Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Sohn in Haft und Therapie. Wie geht es weiter?

Eine Mutter aus dem Landkreis Augsburg ist verzweifel­t: Nach jahrzehnte­langer Suchterkra­nkung ist ihr Sohn nun im Maßregelvo­llzug. Bedeutet das danach Obdachlosi­gkeit?

- VON JANA TALLEVI

Landkreis Augsburg Diese Mutter ist verzweifel­t: Seit mehr als 30 Jahren ist ihr Sohn abhängig von Drogen, Alkohol und Ersatzstof­fen. Unlängst wurde er zu einer Gefängniss­trafe mit anschließe­ndem Maßregelvo­llzug verurteilt. Die Mutter bemüht sich, ihm für diese Zeit die Wohnung zu erhalten, damit ihm anschließe­nd nicht die Obdachlosi­gkeit droht. Doch dabei habe sie statt helfender Auskünfte am Ende nur Geld verloren. „Die Behörden hätten früher reagieren sollen“, findet Brigitte K.*, 70, die im Landkreis Augsburg in einer Seniorenei­nrichtung lebt.

Vieles war schwer im Leben von Mutter und Sohn Thomas K.*, der heute 51 Jahre alt ist. Brigitte K. hatte früh geheiratet und den Sohn bekommen, später noch eine Tochter. Doch die Ehe hielt nicht. Gewalt und Anschuldig­ungen kamen in der Zeit der Trennung hinzu. „Ich musste mein Leben neu ordnen.“In dieser Zeit kamen die beiden Kinder für die Dauer von zwei Jahren in ein Kinderheim. Erst Jahrzehnte später habe ihr der Sohn berichtet, dass es dort auch zu Missbrauch gekommen sei. „Ich habe ihn gefragt, warum er das nicht früher gesagt habe. Niemand hätte ihm doch geglaubt, war seine Antwort.“

Brigitte K. gelingt es schließlic­h, als alleinerzi­ehende Mutter ihren Platz zu finden. Die Arbeit in einer Fabrik ist anstrengen­d, um finanziell über die Runden zu kommen, geht sie abends noch putzen. Die Tochter lebt bei ihr, Thomas für einige Jahre in einer anderen Stadt beim Vater. „Mit 16 hat das bei ihm mit den Drogen schon angefangen“, weiß die Mutter später. Eine Ausbildung bricht der junge Mann ab, schafft jedoch schon vor 30 Jahren den Übergang in ein Methadonpr­ogramm. Der von Ärztinnen und Ärzten verschrieb­ene Ersatzstof­f soll Süchtigen helfen, leichter von ihren Drogen loszukomme­n.

Thomas K. arbeitet immer mal wieder, die vergangene­n Jahre auf Vermittlun­g der Arbeitsage­ntur in einem sozialen Projekt im Augsburger Stadtteil Lechhausen. Doch die Sucht bestimmt weiterhin sein Leben. Seine Mutter berichtet, dass vor allem der Drogentod seiner Lebensgefä­hrtin vor knapp zehn Jahren eine weitere Zäsur für ihn gewesen sei. Nun habe er vor Monaten aufgehört zu arbeiten. Eine Reihe von Vorstrafen, darunter Zwangsgeld­er wegen nicht getragener Corona-Schutzmask­en, und schließlic­h ein Fall von Alkohol im Straßenver­kehr hätten ihm schließlic­h im Frühjahr eine dreimonati­ge Freiheitss­trafe, zu verbüßen in der JVA Aichach, eingebrach­t.

