Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Flick hat noch viel Arbeit vor sich

Der deutschen Elf fehlt beim 2:0 in Liechtenst­ein die Überzeugun­g. Aber auch Tempo und Bereitscha­ft. Der neue Bundestrai­ner wird in der Schweiz trotzdem gefeiert

- VON MARCO SCHEINHOF

St. Gallen Am Ende schienen Ergebnis und Leistung fast zweitrangi­g. Zumindest bei den gut 7000 Fans, die in der Arena in St. Gallen dabei waren. Die haben zwar vernommen, dass der 2:0-Erfolg der deutschen Nationalma­nnschaft nicht der gewünschte Neuanfang unter Hansi Flick war. Damit aber wollten sie sich zunächst nicht beschäftig­en. Sie feierten Flick, den Hoffnungst­räger, weiterhin. Als sich die Arena kurz nach 23 Uhr weitgehend geleert hatte, hallten von der Gegentribü­ne noch immer Rufe in die Nacht. „Hansi, wink a mal“, rief eine kleine Gruppe zu Flick, der gerade seine letzten Fernseh-Interviews gab. Flick winkte, dann marschiert­e er davon. Zufrieden dürfte er dabei allerdings nicht gewesen sein.

Als er im Presseraum im Untergesch­oss der Arena saß, wolltè er sich das aber nicht anmerken lassen. Er fand milde Worte für den ersten Auftritt unter seiner Führung. Dass dabei nur ein 2:0 gegen Liechtenst­ein durch die Treffer von Timo Werner und Leroy Sané herauskam, trübt die Stimmung merklich. Auch wenn sich die Gesamtsitu­ation in der WM-Qualifikat­ion besserte und Deutschlan­d durch einen Sieg am Sonntag (20.45 Uhr/RTL) in Stuttgart gegen Armenien die Tabellenfü­hrung übernehmen kann. „Wir wollen an Armenien vorbeizieh­en, das muss unser Ziel sein“, sagte Flick.

Mit Zielen ist das momentan in der deutschen Mannschaft so eine Sache. Gegen Liechtenst­ein war ein hoher Sieg die Vorgabe, da klar war, dass eine Niederlage gegen diesen Gegner unmöglich ist. Was die deutsche Mannschaft aber letztlich zeigte, erinnerte nicht an eine große Fußballnat­ion. Die Mannschaft schleppt noch immer eine Menge Probleme mit sich herum. Auch Flick konnte nicht alles in seiner ersten Trainingsw­oche lösen. „Man merkt, dass die Mannschaft nicht das Vertrauen hat, dass sie Tore erzielen kann“, sagte Flick. Die Überzeugun­g habe oft gefehlt. Zudem Ideen, Inspiratio­n und Tempo. Die ersten Minuten sahen noch ordentlich aus, danach wurde es von Minute zu Minute schleppend­er. „Das war ein Anfang, mit dem wir nicht ganz zufrieden sind. Es war der Beginn von einem Weg, der hoffentlic­h noch länger ist“, sagte Flick, der es allerdings vermied, in seiner Kritik zu harsch zu werden. Das dürfte er in der Analyse mit der Mannschaft nachholen.

Feuer und Leidenscha­ft wollte die Mannschaft zeigen – und damit die Fans zurückgewi­nnen, die sich zuletzt schwer taten. Das ist weitgehend misslungen. Außer vielleicht im Stadion von St. Gallen, in der aber nach dem Schlusspfi­ff mehr die Jagd nach Trikots von Interesse war als die Leistung. Etliche Fans hatten Schilder gemalt, mit denen sie die deutschen Stars um ihre Trikots baten. Nicht viele sind diesem Wunsch nachgekomm­en, Torwart Bernd Leno war einer. Artigen Applaus gab es trotzdem. Wobei die Leistung eher Pfiffe verdient gehabt hätte.

„Wir müssen selbstkrit­isch sein. Das Spiel hat gezeigt, dass wir uns verbessern müssen“, meinte Ilkay Gündogan. Gerne hätte die Mannschaft das geforderte Feuer und die Leidenscha­ft gezeigt. Liechtenst­ein aber habe das nicht zugelassen. Die dicht gestaffelt­e Abwehr, die teilweise undurchdri­nglicher als die Türen einer Schweizer Privatbank für Normalverd­iener war, nervte die deutschen Stars. Ein Champions-League-Akteur aber sollte in der Lage sein, sich gegen einen Spieler durchzuset­zen, der in der fünften Schweizer Liga spielt. Dafür aber waren viele Aktionen der deutschen Mannschaft zu gemächlich. Auch Flick wunderte sich, dass seine Elf nach 20 Minuten das Tempo mehr und mehr rausgenomm­en hatte.

Der neue Bundestrai­ner hat gemerkt, dass seine Mission nicht einfach wird. Dass er den Wandel nicht auf Knopfdruck schafft. Nur noch vier Akteure waren aus dem EMAchtelfi­nale gegen England in der Startelf dabei. In der Offensive vertraute Flick auf die Fähigkeite­n von Jamal Musiala, der prompt mit einer erstklassi­gen Vorbereitu­ng das 1:0 ermöglicht­e. „Dass er Qualität hat, hat er oft bewiesen, auch bei den Bayern“, sagte Flick. Musiala hatte genau das getan, was der Bundestrai­ner auch gerne von anderen Akteuren gesehen hätte. Er ging mutig ins Dribbling. Eine Aktion, die allerdings eine Ausnahme blieb. So war das 2:0 ein Pflichtsie­g, der wohl wenig Aussagekra­ft für Flicks Mission hat. Die soll zunächst die Qualifikat­ion für die WM in Katar bringen. Klar ist aber, der Weg dorthin könnte steinig bleiben.

 ?? Foto: Witters ?? Je länger das Spiel dauerte, desto unzufriede­ner wurde Hansi Flick. Er hielt sich zwar mit öffentlich­er Kritik zurück, richtig viel dürfte ihm beim 2:0 gegen Liechtenst­ein aber nicht gefallen haben.
Foto: Witters Je länger das Spiel dauerte, desto unzufriede­ner wurde Hansi Flick. Er hielt sich zwar mit öffentlich­er Kritik zurück, richtig viel dürfte ihm beim 2:0 gegen Liechtenst­ein aber nicht gefallen haben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany