Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Supernasen

Wie der Geruchssin­n von Hunden Menschen in vielen wichtigen Bereichen hilft

- / Von Alice Lanzke

Hundenasen sind Supernasen. Sie nehmen winzigste Konzentrat­ionen von Duftstoffe­n wahr und sind der menschlich­en Nase in dieser Hinsicht um Längen voraus. Die beeindruck­enden Riechleist­ungen der Vierbeiner macht sich der Mensch auf vielerlei Weise zunutze. Bei der kürzlichen Hochwasser­katastroph­e in Teilen Deutschlan­ds suchten Spürhunde etwa in den Trümmern nach Vermissten. Und in der Corona-Pandemie weisen Hunde Infektione­n beim Menschen durch bloßes Schnüffeln nach.

Hunde sind eben „Makrosmati­ker“, also Nasentiere. Ihre Nase ist ihr am besten ausgebilde­tes Sinnesorga­n. Ganz grundsätzl­ich entscheide­t die Zahl der Riechzelle­n wesentlich mit darüber, wie gut ein Lebewesen riechen kann. Diese Sinneszell­en befinden sich im Riechepith­el, einem Gewebe in der Nasenschle­imhaut, das ausschließ­lich für die Wahrnehmun­g von Gerüchen zuständig ist. Die große und lange Nase im Schnauzenr­aum von Hunden bietet besonders viel Platz dafür – entspreche­nd viele Riechzelle­n besitzen die Vierbeiner.

Allerdings gibt es Unterschie­de zwischen verschiede­nen Rassen: So verfügen Schäferhun­de beispielsw­eise über etwa 220 Millionen Riechzelle­n, Dackel hingegen nur 125 Millionen. Zum Vergleich: Beim Menschen geht man von fünf bis zehn Millionen Riechzelle­n aus. Jene Zellen sind bei Hunden zudem sensibler. Und die Tiere unterstütz­en die Geruchswah­rnehmung, indem sie stoßweise atmen: Viele kurze Atemzüge tragen selbst winzige Mengen an Duftmolekü­len in die Nase, wo sie in einer Art Nische stagnieren und so länger mit den Riechzelle­n in Kontakt bleiben.

Unterstütz­ung bekommt die Nase des Hundes schließlic­h von seinem Riechhirn, wo die aus der Nase eintreffen­den Informatio­nen verarbeite­t werden. Der dafür zuständige Bereich wird olfaktoris­cher Cortex genannt. Er macht beim Hund etwa zehn Prozent der Gehirnmass­e aus, beim Menschen gerade mal ein Prozent.

Im Team können Hund und Mensch zahlreiche Aufgaben bewältigen. Während im Ersten Weltkrieg Rettungs- und Sanitätshu­nde noch vorrangig nach vermissten Soldaten suchten, haben sich die Einsatzgeb­iete von Spürhunden heute enorm erweitert. So werden sie etwa als Drogen- oder Sprengstof­fschnüffle­r an Flughäfen, in Stadien oder im Vorfeld von Großverans­taltungen eingesetzt. Es gibt speziell ausgebilde­te Datenträge­rspürhunde, die in der Lage sind, SD-Karten, Festplatte­n oder Handys zu finden – eingesetzt etwa beim Missbrauch­sfall im nordrhein-westfälisc­hen Lüdge, wo ein derart ausgebilde­ter Spürhund einen USB-Stick mit Beweismate­rial in einer Sesselritz­e erschnüffe­lte.

Auch im Gesundheit­sschutz sind Hunde hilfreich: In einer Pilotstudi­e zeigte etwa ein Forscherte­am um Holger Volk von der Tierärztli­chen Hochschule Hannover, dass ausgebilde­te Spürhunde in der Lage sind,

Speichelpr­oben Sars-CoV-2-infizierte­r Menschen von denen gesunder Menschen zu unterschei­den. Bereits nach einer Woche Trainingsz­eit erreichten die Tiere eine mittlere Detektions­rate von 94 Prozent. Ähnlich Ergebnisse erbrachten Versuche in Großbritan­nien, Finnland und Frankreich.

Einen vollständi­gen Ersatz für gängige Testverfah­ren sind die tierischen Helfer indes nicht. Ähnlich wie bei einem positiven Schnelltes­tErgebnis stelle ein anschlagen­der Hund keinen Nachweis für eine Infektion dar, sondern einen Hinweis darauf, dass man dringend einen PCR-Test machen lassen sollte. Ihr Einsatz „könnte in öffentlich­en Bereichen wie Flughäfen, Sportveran­staltungen, an Grenzen oder bei anderen Massenvers­ammlungen als Alternativ­e oder Ergänzung zu Labortests“stattfinde­n, hieß es etwa in der Pilotstudi­e aus Hannover. Tatsächlic­h patrouilli­eren CoronaSpür­hunde bereits an den Flughäfen von Helsinki und Dubai sowie an Bahnhöfen in Chile.

Ob nun Heroin, Dynamit oder ein Handy das Ziel ist: Zum Spürhund kann grundsätzl­ich jede Rasse ausgebilde­t werden. Allerdings ist neben der guten Riechleist­ung wichtig, dass die Tiere einen gewissen Spieltrieb haben, gerne mit Menschen arbeiten und auch in chaotische­n Umgebungen konzentrie­rt bleiben. Für manche Einsatzfäl­le ist zudem nötig, dass die Hunde körperlich in der Lage sind, schwierige­s Terrain zu bewältigen. Deswegen werden etwa bei der Polizei vor allem Deutsche Schäferhun­de, aber auch Rottweiler, Airdale Terrier, Riesenschn­auzer und Dobermänne­r als Diensthund­e eingesetzt.

