Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Sie können mit 100 guten Sex haben“
Die Gynäkologin Sheila de Liz will den Wechseljahren ihren Schrecken nehmen. Was sie Frauen rät und wo sie enormen Aufklärungsbedarf sieht
Frau Dr. de Liz, Sie haben das Buch „Woman on fire – Alles über die fabelhaften Wechseljahre“geschrieben. Viele Frauen klagen in den Wechseljahren über Hitzewallungen, Schlafstörungen, Depressionen und sexuelle Unlust, was also bitte ist an den Wechseljahren fabelhaft?
Dr. Sheila de Liz: Die Wechseljahre sind deswegen fabelhaft, weil man als Frau angehalten wird, sich mit seinen eigenen Bedürfnissen auseinanderzusetzen. Es ist wirklich die Zeit, in der nicht mehr die Wünsche und Erwartungen der anderen, etwa der Kinder oder des Ehemannes, im Mittelpunkt stehen, sondern das, was mir wichtig ist. Die Wechseljahre sind für viele Frauen eine Art Metamorphose, weil sich nicht nur der Körper verändert, sondern auch die Psyche und der Geist. Man beginnt, sich selbst Fragen zu stellen: Was will ich vom Leben? Wo will ich noch hin? Habe ich noch Träume? Und viele Frauen bekommen in den Wechseljahren auch die Kraft, Dinge so zu verändern, wie sie es möchten. Daher sind für mich die Wechseljahre nicht das Ende, sondern ein ganz großartiger Neuanfang.
Was verändert sich denn körperlich bei Frauen in den Wechseljahren?
de Liz: Der Übergang von der fruchtbaren zu der unfruchtbaren Zeit ist ja ein schleichender Prozess. Der Eierstock stellt nicht von heute auf morgen, sondern Zug um Zug seinen Dienst ein. Und die Hormone werden langsam nicht mehr produziert, was die Frau verändert. Man ist nicht mehr die gleiche Frau, sondern eine verbesserte Version von sich selbst. Man ist sich selbst, nur stärker, mehr bei sich angekommen.
Die Hormone der Frau vergleichen Sie mit den drei Engeln für Charly aus dem bekannten Film ...
de Liz: Weil es vor allem drei Haupthormone bei den Frauen gibt, die wirklich wichtig sind: Das sind Östrogen, Progesteron und Testosteron. Und wir Frauen brauchen diese drei Hormone so sehr, wie ein Auto Benzin braucht. Wir haben im ganzen Körper Hormonandockstellen, an fast allen Organsystemen. Das heißt, wenn Hormone fehlen, fehlen sie überall.
Aber was hat das mit den „Drei Engeln für Charly“zu tun?
de Liz: Mit den drei Frauenfiguren kann man sich diese drei Hormone gut merken und auch, für was sie wichtig sind: Das Östrogen vergleiche ich gerne mit Drew Barrymore im Film: Es steht für das Weiche, das Kurvige, es ist unser Nestbauhormon, das, was uns mütterlich macht, aber es ist auch das Drama-Hormon. Beim Progesteron kann man sich die relaxte Cameron Diaz vorstellen. Progesteron ist unser Chillout-Hormon, es entwässert uns, entspannt uns, und das Testosteron verkörpert Lucy Liu gut. Testosteron sorgt für unsere Tatkraft, unsere Muskelkraft und für unsere Libido.
Welches Hormon schwindet wann?
de Liz: Das ist sowohl individuell verschieden als auch phasenweise sehr unterschiedlich.
Als Erstes verabschiedet sich oft das Progesteron, womit sich auch die Fähigkeit der Frauen verabschiedet, durchschlafen zu können. Durch den Progesteronverlust verändert sich aber auch das Nervensystem sehr, man wird leicht reizbar, weint viel, schreit viel herum. Wenn man dann noch schlecht schläft, ist das eine Katastrophe. Östrogen kann ganz stark schwanken: Manchmal steigt es plötzlich so an, dass man das Gefühl hat, die Brüste platzen, dann geht es wieder in den Keller und man hat Hitzewallungen. Das kann von Monat zu Monat sehr unberechenbar sein. Und bei manchen Frauen sinkt auch das Testosteron als Erstes stark ab. Die Frauen merken das daran, dass sie keine Energie haben, oft auch depressiv sind, morgens keine Lust haben, aufzustehen und aus dem Haus zu gehen. Auch die Libido sinkt dann stark ab.