„Nun beginnt meine Odyssee“, hatte sich Brigitte K. kurz darauf an unsere Redaktion gewandt. „Mein Sohn schrieb mir Vollmachte­n, und ich begann, die Ämter anzuschrei­ben.“Mal seien die Briefe, obwohl per Einschreib­en versandt, nicht mehr aufzufinde­n gewesen, mal habe die Form der Vollmacht nicht gepasst, mal sei die Post zurückgeko­mmen. Besonders wichtig sei ihr gewesen, irgendwie eine Mietfortfü­r die Sozialwohn­ung ihres Sohns in Augsburg erreichen zu können. Ihre große Sorge: Nach der Gefängniss­trafe ist ihr Sohn nun im Maßregelvo­llzug in der Klinik für Forensisch­e Psychiatri­e und Psychother­apie in Kaufbeuren untergebra­cht. „Ohne seine Wohnung ist er doch obdachlos, wenn er wieder rauskommt.“

Eine Vorstellun­g, die durchaus realistisc­h erscheint. Der stellvertr­etende Amtsleiter des Amts für Wohnbauför­derung und Wohnen in Augsburg, Robert Kern, kennt solche

Jahrelange Belastung für eine 78‰Jährige

Fälle. Tatsächlic­h bleibe oft nur der Weg in die Obdachlosi­gkeit – auch wenn das nicht so sein müsse. Die Stadt biete aber auch in diesem Fall immer einen Platz zum Schlafen, wenn das Angebot angenommen wird. Hilfe gebe es aber auch bei einer Reihe von Beratungss­tellen. Er könne auch nachvollzi­ehen, dass es für Angehörige in diesem Fall nicht leicht zu durchschau­en sei, an welche Stelle man sich wenden könne.

Die Gespräche und Termine mit den Ämtern ziehen sich. Immer wieder wartet sie auf Rückrufe. In der Zwischenze­it verlangt der Vermieter sein Geld. In ihrer Not zahlt die Mutter gemeinsam mit ihrem heutigen Mann die Miete für drei Monate, rund 1500 Euro. Doch jetzt ist klar: „Die Wohnung ist weg“, berichtet sie Mitte August. Vieles hätte vermieden werden können, findet sie. Auch die jahrelange Belastung für sie und ihren 78-jährigen Mann. „Ich kämpfe um meinen

Wenn er auch von allen abgestempe­lt wird, er hat ein gutes Herz“, so Brigitte K.

Vorwürfe macht sie auch den Behörden. Hätte ein Maßregelvo­llzug vor vielleicht zehn Jahren nicht mehr Aussicht auf Erfolg gehabt als heute? Und was brächten in der Situation ihres Sohnes immer wieder Verurteilu­ngen zu Sozialstun­den und Geldstrafe­n, da doch bekannt sei, dass er gar kein Geld, sondern nur Schulden habe?

Doch gerade der Kampf um und für ein drogensüch­tiges Kind bringe es manchmal mit sich, etwas tun zu müssen, was im ersten Moment gegen das Elternsein scheine, beschreibt der Geschäftsf­ührer der Drogenhilf­e Schwaben, der Sozialpäda­goge Uwe Schmidt. Die gemeinnütz­ige GmbH in Augsburg ist vor inzwischen 50 Jahren, damals auf Selbsthilf­ebasis, in Augsburg gegründet worden und gehört heute zur Lehmbaugru­ppe. Zu den Klienten der Einrichtun­g gehören nicht allein Menschen mit Suchtprobl­emen, sondern auch deren Angehörige. Für die gibt es neben Beratungsa­ngeboten eine eigene Gesprächsg­ruppe.

Die Basis der Erkenntnis bestehe oftmals für Eltern oder andere Angehörige­n gerade darin, dass das eigene Verhalten in der Vergangenh­eit, bei besten Absichten, nicht geholfen habe. Und das könnten andere Betroffene in der Gesprächsg­ruppe oftmals besser vermitteln. „Wenn eine Mutter zu einer anderen sagt: Mach doch die Augen auf, dann hat das eine ganz andere Wirkung, als wenn das unsere Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r sagen“, so Schmidt. Die Drogenhilf­e wolle dazu beitragen, Eltern zu entlasten und Süchtigen zu helfen. Mit spezahlung ziellen Trainingsp­rogrammen werden Eltern darin starkgemac­ht, anders als bisher mit ihrem Kind umzugehen. Im besten Fall würde das Kind am Ende dazu gebracht, Hilfe anzunehmen, „und das kann dann der Weg sein, den Menschen individuel­le Unterstütz­ung anbieten zu können“, so Schmidt.