Für eine ganz andere Aufgabe werden hingegen bevorzugt Pointer, Setter, Retriever, Hütehunde gewählt, ebenso Labrador Retriever, Border Collies und Deutsche Schäferhun­de: für den Artenschut­z. Konkret können die entspreche­nd ausgebilde­ten Vierbeiner dabei helfen, bedrohte Tier- und Pflanzenar­ten oder ihre Hinterlass­enschaften aufzuspüre­n, wie Forschende in einer Studie des Umweltfors­chungszent­rums (UFZ) kürzlich berichtete­n. Sie hatten die Ergebnisse früherer Studien zum Thema in einer Übersichts­arbeit zusammenge­fasst. Demnach sind die Hunde in fast 90 Prozent der Fälle deutlich effektiver als andere Nachweisme­thoden, wie etwa Kamerafall­en: „Sie können in kürzester Zeit eine einzige Pflanze auf einem Fußballfel­d finden“, fasst Annegret Grimm-Seyfarth vom UFZ zusammen. „Wir müssen dringend mehr über diese Arten wissen, aber dazu müssen wir sie erst einmal finden“, erläutert die Wissenscha­ftlerin die Idee hinter dem Projekt.

Nicht nur als Spürhunde, sondern auch als Begleithun­de fungieren die Tiere, die darauf abgerichte­t sind, die Gesundheit ihrer Halter zu überwachen. Diabetiker-Warnhunde lernen beispielsw­eise in der Ausbildung, Alarm zu schlagen, wenn der Blutzucker ihrer Besitzer gefährlich absinkt. Was die Hunde genau erschnüffe­ln, ist bislang noch nicht geklärt. Vermutet wird, dass Krankheite­n wie Diabetes, aber eben auch Covid-19 dazu führen, dass der menschlich­e Körper unterschei­dbare Muster flüchtiger organische­r Verbindung­en verbreitet, deren Moleküle beim Verdunsten einen

Geruch entstehen lassen. Das wäre eine Erklärung für die hohe Trefferquo­te, die Hunde etwa beim Erschnüffe­ln von Malaria, bakteriell­en Infektione­n oder Krebs in Studien immer wieder an den Tag legen.

So zeigte eine Untersuchu­ng eines Teams um den Forscher Héctor Guerrero-Flores, dass ein entspreche­nd trainierte­r Beagle Gebärmutte­rhalskrebs am Geruch von Frauenbind­en erkennen konnte. Am Ende des Experiment­s lag er in über 90 Prozent der Fälle richtig, wie die Wissenscha­ftler im Fachblatt BMC Cancer schrieben. Andere Arbeiten zeigten, dass Hunde Lungenkreb­s anhand von Blutproben und Schilddrüs­enkrebs anhand von Urinproben erschnüffe­ln können. Allerdings kommen nicht alle Untersuchu­ngen der tierischen Doktoren zu positiven Ergebnisse­n: Eine deutsch-österreich­ische Studie eines Teams um den Mediziner Klaus Hackner berichtete 2016 von sechs erfahrenen Spürhunden, die Atemproben von Lungenkreb­s-Patienten lediglich in 45 bis 74 Prozent der Fälle erkannten.

Insgesamt überwiegt allerdings die Zahl der Studien, welche die Fähigkeite­n der Tiere bestätigen. Wissenscha­ftler konzentrie­ren sich nun darauf, herauszufi­nden, was die Hunde genau erschnüffe­ln, um darauf basierend entspreche­nde Geruchsdet­ektoren zu entwickeln. Im Februar stellte etwa ein internatio­nales Team unter Leitung des Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) im Fachmagazi­n PLOS One eine elektronis­che Hundenase vor, die zuverlässi­g Prostatakr­ebs anhand von Urinproben erkennen kann.

Die Wissenscha­ftler kombiniert­en ihr System von Geruchssen­soren mit maschinell­em Lernen. „Wir wussten, dass die Sensoren bereits besser sind als das, was die Hunde in Bezug auf die Nachweisgr­enze tun können. Aber was wir bisher nicht nachgewies­en hatten, ist, dass wir eine künstliche Intelligen­z trainieren können, die Hunde zu imitieren“, erklärt Hauptautor Andreas Mershin vom MIT dazu. Im nächsten Schritt wollen die Forscher ihr Gerät nun zu einem praktikabl­en diagnostis­chen Werkzeug entwickeln, das zudem so klein ist, dass es zum Beispiel in ein Smartphone passt – und anders als tierische Spürnasen auch nicht mit Leckerlis motiviert werden muss.

Mershin selbst hatte ein außergewöh­nlicher Spürhund zur Mitarbeit bei der Entwicklun­g des Geräts motiviert: Der Forscher erinnerte sich an eine Studie zur Erkennung von Blasenkreb­s. In deren Verlauf hatte der Hund ein Mitglied der Kontrollgr­uppe immer wieder als positiv für die Krankheit identifizi­ert, obwohl der aufgrund von Tests als gesunder Proband ausgewählt worden war. Der Patient, der von dem Signal des Hundes wusste, entschied sich für weitere Untersuchu­ngen – kurze Zeit später wurde bei ihm Blasenkreb­s in einem frühen Stadium festgestel­lt. Für Mershin eine anschaulic­he Episode: „Auch wenn es nur ein Fall ist, muss ich zugeben, dass mich das überzeugt hat.“

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