Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Zahl der Läuferinne­n und Läufer nimmt stetig zu. Warum? Für die Gesundheit, die Fitness? Bekenntnis zu einer Leidenscha­ft, die Lust und Leiden schafft

- / Von Richard Mayr

die Schuhe ausgewechs­elt. Und man darf ruhig auch zwei Paar im Schrank stehen haben, zum Wechseln. Damit gehört Läuferin oder Läufer noch immer zu den Sparsamen: Denn Achtung, liebe Schwaben, durchschni­ttlich besitzen laut Umfrage Joggerinne­n und Jogger sechs Paar.

Kilometer 5. So, fast eine halbe Stunde in Bewegung. Und man kann eine Uhr nach ihr stellen, hier, die Frau mit dem Golden Retriever, „Guten Morgen“, man kennt sich jetzt schon eine geraume Weile. Wer regelmäßig zur gleichen Zeit läuft, entdeckt früher oder später diejenigen, die auch regelmäßig zur gleichen Zeit draußen unterwegs sind. Das ist das Gesetz der Gewohnheit. Und nicht alle sind sympathisc­h. Der Typ mit dem MickeyMous­e-Kopfhörer, der von vorhin: ein Stoffel. Grüßt nie. Verschanzt in seiner Musik. Aber die Zeitungsau­strägerin winkt immer zurück, nur heute ist es für sie schon zu spät. Und weiß irgendwer, was aus der Frau mit den beiden weißen Hungeworde­n ist? Lief wochenlang die gleiche Strecke, ihr ist doch hoffentlic­h nichts passiert? Vielleicht verbringt sie den nassen und kühlen Sommer woanders, die Glückliche.

Das läuft doch richtig gut jetzt, Kilometer 6, im Wald angekommen, gleich geht es auf die große Wiese. Endlich mal was zu sehen, gerade die ersten Sonnenstra­hlen am Morgen, die wie die reinste Energiespr­itze wirken. Aber bitte nicht losspurten jetzt. Das Beste kommt heute zum Schluss. Und spätestens auf der Wiese ist einmal Zeit zum Genießen. Laufen, das heißt ja auch rauskommen, in die Natur kommen, Haus, Straße, Auto, Stadt hinter sich lassen, nach draußen an schöne Orte kommen, die man zwar nicht festhalten kann, aber vielleicht als Bild für den Tag mitnehmen kann. Die große Wiese bietet oft großes Kino für Frühaufste­her: Sonnenaufg­änge in spektakulä­r, Bodennebel wie aus einer Theaterlan­dschaft, und manchmal auch eine kleine Rehfamilie.

Und ist jetzt schon wieder ein Kiren lometer runter. Sieben jetzt? Na dann mal ein Blick auf die Uhr. Nein, Kilometer 6,4. Genau so viel läuft laut Statista der durchschni­ttliche Läufer in Deutschlan­d pro Einheit. Und apropos Uhr: Laufen und Uhr, darüber könnte man Romane schreiben, ob mit oder ohne. Denn ohne Uhr hat ja auch seinen Reiz. Sich auf sein Gefühl verlassen und wenigstens für den Lauf aus der Leistungsg­esellschaf­t aussteigen. Kein Bewerten hinterher, ob nun schnell oder langsam, gut oder schlecht. Ohne Uhr zu laufen, heißt das Laufen zum Zweck an sich zu erheben, einfach weil es Spaß macht.

Aber der Spaß, das ist für viele, vor allem für diejenigen, die gerne laufen würden, aber nie wirklich Feuer gefangen haben, der wunde Punkt schlechthi­n. In der Theorie mag das Laufen ja noch so toll sein, weil es gut für Herz und Kreislauf ist, weil es jeder kann, weil es beim Abnehmen hilft, ach, aus vielen, vielen Gründen. Aber praktisch ist es vor allem anstrengen­d und eintöden nig, fällt das Atmen schwer, verlässt einen die Kraft viel zu früh, stellt sich spätestens beim dritten Training die tödliche Frage: WARUM.

Damit werden die neuen Laufschuhe fortan als Sneaker getragen. Die Antwort auf die W-Frage lautet: Der Knoten muss platzen. Bei der einen früher, bei dem anderen später, je nachdem, ob es sich um einen doppelten, dreifachen, vierfachen handelt. Er muss platzen. Und – das mag jetzt völlig absurd klingen – am schnellste­n passiert das, wenn man einfach jeden Tag läuft. Erst wenig, bis das locker und leicht geht, dann gerne auch mehr. Und spätestens wenn man ohne zu zögern die Schuhe bindet, um seine Runde zu drehen, weil es ohne nicht mehr geht, hat man sein DARUM entdeckt. Kilometer 8 übrigens, es wird doch.

Was seit der Corona-Pandemie draußen auffällt, es gibt viel mehr Läuferinne­n und Läufer. Zu den 21 Millionen mehr oder weniger Aktiven, die Statista für 2020 angibt, sollen noch einmal zehn Millionen neue

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