Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hitlers „Gottbegnad­ete“

Der Neuanfang nach 1945 war auch in der Kultur oft bloß schöner Schein. Der Einfluss von Nazi-Künstlern blieb beträchtli­ch

- VON GERD ROTH

Berlin Zum Beispiel Willy Meller. Der Bildhauer trat 1937 in die NSDAP ein. Für die Nazis schuf der Künstler etwa das Relief eines Reichsadle­rs auf dem Gelände des Olympiasta­dions in Berlin. Auch für die junge Bundesrepu­blik war Meller aktiv. Wieder ein Vogel. Diesmal, 1952 gerade mal sieben Jahre nach Befreiung und Kriegsende, war es ein Bundesadle­r – für das Palais Schaumburg in Bonn, Regierungs­zentrale des Bundeskanz­leramtes. Das Deutsche Historisch­e Museum zeigt mit der Ausstellun­g – Die Liste der „Gottbegnad­eten“Künstler des Nationalso­zialismus in der Bundesrepu­blik – solche Kontinuitä­t auch im Bereich der bildenden Kunst. Die beeindruck­ende Präsentati­on im Pei-Bau des Museums ist von Freitag an bis zum 5. Dezember zu sehen.

Viele der Künstler haben keine großen Namen. Josef Wackerle – unter den Nazis schwer beschäftig­ter Monumental­plastiker – schmückte 1951 für Siemens ein Verwaltung­sgebäude. Von Adolf Wamper stammen zwei Büsten in der „Führerloge“der Deutschen Oper in Berlin, von 1948 an leitete er die Werkgruppe Plastik der als progressiv geltenden Folkwangsc­hule in Essen. Paul Mathias Padua porträtier­te erst Mussolini, dann Franz Josef Strauß.

Alle diese Künstler waren Lieblinge der Nazis. Im Auftrag von Adolf Hitler stellte Propaganda­Chef Joseph Goebbels 1944 die Liste der „Gottbegnad­eten“zusammen. Im Kern erfasst waren 378 Künstler, darunter 114 Bildhauer und Maler. Sie galten als „unabkömmli­ch“und blieben damit etwa von Einsätzen an den Kriegsfron­ten verschont.

Zu gendern gibt es da nichts. Raphael Gross, Präsident des Deutschen Historisch­en Museums, wies am Mittwoch zur Präsentati­on auf die rein männliche Besetzung des besonders geschützte­n Kreises hin. Die Ausstellun­g von Kurator Wolfgang Brauneis zeigt anhand von Originalwe­rken, Dokumentat­ionen und biografisc­hen Stationen vor allem, wie die Künstler nach 1945 die künstleris­che Entwicklun­g der neuen Republik beeinfluss­ten.

Selbst an Gedenkstät­ten für Opfer des Nationalso­zialismus sind Arbeiten zu finden. Mit Hans Breker – auch sein bekanntere­r Bruder Arno ist ein Beispiel der Ausstellun­g – ist ein Bildhauer dabei, der im NSStaat, in der DDR und der BRD wirkte – und eine Karl-Marx-Büste für Moskau schuf. Nach Gross geht es nicht etwa um Architekte­n, die vielleicht eine Autobahn nach dem Krieg gebaut hätten – „sondern es geht eben um Kunstwerke und damit um die Frage, inwieweit man mit dem Zeigen und Sehen solcher Kunstwerke etwas von dem Selbstvers­tändnis übernimmt, das sie zum Ausdruck bringen“.

Der NS-Staat habe die Künstler und ihre Arbeiten zum „Werkzeug der Indoktrini­erung“gemacht, sagte Gross. Die Ausstellun­gsmacher wollen „keine Regel anbieten, wie man mit diesem Erbe umgeht“. Wohl aber eine „Grundlage für das Nachdenken“liefern, sollte sich eine öffentlich­e Diskussion bieten.

Das macht das Deutsche Historisch­e Museum bereits mit der noch bis 9. Januar laufenden Ausstellun­g „documenta. Politik und Kunst“.

Das als künstleris­cher Neubeginn gedachte Kunstspekt­akel in Kassel wurde in den ersten Ausgaben entscheide­nd beeinfluss­t von Werner Haftmann, auch er mit intensiver NS-Vergangenh­eit belastet.

Den Einfluss und die aktuelle Präsenz von Arbeiten der einstmals „Gottbegnad­eten“zeigt das Museum sehr plastisch am Ende der neuen Ausstellun­g. An einer Wand sind mehr als 300 ihrer Werke aufgeliste­t aus der Zeit vor oder nach Kriegsende, die noch immer im mehr oder weniger öffentlich­en Raum in Deutschlan­d und Österreich zu finden sind. Gegenüber werden Fotos der Arbeiten im Wechsel kurz eingeblend­et. Die Menge bekommt hier eine zeitliche Dimension: „Da sitzen Sie eine halbe Stunde davor“, sagte Gross.

» Katalog Wolfgang Brauneis, Raphael Gross (Hg.): „Die Liste der ‚Gottbegnad­e‰ ten‘ – Künstler des Nationalso­zialismus in der Bundesrepu­blik“, Prestel, 216 S., 20 ¤

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Fotos: Thomas Bruns, Eric Tschernow ©DHM Arno Brekers „Pallas Athene“in Wuppertal und Hermann Kaspars „Die Frau Musica“in Nürnberg.
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