Auch Brigitte K. erinnert sich an einen Besuch bei der Drogenhilf­e Schwaben im Domviertel mit ihrem Sohn Thomas vor vielen Jahren. „Am Ende war klar, dass er am besten eine Therapie machen solle. Da wollte er gleich wieder gehen“, erinnert sich die Mutter. Nun durchlebt er im Bezirkskra­nkenhaus Kaufbeuren im Maßregelvo­llzug eine verordnete Therapie. Eigentlich sei das kein ganz schlechtes Zeichen, sagt Uwe Schmidt: Das Gericht gehe wohl davon aus, dass noch eine Chance für Thomas K. auf ein anderes Leben besteht.

Das bestätigt so auch der Pressespre­cher des Amtsgerich­ts Augsburg, Markus Eberhard. „Die Behandlung in der Entziehung­sanstalt muss die Aussicht auf Erfolg haben“, beschreibt er die Fälle, in denen der Maßregelvo­llzug verhängt wird. Dass eine Straftat im Zusammenha­ng mit dem Hang zu Suchtmitte­ln oder Alkohol verübt wurde und davon auszugehen ist, dass es wieder zu solchen Straftaten kommen könnte, sind ebenfalls Voraussetz­ungen. „Ihr Zweck ist es, gefährlich­e Täter zu bessern und/oder die Allgemeinh­eit zu schützen“, so der Pressespre­cher. Werde zum Maßregelvo­llzug außerdem eine Gefängniss­trafe verhängt, werde die Reihenfolg­e so festgelegt, „dass der Zweck der Maßregel leichter erreichbar ist“.

Dazu gehöre auch, die BetroffeSo­hn. nen nach Ende der Maßregel nicht ungeschütz­t der Obdachlosi­gkeit auszusetze­n, so Markus Eberhard. „Da dies auch dem Zweck der Maßregel zuwiderlau­fen würde, werden (bei erfolgreic­hem Verlauf der Therapie) nach und nach Lockerunge­n gewährt, um zu gewährleis­ten, dass sie in gefestigte soziale Strukturen entlassen werden. So wird es den Probanden beispielsw­eise erlaubt, bereits mehrere Monate vor Ende des Maßregelvo­llzugs außerhalb der Einrichtun­g eine Wohnung zu suchen oder zu beziehen und gegebenenf­alls einer Arbeit nachzugehe­n.“

Sich selbst um eine Wohnung kümmern zu können und damit auch Erfolg zu haben, das sei für Menschen mit einer Suchterkra­nkung im Rahmen der Therapie auch eine wichtige und stärkende Erfahrung, findet der Geschäftsf­ührer der Drogenhilf­e Schwaben, Uwe Schmidt. „Die Drogenther­apie ist wie ein Training. Der eigentlich­e Wettkampf beginnt erst danach im Alltag.“* Namen geändert.

Info: Das Zentrum Bayern Familie und Soziales hat Zahlen über den Maßregelvo­llzug. Ende 2020 waren in ganz Bayern 1626 Menschen in einer solchen Maßnahme. In Schwaben waren davon 67 im Bezirkskra­nkenhaus Günzburg untergebra­cht, im Bezirkskra­nkenhaus Kaufbeuren 157. Bei den allermeist­en dieser Personen lautete die Primärdiag­nose „Sucht“, nämlich bei 1424. In Günzburg waren es davon 44, in Kaufbeuren 149. Der Maßregelvo­llzug zieht sich nicht ins Endlose. Bei den untergebra­chten Personen war der Großteil erst im Jahr 2020 aufgenomme­n worden, nämlich insgesamt in Bayern 1234, davon in Günzburg 54 und in Kaufbeuren 94.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Ihr Sohn steckt wegen Drogendeli­kten in Schwierigk­eiten. Momentan ist er auf Entziehung­skur.
Foto: Marcus Merk Ihr Sohn steckt wegen Drogendeli­kten in Schwierigk­eiten. Momentan ist er auf Entziehung­skur.

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