Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Sie leiden mit den Menschen in Afghanistan
Hilflosigkeit treibt Afghanen in Augsburg um, die sich um Angehörige und Freunde in ihrer Heimat sorgen. Familienvater Mohammad Ayob Ibrahimi berichtet, warum die Bevölkerung dort weiterhin auf Hilfe angewiesen ist
Herbert Niedermirtl, ein ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer in Augsburg, ist entsetzt. Und traurig. Die Videos, die ihm Mohammad Ayob Ibrahimi auf seinem Handy zeigt, machen ihn sprachlos. Darin ist Kundus zu sehen - die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz in Afghanistan. Die Geschehnisse in der Stadt fernab von der Hauptstadt Kabul, die in den vergangenen Wochen im Fokus der Weltöffentlichkeit lag, haben eher wenige Menschen mitbekommen. Mohammad Ayob Ibrahim, der seit sechs Jahren in Augsburg lebt, will erzählen, wie es seinen Familienmitgliedern dort geht. Er will den Augsburgern die Situation von dem Menschen in Afghanistan schildern, erklären, warum sie nach dem Abzug der Streitkräfte weiter Unterstützung brauchen.
Ibrahimi und seine Familie kamen nach Deutschland, weil sie von den radikalislamischen Taliban bedroht wurden. Der Familienvater weiß, wozu die Taliban in der Lage sind, deshalb ergriffen er und seine Familie die Flucht und verließen ihr Heimatland. Als es noch ging. Jetzt ist alles anders. Sein Bruder, der Onkel, die Cousins und Cousinen seiner Kinder leben alle noch in Kundus - können das Land nicht mehr verlassen, die Grenzen sind geschlossen, die Luftbrücke beendet. „Wir wüssten gar nicht, wo wir sie in Deutschland melden könnten und wie wir ihnen von hier aus helfen können“, sagt die älteste Tochter der Familie mit Tränen in den Augen.
Die 19-Jährige hat Ende des Schuljahres ihre Mittlere Reife an der Werner-von-Siemens-Mittelschule in Hochzoll abgelegt. Im September beginnt sie ihre Ausbildung zur Bürokauffrau. Sie will eine erfolgreiche Frau werden. „Ich wollte einmal nach Afghanistan zurückkehren und dort helfen, Strukturen zu verbessern“, erzählt sie. Nun sei ihr Herz zerbrochen, Frauen könnten nach der Machtübernahme der Taliban mit einem Schlag nicht mehr eine Ausbildung absolvieren oder einem Studium nachgehen.
Mohammad Ayob Ibrahimi zeigt Videos auf seinem Handy, die er von Familie und Freunden aus Kundus zugeschickt bekommen hat: Geschäfte und Wohnhäuser stehen in Flammen. Sie wurden von den Taliban angezündet. Die Menschen in Kundus litten unter Hunger. Geschäfte seien geschlossen oder zerstört, es fehle an Lebensmitteln. Die Angst gehe um. Dass Taliban Frauen, Häuser und Hab und Gut für sich beanspruchten. „Sie haben jetzt Waffen und Macht. Wir wissen nicht, was dort jetzt geschehen wird“, berichtet der 46-Jährige. Viele Afghaninnen und Afghanen seien Analphabeten, berichtet Ibrahimi. Sie könnten sich selbst nicht helfen und nicht einfach aufs Amt gehen. Seine 19-jährige Tochter die älteste von sieben Geschwistern - will das nicht wahrhaben. „Aber das sind doch auch Menschen, die ein Recht haben zu leben. Sie haben auch ein Recht auf Frieden, ein Recht auf Bildung“, sagt sie.
Herbert Niedermirtl kann nur zuhören. Der ehrenamtliche Flüchtlingshelfer begleitet die Familie Ibrahimi, seit sie in Augsburg ist. Im Jahr 2015, als der große Flüchtlingsstrom einsetzte und es großen Bedarf an helfenden Händen gab, gründete er den Asyl-Helferkreis Aufwind. 25 Frauen und Männer kamen damals zum ersten Infoabend. Auch heute zählt der engagierte Kreis der ehrenamtlichen Helfer, die Geflüchtete in Hochzoll und Friedberg-West als Paten begleiten, noch über 20 Personen. „Das ist eine langfristige Begleisie tung. Mit einem Jahr hat es sich da selten getan“, weiß er. So wie bei den Ibrahimis. Als vor wenigen Wochen die Wogen in Afghanistan hochschlugen, fuhr Niedermirtl mit seiner Frau und der afghanischen Familie an den Ammersee. Dort sollten sie einen Tag auf andere Gedanken kommen. Es half, am Abend fuhren sie alle im Zug und mit einem Lachen im Gesicht nach Augsburg zurück.
Doch im Alltag drehen sich die Gedanken wieder um Freunde und Familie in Afghanistan. Der Familienvater arbeitet in einem DönerLaden. Sein Traum ist es, sich einmal mit einem kleinen Lokal selbstständig machen zu können. Seine älteste Tochter gibt den Traum, einmal nach Afghanistan zurückzukehren, nicht auf. „Ich werde es machen.“Irgendwann werde dort ein Leben ohne Unterdrückung und Terror möglich sein, hofft sie. So lange gibt sie hier die Hilfe zurück, die sie selber erfahren hat, und wird für Geflüchtete aus Afghanistan dolmetschen. „Zuletzt sind wieder mehrere afghanische Familien im Ankerzentrum in der Berliner Allee angekommen, wo wir auch als Helferkreis aktiv sind. Sie brauchen jetzt unsere Hilfe“, sagt Herbert Niedermirtl.