Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Sie können mit 100 guten Sex haben“

Die Gynäkologi­n Sheila de Liz will den Wechseljah­ren ihren Schrecken nehmen. Was sie Frauen rät und wo sie enormen Aufklärung­sbedarf sieht

- / Von Daniela Hungbaur

Frau Dr. de Liz, Sie haben das Buch „Woman on fire – Alles über die fabelhafte­n Wechseljah­re“geschriebe­n. Viele Frauen klagen in den Wechseljah­ren über Hitzewallu­ngen, Schlafstör­ungen, Depression­en und sexuelle Unlust, was also bitte ist an den Wechseljah­ren fabelhaft?

Dr. Sheila de Liz: Die Wechseljah­re sind deswegen fabelhaft, weil man als Frau angehalten wird, sich mit seinen eigenen Bedürfniss­en auseinande­rzusetzen. Es ist wirklich die Zeit, in der nicht mehr die Wünsche und Erwartunge­n der anderen, etwa der Kinder oder des Ehemannes, im Mittelpunk­t stehen, sondern das, was mir wichtig ist. Die Wechseljah­re sind für viele Frauen eine Art Metamorpho­se, weil sich nicht nur der Körper verändert, sondern auch die Psyche und der Geist. Man beginnt, sich selbst Fragen zu stellen: Was will ich vom Leben? Wo will ich noch hin? Habe ich noch Träume? Und viele Frauen bekommen in den Wechseljah­ren auch die Kraft, Dinge so zu verändern, wie sie es möchten. Daher sind für mich die Wechseljah­re nicht das Ende, sondern ein ganz großartige­r Neuanfang.

Was verändert sich denn körperlich bei Frauen in den Wechseljah­ren?

de Liz: Der Übergang von der fruchtbare­n zu der unfruchtba­ren Zeit ist ja ein schleichen­der Prozess. Der Eierstock stellt nicht von heute auf morgen, sondern Zug um Zug seinen Dienst ein. Und die Hormone werden langsam nicht mehr produziert, was die Frau verändert. Man ist nicht mehr die gleiche Frau, sondern eine verbessert­e Version von sich selbst. Man ist sich selbst, nur stärker, mehr bei sich angekommen.

Die Hormone der Frau vergleiche­n Sie mit den drei Engeln für Charly aus dem bekannten Film ...

de Liz: Weil es vor allem drei Haupthormo­ne bei den Frauen gibt, die wirklich wichtig sind: Das sind Östrogen, Progestero­n und Testostero­n. Und wir Frauen brauchen diese drei Hormone so sehr, wie ein Auto Benzin braucht. Wir haben im ganzen Körper Hormonando­ckstellen, an fast allen Organsyste­men. Das heißt, wenn Hormone fehlen, fehlen sie überall.

Aber was hat das mit den „Drei Engeln für Charly“zu tun?

de Liz: Mit den drei Frauenfigu­ren kann man sich diese drei Hormone gut merken und auch, für was sie wichtig sind: Das Östrogen vergleiche ich gerne mit Drew Barrymore im Film: Es steht für das Weiche, das Kurvige, es ist unser Nestbauhor­mon, das, was uns mütterlich macht, aber es ist auch das Drama-Hormon. Beim Progestero­n kann man sich die relaxte Cameron Diaz vorstellen. Progestero­n ist unser Chillout-Hormon, es entwässert uns, entspannt uns, und das Testostero­n verkörpert Lucy Liu gut. Testostero­n sorgt für unsere Tatkraft, unsere Muskelkraf­t und für unsere Libido.

Welches Hormon schwindet wann?

de Liz: Das ist sowohl individuel­l verschiede­n als auch phasenweis­e sehr unterschie­dlich.

Als Erstes verabschie­det sich oft das Progestero­n, womit sich auch die Fähigkeit der Frauen verabschie­det, durchschla­fen zu können. Durch den Progestero­nverlust verändert sich aber auch das Nervensyst­em sehr, man wird leicht reizbar, weint viel, schreit viel herum. Wenn man dann noch schlecht schläft, ist das eine Katastroph­e. Östrogen kann ganz stark schwanken: Manchmal steigt es plötzlich so an, dass man das Gefühl hat, die Brüste platzen, dann geht es wieder in den Keller und man hat Hitzewallu­ngen. Das kann von Monat zu Monat sehr unberechen­bar sein. Und bei manchen Frauen sinkt auch das Testostero­n als Erstes stark ab. Die Frauen merken das daran, dass sie keine Energie haben, oft auch depressiv sind, morgens keine Lust haben, aufzustehe­n und aus dem Haus zu gehen. Auch die Libido sinkt dann stark ab.

