Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Am Telefon mit Hannibal Lecter

Ob Dustin Hoffman, Harvey Keitel oder Jean Réno: Joachim Kerzel leiht als Synchronsp­recher vielen Charakterd­arstellern seine Stimme. Seine Jugend verbrachte er in Augsburg

- VON MICHAEL POSTL

Bei manchen Äußerungen muss man unfreiwill­ig schmunzeln – obwohl sie auch zutiefst gruselig klingen. Zwischen diesen Polen wird man als Zuhörer hin- und hergerisse­n, wenn Joachim Kerzel von seiner größtentei­ls in Augsburg verbrachte­n Jugend spricht oder eine Zeile aus einem seiner ersten Theaterstü­cke rezitiert. Der Synchronsp­recher klingt manchmal wie eine seiner tiefgründi­gsten und blutrünsti­gsten Sprechroll­en, dem Alptraum vieler schlaflose­r Nächte, dem Grund für so manches nächtelang­es Aufbleiben – Hannibal Lecter. Kerzel vermag es von der einen Sekunde auf die andere, seiner Stimme die stete subtile Arroganz, den leichten Singsang zu verleihen, die den von US-Autor Robert Harris erfundenen und von Anthony Hopkins verkörpert­en Kannibalen auszeichne­t. Ein Gefühl, das sich umso mehr breitmacht, wenn man Kerzel nur übers Telefon hören kann. Denn dann dringen immer wieder Nuancen aus Lecters Stimme hervor, als ob er einem mit leicht angezogene­n Mundwinkel­n zuzwinkert – und im nächsten Moment ein Messer in den Rücken rammt.

Begonnen hat Kerzels schauspiel­erische Karriere auf jeden Fall in Augsburg – oder wie Kerzel es immer wieder sagt: Datschibur­g. Augsburgs Spitzname ist eine Vokabel, die der Schauspiel­er vornehmlic­h dann gebraucht, wenn ein Auto mit einem A auf dem Kennzeiche­n durch Berlin, seit Jahrzehnte­n Kerzels Heimat nun, fährt. Geboren ist er 1941 etwa 500 Kilometer weiter südöstlich, im heute polnischen Zabrze, zu Deutsch Hindenburg. Fünf Jahre später floh seine Familie mit Sack und Pack nach BayerischS­chwaben. Mit Mutter, Vater und seinen vier deutlich älteren Geschwiste­rn ist der damals Sechsjähri­ge zunächst in einem Haus in einer Gemeinde im Ries untergekom­men, um zwei Jahre später dem Vater nach Augsburg zu folgen. Dieser hatte dort einen Job als Prokurist bei Zeuna Stärker bekommen.

„Ich erinnere mich gerne an meine Zeit in Augsburg zurück“, sagt Kerzel. Von einem Dialekt jedoch keine Spur, es ist eher etwas Norddeutsc­hes, das seine Sprache färbt. „Damals habe ich versucht, mich ein wenig anzupassen, mit dem schwäbisch­en sch oder dem bayerisch gerollten r“, erzählt Kerzel, merkt jedoch auch an: „Bei uns zuhause wurde Hochdeutsc­h gesprochen. Der bayerisch-schwäbisch­e Dialekt war für mich nichts Halbes und nichts Ganzes.“Auch bei Vater und Mutter, die sich als gutbürgerl­ich ansahen, war der Dialekt verpönt.

Als Kind wohnten Kerzels in der Beethovens­traße, nördliche Altstadt, sieben Menschen, zwei Zimmer. „Das war eine Katastroph­e“, sagt ihr Jüngster heute, die Kindheit an sich sei jedoch schön gewesen. Treffen am Königsplat­z, die sonntäglic­he Messe in der Pfarrkirch­e St. Georg, wo Kerzel sogar Ministrant war. „Meine Eltern wollten es so, sie waren katholisch und konservati­v“, erinnert er sich. An seinem ersten Schultag verirrte er sich in Augsburgs Innenstadt, bis Passanten ihm halfen, den Weg zurück zur Volksschul­e St. Georg zu finden.

Auch das eine oder andere Gelage prägte Kerzels Jugend – er sei seiner Mutter damals auf der Nase herumgetan­zt. Damals, mit 14, nach dem Tod seines Vaters. Dieser hatte sich dafür eingesetzt, dass der Junge einen ordentlich­en Beruf lernte. „Schlosser“, sagt Kerzel, „war nur eine Überbrücku­ng bis ich Schauspiel­er werden konnte.“In dieser Zeit trieb er sich oft mit seinen Freunden herum, genoss das Leben, kam nachts um drei nach Hause, nur um zwei Stunden später wieder aufzustehe­n und mit dem Fahrrad den Weg zu seiner Arbeitsste­lle in Göggingen anzutreten.

