Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Als der Rathauspla­tz noch bebaut war

Mitten im Zentrum mussten historisch­e Gebäude einst einem Verwaltung­sbau Platz machen. Mehrere Häuser standen dort damals dicht zusammen. Doch dann kamen der Krieg und ein Bürgeraufs­tand

- VON FRANZ HÄUSSLER

Rathauspla­tz 1 – so lautet die Adresse des großen städtische­n Verwaltung­sgebäudes. Über 80 Meter lang ist die Fassade, die die Südseite des Rathauspla­tzes bildet. Hätten anno 1898 die Architekte­n geahnt, dass die Breitseite des von ihnen geplanten Gebäudes irgendwann den riesigen Platz prägen würde, hätten sie die Seitenfass­ade sicherlich dekorative­r gestaltet. Als der städtische Oberbaurat Fritz Steinhäuße­r und sein Mitarbeite­r Josef Schempp 1898 den Auftrag erhielten, ein neues „Polizeigeb­äude“zu bauen, stand gegenüber dem Rathaus das gewaltige Börsengebä­ude. Eine schmale Gasse trennte die Börse vom alten „Polizeigeb­äude“, das ein Neubau ersetzen sollte.

Das sogenannte „Polizeigeb­äude“war ein Verwaltung­szentrum mit vielen Amtsstelle­n – ein unpraktisc­her Komplex, aus historisch­en Häusern zusammenge­fügt. Schon 1879 war der Abbruch ins Auge gefasst, doch die Stadtpolit­iker scheuten den gewaltigen Eingriff in die Altbausubs­tanz. Doch der Bau eines modernen Verwaltung­sgebäudes war unumgängli­ch. 1898 wurden die Bedenken hintangest­ellt und die Stadträte entschiede­n sich für eine Radikalmaß­nahme: Sieben Anwesen zwischen Maximilian­straße und Philippine-Welser-Straße sollen abgebroche­n werden, um Platz für den Neubau zu schaffen.

Der uralte „Afraturm“überragte die Abbruchhäu­ser. Er war 36 Meter hoch, hatte aber lediglich eine Grundfläch­e von 2,40 mal 3,60 Metern. Historiker plädierten für den Erhalt des Turms aus dem 12. oder 13. Jahrhunder­t. Für die Architekte­n war dieses Ansinnen ein Graus. Die Turmfundam­ente waren von Fäkalgrube­n umgeben und von deren aggressive­m Inhalt zerfressen. Der Afraturm war nicht rettbar und durfte schließlic­h abgetragen werden.

Die Bezeichnun­g „Afraturm“oder „Heidenturm“hatte ihren Ursprung in der Legende, darin sei die heilige Afra gefangen gehalten worden. Doch der Turm war nie ein Gefängnis und stand noch nicht zu Sankt Afras Lebzeiten. Er war ein an ein Haus angefügter Treppentur­m. Als im 14./15. Jahrhunder­t sogenannte „Patriziert­ürme“Mode wurden, setzten die Eigentümer ein paar Stockwerke drauf, sodass das schlanke Türmchen die umliegende­n Dächer um etwa zehn Meter überragte. Zinnen deuteten seine ursprüngli­che Höhe an. Sie kamen beim Abbruch zutage. Fotografen dokumentie­rten die Abbruchakt­ion im Winter 1899/1900. Im Mai 1900 begann der Aushub für den Neubau, am 7. November 1900 war der Dachstuhl aufgesetzt.

Im Blickfeld standen die Fassaden des Neubaus zur Maximilian­straße und zur Philippine-Welser-Straße. Für diese Fassaden hatte zwar ein Architekte­nwettbewer­b stattgefun­den, doch die Vorschläge fielen als zu aufwendig durch. Der städtische Oberbaurat Fritz Steinhäuße­r und sein engster Mitarbeite­r, der Architekt und Ingenieur Josef Schempp, gestaltete­n die Fassaden im „Charakter der Augsburger Renaissanc­e“. So beschriebe­n sie ihre Architektu­r. Die lange GebäudeNor­dseite stand nicht im Blickfeld, denn daran entlang verlief das schmale Kanzleigäß­chen. Die benachbart­e Börse verdeckte die Sicht. Entspreche­nd einfach gestaltete­n die Architekte­n die immens lange Gebäudesei­te.