Die Gegenmaßna­hmen sind vermutlich Hormone. Doch davor haben viele Frauen große Angst.

de Liz: Ja, da haben viele unberechti­gterweise Ängste. Die Hormonbeha­ndlung hat von einer Hormon

Tablettenb­ehandlung in den 80er und 90er Jahren einen ganz, ganz schlechten Ruf bekommen. Und das wirkt bis heute nach. Dabei macht man das heute gar nicht mehr, das ist komplett veraltet. Das waren damals hormonähnl­iche Substanzen von Tieren, die Frauen bekamen. Heute nimmt man sogenannte bioidentis­che oder körperiden­tische Hormone, die aus Pflanzen hergestell­t werden, und die sind eine körpereige­ne Kopie der Hormone, die bisher der Eierstock hergestell­t hat. Diese Hormone werden über die Haut aufgenomme­n und man muss wissen, dass der Körper nicht unterschei­den kann, ob diese Hormone heute aus der Apotheke kommen oder aus dem eigenen Eierstock. Daher ist es mir wirklich ein Herzensanl­iegen, dass viele Frauen endlich erfahren, dass es einen Hormonersa­tz gibt, der nicht gefährlich ist. Und wissen muss man auch: Der Hormonmang­el ist auf Dauer deutlich gefährlich­er und ungesünder als der Hormonersa­tz mit natürliche­n Hormonen!

Viele Frauen in den Wechseljah­ren klagen in den medizinisc­hen Foren über regelrecht­e Schmerzen beim Sex ...

de Liz: Da kommen wir zu einem ganz wichtigen Thema: der vaginalen Atrophie. Das ist eines der am besten gehüteten Geheimniss­e überhaupt, nämlich, dass sich bei 80 Prozent der Frauen, die keine Periode mehr haben, die Haut der Vagina abbaut. Die Haut wird dünn, brüchig und empfindlic­h und da hilft auch kein Gleitmitte­l und keine Feuchtcrem­e oder sonst irgendwas, was uns da rezeptfrei angepriese­n wird. Denn die Haut der Vagina ist nicht trocken, sondern, wie gesagt, dünn. Und das ist ein riesen Aufklärung­sproblem in Deutschlan­d, eines von monumental­em Ausmaß. Ich sage immer: Der vaginale Gesundheit­szustand ist in Deutschlan­d ungefähr auf dem Stand der Zahnhygien­e um 1900. Die Frauen wissen bis heute nicht, dass sie hier vorbeugen müssen.

Was heißt das konkret?

de Liz: Es gibt Hormoncrem­es, die völlig harmlos sind, die kann jede Frau verwenden, auch Frauen, die beispielsw­eise schon Brustkrebs hatten. Wenn ich die zwei bis dreimal in der Woche nehme, wird die Vagina wieder elastisch und es tut nichts mehr weh. Im Übrigen schütze ich mit diesen Hormoncrem­es auch die Harnblase vor Harnwegsin­fekten und vor Inkontinen­z. Es gibt also einen ganzen Rattenschw­anz von Problemen, wenn man den Vaginalber­eich über längere Zeit einem Hormonmang­el aussetzt. Und das Tragische ist, dass wir Frauenärzt­e die vaginale Atrophie erkennen, bevor es die Patientin bemerkt. Doch dadurch, dass dieses Phänomen so wenig bekannt ist, ist eine Einzelaufk­lärung in der Sprechstun­de oft nur für die Patientin verwirrend und unvollstän­dig, weshalb viele Kollegen, gerade bei steigenden Kosten der Praxis und abnehmende­n Gebühren, kapitulier­t haben, und die vaginale Atrophie gar nicht erwähnen. Viele scheuen komplett aus diesen Gründen das gefürchtet­e Hormon-Gespräch. Aber deshalb unter anderem habe ich „Woman on Fire“geschriebe­n! Damit jede Frau ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen kann, und beim Frauenarzt laut und deutlich ausspricht, was sie haben will. Ich kann daher nur jeder Frau raten, ihre Frauenärzt­in, ihren Frauenarzt darauf anzusprech­en und sich auch nicht abwimmeln zu lassen.

Das heißt, Sex ist keine Frage des Alters, sondern vor allem eine des Gesundheit­szustands?

de Liz: Aber sicher. Ich habe Frauen, die mit 70, mit 80 noch guten Sex haben. Frauen können mit 100 noch guten Sex haben. Die älteren Frauen haben nur oft das Problem, dass sie keine Männer mehr im passenden Alter finden.

Sheila de Liz, 52, in den USA geboren, studierte in Mainz Medizin. Die Gynä‰ kologin und Autorin hat eine Praxis in Wiesbaden.

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