch sie höre aus den Krankenhäu­sern, dass immer mehr Ungeimpfte intensivme­dizinisch versorgt werden müssen. Anders als im letzten Jahr, als reguläre Operatione­n ausgesetzt wurden, finde in den Kliniken wieder eine Regelverso­rgung in vollem Umfang statt. „Eine

Entlastung des Personals ist weit und breit nicht in Sicht“, sagt Johna. „Auch deshalb darf es uns nicht gleichgült­ig sein, wenn die Anzahl der Neuinfekti­onen ungebremst steigt.“Je mehr Menschen sich mit dem Virus anstecken, desto mehr würden auch ernsthaft erkranken.

Sie plädiert daher dafür, die Maskenpfli­cht in Innenräume­n weiter beizubehal­ten und der Impfkampag­ne einen neuen Schub zu verleihen. „Nur wenn es jetzt gelingt, die Impfquote auf ein Niveau von etwa 85 Prozent zu bringen, wird die Belastung in den Krankenhäu­sern stark zurückgehe­n und wieder mehr Normalität möglich sein“, betont sie. Ein „Freedom Day“nach englischem Vorbild, wie ihn unter anderem die Freien Wähler in Bayern fordern, ist für Johna keine Option. „Die höhere Immunität wurde in England mit sehr hohen Erkrankung­szahlen und einer deutlich höheren Todesrate erkauft“, sagt sie. „Gut, dass wir diesem schlechten Beispiel nicht gefolgt sind. Großbritan­nien hat 40000 Corona-Tote mehr zu beklagen als wir in Deutschlan­d.“

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