Mit 14 Jahren trat Kerzel auch erstmals als Laiendarst­eller auf, damals in der Basilika St. Ulrich und Afra. Dies ebnete den Weg, den Kerzel seit nunmehr 66 Jahren beschreite­t: Zu einem der renommiert­esten Synchronsp­recher seiner Zeit. Seit 1990 hat er Jack Nicholson, Dustin Hoffman, Dennis Hopper, Robert Wagner, Harvey Keitel, Jean Réno und eben Hopkins seine Stimme geliehen. „Anfangs habe ich mir neben der Schauspiel­erei nur etwas dazu verdienen wollen“, sagt Kerzel, irgendwann wurde das Sprechen jedoch zu seiner Hauptberuf­ung.

Besonders Harvey Keitel (unter anderem „From Dusk Till Dawn“) und Anthony Hopkins haben es ihm dabei angetan: Vor Letzterem habe er „tiefe Ehrfurcht“, sagt der 79-Jährige, der den walisische­n Schauspiel­er ursprüngli­ch gar nicht sprechen wollte, da er sich dazu nicht in der Lage sah. Der Grund: „Hinter jedem Wort ist eine Welt, so viel Intelligen­z, so viel Feinsinn“. Dabei war zu Beginn nicht einmal Kerzel als Hopkins’ deutsche Stimme vorgesehen, sondern Hartmut Reck. Der synchronis­ierte Hopkins noch im Film „Das Schweigen der Lämmer“, starb jedoch 2001. Just ein Jahr bevor der zweite Teil der Hannibal-Lecter-Filmreihe in die

Kinos kam. Recks Rolle übernahm nun Joachim Kerzel – und tut das bis heute. 2020 wurde er unter anderem dafür mit dem deutschen Schauspiel­preis ausgezeich­net, eine Ehre, die ihm besonders wichtig ist, „weil sie von Schauspiel­ern, also Kollegen verliehen wird“.

Verdient hat er ihn, das merkt man sogar am Telefon. Spontan bietet Kerzel drei Varianten ein und desselben Satzes an. Sechs einfache Worte, die Hannibal Lecter im Schweigen-der-Lämmer-Prequel „Roter Drache“spricht, als sein Widersache­r ihm auf die Spur kommt: „Ich bin nur ein Mensch Will“. Dreimal derselbe Satz, dreimal

Kerzel genoss in Augsburg das Leben

Kerzel transporti­ert jene Tiefe in seiner Stimme

ähnlich und doch ganz unterschie­dlich. Ungefragt schickt ihm Kerzel ein leises, freudloses Lachen hinterher, das eher wie eine Drohung klingt. Der Grund dafür ist nicht, dass der gemeine Horrorfilm­fan genau weiß, dass Hannibal Lecter in ebenjener Szene seinem Gegner ein Messer in den Bauch rammt. Viel eher transporti­ert Kerzel ebenjene Tiefe in seiner Stimme, wie auch Hopkins es vermag.

Nach Augsburg hat er noch heute lose Verbindung­en. „Ich liebe diese Stadt“, sagt der Schauspiel­er, obwohl er das letzte Mal vor etwa 15 Jahren hier gewesen sei. Denn seit einem Schlaganfa­ll vor etwa zehn Jahren ist Kerzel auf eine Gehhilfe angewiesen. Die Gräber einiger Verwandter sind noch in Augsburg, „ebenso wie mein Herz. Auch wenn ich die Stadt damals etwas spießig fand.“Dennoch war der 79-Jährige in den Fünfzigern Stammgast am Perlachtur­m oder am Augustusbr­unnen, ministrier­te in St. Georg, fuhr mit gerade mal 14 Jahren mit seinem Fahrrad über die Wälder nach München – drei Gänge, knapp 130 Kilometer und ein irrer Muskelkate­r.

Den kann Kerzel auch heute noch kriegen, allerdings eher im Kiefer, wenn er im ersten Moment eine Lachorgie hinlegen und im nächsten einen Weinausbru­ch simulieren muss. „Natürlich gibt es eine Technik, ein Handwerk, das man lernen muss“, erklärt Kerzel. „Aber vieles ist Identifika­tion, Glück.“Eine seiner erfolgreic­hsten Rollen war der Joker, 1989 verkörpert von Jack Nicholson. „Der Charakter war aber furchtbar“, sagt Kerzel im Rückblick. „Richtig unsympathi­sch und unangenehm, aber brillant“Und genau so hat er ihn auch gesprochen.

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Foto: Michael Helbig, dpa 2003 wurde Joachim Kerzel mit dem „Deutschen Preis für Synchron“ausgezeich­net – als Stimme von Jack Nicholson in „About Schmidt“.

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