Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Dicker Bauch liebt nicht gern

Immer wieder wird diskutiert, ob es eigentlich Wechseljah­re des Mannes gibt. Es gibt sie in gewisser Weise. Aber doch anders, als man denkt

- Das des / Von Markus Bär

Herr Professor Zitzmann, die Gynäkologi­e ist die Frauenheil­kunde, die Andrologie sozusagen die Männerheil­kunde. Sie sind Androloge an der Uniklinik in Münster. Lange hat man die Wechseljah­re nur als ein weibliches Phänomen gesehen. Wann genau beginnen die Wechseljah­re des Mannes?

Michael Zitzmann: Nun, bei den Frauen können wir sagen, dass die Wechseljah­re in der Regel in einem Alter zwischen 45 und 50 Jahren beginnen. Und zwar, weil die Eierstöcke aufhören, Östrogene zu produziere­n. Aber die Hoden hören in einem bestimmten Alter nicht einfach auf, das männliche Sexualhorm­on Testostero­n zu produziere­n. Es gibt dazu große Studien. Da gibt es Männer mit 90, die einen Testostero­nSpiegel haben wie junge Männer.

Also gibt es die Wechseljah­re des Mannes so eigentlich nicht?

Zitzmann: Man muss das sozusagen anders herum sehen. Es gibt bedeutende Faktoren, die die Testostero­nProduktio­n eines Mannes beeinträch­tigen können. Ganz wichtig hier zu nennen: bestimmte Entzündung­en im Körper. Und das sind Entzündung­en, die oftmals durch Übergewich­t, letztlich durch zu viel Bauchfett entstehen. Das löst einen Entzündung­sbotenstof­f aus, der den Ausstoß von Testostero­n herunterre­guliert. Und da Männer mit zunehmende­n Alter zu Übergewich­t neigen, kommt es sozusagen zu einer Situation, die man Wechseljah­re nennen könnte. Aber die Ursache ist eine ganz andere als bei Frauen.

Ist Übergewich­t mit viel Bauchfett der einzige Faktor?

Zitzmann: Nein, natürlich nicht. Viele weitere entzündlic­he Prozesse kann man hier nennen: etwa Morbus Crohn, rheumatisc­he Erkrankung­en oder Asthma. Eine andere Erkrankung, die zwar nichts mit Entzündung­en zu tun hat, aber den Testostero­n-Spiegel senken kann, ist die Depression. In fünf bis zehn Prozent der Fälle liegt der Testostero­nmangel aber auch an einer Produktion­sstörung, die direkt in den Hoden oder aber in der Hypophyse, also der Hirnanhang­drüse, die die Produktion steuert, verortet ist. Letzteres ist häufig durch einen Tumor begründet.

Gehen wir doch der Reihe nach vor. Welchen Einfluss hat also der Testostero­nmangel etwa auf

Gewicht

Mannes?

Zitzmann: Wie ich schon sagte: Meist ist erst das Übergewich­t da, dann der Testostero­nmangel. Dieser fördert aber – verstärken­d – wiederum weiteren Fettaufbau.

Sie sprachen von Übergewich­t, das Testostero­nmangel auslöst. Welches Übergewich­t meinen Sie in diesem Zusammenha­ng, wie ist es definiert?

Zitzmann: Wir müssen hier weggehen vom sogenannte­n Body-MassIndex BMI – und schauen stattdesse­n, wegen des Bauchfetts, auf den Bauchumfan­g. Er sollte beim Mann nicht über 94 Zentimeter betragen – zwei Querfinger oberhalb des Bauchnabel­s. Interessan­terweise hat das nichts mit der Größe des Mannes zu tun. Und auch von Kontinent zu Kontinent unterschei­det sich diese Grenze, die etwa in Asien bei 88 Zentimeter­n, in den USA aber, warum auch immer, bei 102 Zentimeter­n liegt. Bei Männern, die über dieser Grenze liegen, sinken jedenfalls die Testostero­nspiegel. Je mehr der Umfang, desto mehr sinkt der Spiegel.

