Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Cengiz Tuncer nimmt den Ball für Die Linke auf

Der 51-Jährige kandidiert im Landkreis Augsburg und will in den Bundestag einziehen. Sport, Familie und Integratio­n spielen bei dem ehemaligen Fußballer eine zentrale Rolle

- VON MATTHIAS SCHALLA

Landkreis Augsburg Eigentlich wollte Cengiz Tuncer eine politische Pause einlegen. „Ich bin vor Kurzem wieder Opa geworden und wollte mehr Zeit mit meinen Enkeln verbringen“, sagt der 51-Jährige. Doch dann hätten ihn seine Parteigeno­ssen überredet, wie bereits vor vier Jahren erneut für Die Linke in den Wahlkampf zu ziehen. Und da die gesamte Familie dies „super gefunden“hätte, erklärte er sich letztendli­ch doch zur Kandidatur bereit.

Vier Jahre war Tuncer alt, als seine Eltern mit den Kindern nach Augsburg in das Proviantba­chquartier zogen. Mutter und Vater hatten arabische Wurzeln und lebten in der Türkei an der Grenze zu Syrien. Geplant war ursprüngli­ch, nur für einige Jahre in Deutschlan­d zu bleiben und dann wieder in ihre Heimat zurückzuke­hren. „Das war 1984 und es hätte von der Regierung eine Rückkehrpr­ämie gegeben“, erinnert er sich. Während sein Vater am liebsten sofort die Koffer gepackt hätte, war die Mutter noch unentschie­den. Dass die Familie doch noch geblieben ist, hat Tuncer seiner Schwägerin zu verdanken. „Sie war damals gerade im neunten Monat schwanger und meine Mutter sagte, man könne sie und ihren Mann nicht alleine in Deutschlan­d zurücklass­en.“

Mit den Jahren ist die Familie gewachsen und hat in Tuncers Leben einen hohen Stellenwer­t. Zusammen mit seinen drei Brüdern und der Schwester lebt er im eigenen Mehrgenera­tionenhaus unter einem Dach. Jeder in der eigenen Wohnung, doch wenn einer Hilfe braucht, halten alle zusammen. So wundert es nicht, dass ihn sein langjährig­er Freund und Sportkolle­ge Tugay Cogal ihn einen „Familienme­nschen“nennt, der sich durch seine Hilfsberei­tschaft, Gutmütigke­it und Zielstrebi­gkeit auszeichne. „Er wäre sicherlich eine Bereicheru­ng für den Bundestag“, sagt Cogal. Seit seiner Jugend sind er und Tuncer befreundet und haben seitdem eine beeindruck­ende sportliche Wegstrecke zurückgele­gt.

Cengiz Tuncer war vor mehr als zwei Jahrzehnte­n eines der Gründungsm­itglieder des FC Öz Akdeniz. Heute ist er Abteilungs­leiter der Fußballer, die im vergangene­n

Jahr Corona-bedingt in die A-Klasse absteigen mussten. Tugay Cogal wiederum ist Vorsitzend­er des Vereins, der als Untermiete­r bei der TSG Augsburg seine

Heimat gefunden hat. Tuncer kickte seinerzeit unter anderem im Mittelfeld beim FC Torrers und dem TSV Schwaben, und Sport ist für ihn ein probates Mittel für Integratio­n und Gleichbere­chtigung. „Wir haben vor einigen Jahren in Augsburg die erste türkische Mädchenfuß­ballmannsc­haft gegründet“, sagt Tuncer. Ziel war es, einen Durchbruch zu schaffen. Zu zeigen, dass auch türkische Frauen emanzipier­t sind und ihren Platz in einer von Männern dominierte­n Welt behaupten können. Drei Jahre lang hat die Mannschaft durchgehal­ten. „Dann mussten wir aufgrund fehlenden Nachwuchs den Spielbetri­eb wieder einstellen“, bedauert Tuncer.

Politisch sieht sich der frühere Mitteldfel­dspieler eher in der Rolle eines Verteidige­rs. Einer, der vor allem die Rechte der Geringverd­iener verteidigt. „Wer soll das bezahlen?“, fragt er gerne, wenn es um das Thema Wohnungsba­u oder E-Autos geht. Nicht jeder habe das

Er schätzt seine Chancen realistisc­h ein

Geld, um sich ein Ökohaus mit Holzfassad­e oder einen Tesla zu kaufen. „Klimaschut­z darf nicht auf dem Rücken des kleinen Mannes ausgetrage­n werden“, betont er. Stattdesse­n müsse Industrie und Wirtschaft stärker ins Boot geholt werden. Kein Verständni­s hat Tuncer auch für die aktuelle Wohnungspo­litik.

„Wir wollten vor Kurzem unser über 100 Jahre altes Mehrgenera­tionenhaus ausbauen, damit auch unsere Kinder dort eine eigene Wohnung beziehen könnten.“Mehrere Hunderttau­send Euro hätte das Projekt gekostet, um zusätzlich­en Wohnraum zu schaffen. Doch die Pläne wurden abgelehnt. Cengiz Tuncer schüttelt den Kopf, wenn er an die vertane Chance denkt. Denn die einzige Möglichkei­t, weniger Boden zu versiegeln und bezahlbare­n Wohnraum ohne neuen Grunderwer­b zu schaffen, sieht er darin, „in die Höhe zu bauen“.

Seine Chancen auf einen Einzug in den Bundestag sieht Tuncer realistisc­h. Doch der 51-Jährige kann mit Niederlage­n gut umgehen. Nur eine Sache wurmt ihn heute noch. „Das unser Verein letztes Jahr nicht auf dem Spielfeld abgestiege­n ist, sondern, dass der Abstieg am grünen Tisch entschiede­n wurde.“

 ?? Foto: Andreas Lode ?? Cengiz Tuncer kickte seinerzeit unter anderem im Mittelfeld beim FC Torrers und dem TSV Schwaben. Sport ist für ihn ein pro‰ bates Mittel für Integratio­n und Gleichbere­chtigung.
Foto: Andreas Lode Cengiz Tuncer kickte seinerzeit unter anderem im Mittelfeld beim FC Torrers und dem TSV Schwaben. Sport ist für ihn ein pro‰ bates Mittel für Integratio­n und Gleichbere­chtigung.

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