116 Büroräume bekam das „Ämterhaus“. Ausschließ­lich für Büros war der städtische Verwaltung­sbau in bester Geschäftsl­age jedoch zu schade: Im Parterre wurden acht Ladengesch­äfte eingebaut – je vier zur Maximilian­straße und zur Philippine-Welser-Straße. Über dem Flacherker zur Maximilian­straße durfte sich der Bauleiter Oberbaurat Josef Schempp mit seinem in Stein gehauenen Porträt verewigen.

Die Vorgabe für ihn lautete: Innen wie außen solle der Bau „einen einfachen, aber vornehmen Eindruck“machen. Auf die Gestaltung des 51,5 Meter langen und 13 Meter breiten Innenhofs legte er besonderen Wert: Flache Risalite, Erker und Fenstergie­bel, ein Uhrtürmche­n mit Zwiebel und ein Brunnen sollten sich an Höfe Augsburger Patrizierh­äuser anlehnen. Zwei Dienst-Stiegenhäu­ser sind ohne besondere Gestaltung, das Haupttrepp­enhaus vermittelt jedoch repräsenta­tive Gediegenhe­it. Es ist noch heute der Zugang zu den Bürgermeis­terbüros. Säulen aus Ruhpolding­er Marmor, Granitstuf­en, geschmiede­te Geländer und stuckierte Decken vermitteln den gewünschte­n „vornehmen Eindruck“.

In Fenster mit Rautenverg­lasung und ornamental­er Umrahmung des

Treppenhau­ses sind Porträts römischer Kaiser eingelasse­n. In den Fluren gibt es noch Wandbrunne­n aus Marmor. Viele Türen besitzen heute noch die Messingbes­chläge aus dem Jahr 1901. Trotz hochwertig­er Ausstattun­g gelang es den Architekte­n, die auf eine Million Goldmark veranschla­gten Baukosten um 60.000 Mark zu unterschre­iten. Mit dem Betrag konnte die gesamte Einrichtun­g bezahlt werden. Auf Feuersiche­rheit wurde höchster Wert gelegt. Das bewährte sich 1944: Nach der Bombardier­ung brannte lediglich das Dachgescho­ss aus. Es wurde vereinfach­t erneuert und mit Büros nutzbar gemacht. Unveränder­t erhalten blieben die Ost- und die Westfassad­e.

Die ursprüngli­che Anschrift lautete „Litera D 9 Untere Maximilian­straße“, ab 1938 „Maximilian­straße 4“. Seit 2010 gilt die Adresse „Rathauspla­tz 1“. Der namengeben­de Rathauspla­tz heißt seit 1972 so. Dass es ihn gibt, ist zuvörderst eine Kriegsfolg­e. Hier stand das Börsengebä­ude. Von Bomben getroffen, brannte es im Februar 1944 großteils aus. Das Parterre blieb bis 1960 für Ladengesch­äfte nutzbar. Der Börsenrest wurde abgebroche­n, um einer Neubebauun­g Platz zu machen. Dagegen formierte sich ein „Bürgerkomi­tee freier Rathauspla­tz“. Bei einer Abstimmung forderten 55.000 einen „freien Rathauspla­tz“.

Der Stadtrat beugte sich dem Bürgerwill­en und beschloss am 23. Oktober 1962, das Areal solle „vorläufig“unbebaut bleiben, die bereits ausgehoben­e Baugrube verfüllt und der Augustusbr­unnen aufgestell­t werden. 1963 wurde die Fläche gepflaster­t. Die schmucklos­e einstige Gassenfass­ade des Verwaltung­sgebäudes dominiert die Südseite des Rathauspla­tzes.

O

Info Die Serie „Stadtentwi­cklung“zeigt auf, wie sich Augsburg in den ver‰ gangenen 200 Jahren verkehrsmä­ßig wandelte. Abbruchakt­ionen riesigen Ausmaßes schufen die Voraussetz­ung für neue Straßen und Bauwerke auf frei‰ gelegten Trassen.

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Fotos: Franz Häussler (2), Sammlung Häussler Erst nach dem Abbruch einiger alter Häuser in den Jahren 1899 und 1900 kam der uralte „Afraturm“in voller Höhe zum Vor‰ schein.
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Foto: Ulrich Wagner So sieht der Augsburger Rathauspla­tz heute aus.
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Das städtische Verwaltung­sgebäude bil‰ det die Südseite des Rathauspla­tzes.
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Über dem Erker zur Maxstraße blickt Ar‰ chitekt Josef Schempp zum Rathaus.

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