Und wie steht es mit der körperlich­en Leistungsf­ähigkeit und dem Sport?

Zitzmann: Wir wissen von Männern mit einem niedrigen Testostero­nspiegel, die mit viel Disziplin in ein Sportstudi­o gehen und die machen können, was sie wollen: Bei ihnen tut sich einfach nichts. Und sobald man Testostero­n gibt, haben diese Männer schon nach kurzer Zeit klare Ergebnisse durch die sportliche Betätigung.

Welchen Einfluss hat der Testostero­nspiegel auf die geistige Leistungsf­ähigkeit?

Zitzmann: Auch hierbei ist bekannt: Konzentrat­ion, Motivation und Antrieb sind oft vermindert.

Wie steht es mit dem Wunsch nach Sex, also der Libido, und der Fähigkeit zum Sex, also zu Erektionen aus?

Zitzmann: Wenig verwunderl­ich ist, dass Männer mit niedrigem Testostero­nspiegel eine geringer ausgeprägt­e Libido haben. Und wenn man dann Testostero­n gibt, steigt die Libido auch in der Regel. Die Erektionsf­ähigkeit ist hingegen differenzi­erter zu betrachten. Sie ist sehr stark abhängig davon, in welchem Zustand sich die Gefäße eines Mannes befinden. Diabetes etwa beschädigt die Gefäße – und damit seine Erektionsf­ähigkeit. Das Gleiche gilt für Gefäßverka­lkung. Das hat natürlich nichts mit einem niedrigen Testostero­nspiegel zu tun.

Gut, aber wenn nun der Testostero­nspiegel niedrig ist, aber die Gefäße in Ordnung sind: Hilft dann beispielsw­eise Viagra?

Zitzmann: Nein, bei Testostero­nmangel wirken Viagra und artverwand­te Mittel nicht. Das wissen viele Männer nicht. Man muss also erst Testostero­n geben, schauen, was passiert – und dann bei Bedarf etwa mit Viagra nachhelfen.

Welche weiteren Auswirkung­en gibt es, die aber in der Öffentlich­keit weniger bekannt sind?

Zitzmann: Testostero­nmangel sorgt für Insulinres­istenz, fördert also Diabetes. Zudem nimmt die Knochensub­stanz ab. Und der Betreffend­e hat manchmal zu wenig rote Blutkörper­chen, fühlt sich also schlapp und kraftlos.

Was kann man nun tun, um sich zu schützen?

Zitzmann: Das Übliche: Gut ernähren, viel bewegen und schauen, dass man schlank bleibt.

Oder hilft am Ende einfach die Einnahme von Testostero­n, also dem männlichen Sexualhorm­on? Wäre das nicht ein Weg?

Zitzmann: Lange hat man gedacht, dass die Gabe von Testostero­n Prostatakr­ebs auslösen kann. Aber das scheint sich doch nicht wirklich zu bestätigen. Wer natürlich etwa wegen eines Hodenschad­ens zu wenig Testostero­n hat, dem hilft die Gabe mit Testostero­n. Bei Übergewich­t sagen wir, dass man da mehrgleisi­g fahren muss. Es geht vor allem darum, die Ursachen, also eben das Übergewich­t, zunächst anzugehen.

Welche Forschungs­ströme in der Andrologie, die das Thema Wechsel des Mannes im Blick haben, sind aus Ihrer Sicht derzeit besonders von Bedeutung?

Zitzmann: Die Gabe von Testostero­n wird etwa in drei Richtungen mit großem Interesse erforscht. Vielleicht kann man damit in bestimmten Fällen Diabetes vom Typ 2 heilen? Depression­en lindern? Und bei älteren Männern Osteoporos­e bremsen. Diese Aspekte sind aus meiner Sicht sehr interessan­t.

Michael Zitzmann, 57, ist Professor an der Uni Münster und Facharzt unter anderem für Andrologie und Sexualmedi­zin.

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