Die Gegenmaßnahmen sind vermutlich Hormone. Doch davor haben viele Frauen große Angst.
de Liz: Ja, da haben viele unberechtigterweise Ängste. Die Hormonbehandlung hat von einer Hormon
Tablettenbehandlung in den 80er und 90er Jahren einen ganz, ganz schlechten Ruf bekommen. Und das wirkt bis heute nach. Dabei macht man das heute gar nicht mehr, das ist komplett veraltet. Das waren damals hormonähnliche Substanzen von Tieren, die Frauen bekamen. Heute nimmt man sogenannte bioidentische oder körperidentische Hormone, die aus Pflanzen hergestellt werden, und die sind eine körpereigene Kopie der Hormone, die bisher der Eierstock hergestellt hat. Diese Hormone werden über die Haut aufgenommen und man muss wissen, dass der Körper nicht unterscheiden kann, ob diese Hormone heute aus der Apotheke kommen oder aus dem eigenen Eierstock. Daher ist es mir wirklich ein Herzensanliegen, dass viele Frauen endlich erfahren, dass es einen Hormonersatz gibt, der nicht gefährlich ist. Und wissen muss man auch: Der Hormonmangel ist auf Dauer deutlich gefährlicher und ungesünder als der Hormonersatz mit natürlichen Hormonen!
Viele Frauen in den Wechseljahren klagen in den medizinischen Foren über regelrechte Schmerzen beim Sex ...
de Liz: Da kommen wir zu einem ganz wichtigen Thema: der vaginalen Atrophie. Das ist eines der am besten gehüteten Geheimnisse überhaupt, nämlich, dass sich bei 80 Prozent der Frauen, die keine Periode mehr haben, die Haut der Vagina abbaut. Die Haut wird dünn, brüchig und empfindlich und da hilft auch kein Gleitmittel und keine Feuchtcreme oder sonst irgendwas, was uns da rezeptfrei angepriesen wird. Denn die Haut der Vagina ist nicht trocken, sondern, wie gesagt, dünn. Und das ist ein riesen Aufklärungsproblem in Deutschland, eines von monumentalem Ausmaß. Ich sage immer: Der vaginale Gesundheitszustand ist in Deutschland ungefähr auf dem Stand der Zahnhygiene um 1900. Die Frauen wissen bis heute nicht, dass sie hier vorbeugen müssen.
Was heißt das konkret?
de Liz: Es gibt Hormoncremes, die völlig harmlos sind, die kann jede Frau verwenden, auch Frauen, die beispielsweise schon Brustkrebs hatten. Wenn ich die zwei bis dreimal in der Woche nehme, wird die Vagina wieder elastisch und es tut nichts mehr weh. Im Übrigen schütze ich mit diesen Hormoncremes auch die Harnblase vor Harnwegsinfekten und vor Inkontinenz. Es gibt also einen ganzen Rattenschwanz von Problemen, wenn man den Vaginalbereich über längere Zeit einem Hormonmangel aussetzt. Und das Tragische ist, dass wir Frauenärzte die vaginale Atrophie erkennen, bevor es die Patientin bemerkt. Doch dadurch, dass dieses Phänomen so wenig bekannt ist, ist eine Einzelaufklärung in der Sprechstunde oft nur für die Patientin verwirrend und unvollständig, weshalb viele Kollegen, gerade bei steigenden Kosten der Praxis und abnehmenden Gebühren, kapituliert haben, und die vaginale Atrophie gar nicht erwähnen. Viele scheuen komplett aus diesen Gründen das gefürchtete Hormon-Gespräch. Aber deshalb unter anderem habe ich „Woman on Fire“geschrieben! Damit jede Frau ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen kann, und beim Frauenarzt laut und deutlich ausspricht, was sie haben will. Ich kann daher nur jeder Frau raten, ihre Frauenärztin, ihren Frauenarzt darauf anzusprechen und sich auch nicht abwimmeln zu lassen.
Das heißt, Sex ist keine Frage des Alters, sondern vor allem eine des Gesundheitszustands?
de Liz: Aber sicher. Ich habe Frauen, die mit 70, mit 80 noch guten Sex haben. Frauen können mit 100 noch guten Sex haben. Die älteren Frauen haben nur oft das Problem, dass sie keine Männer mehr im passenden Alter finden.
Sheila de Liz, 52, in den USA geboren, studierte in Mainz Medizin. Die Gynä kologin und Autorin hat eine Praxis in Wiesbaden.