Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Pokerspiel mit schlechten Karten

- VON WERNER REISINGER

Österreich Nach dem Rückzug von Sebastian Kurz verweigern einige der mächtigen ÖVP-Landeshaup­tleute dem gefallenen „Wunderkanz­ler“die Rückendeck­ung. In der Partei wird gestritten, wie es nun weitergehe­n soll. Gibt es eine Zukunft für die Konservati­ven mit Kurz?

Wien Vergangene­n Donnerstag im Ausweichqu­artier des Österreich­ischen Parlaments in der Hofburg. Der Präsident schafft es kaum, zu seinem Pult zu kommen. Dutzende Fotografen, Kameraleut­e und Journalist­en drängen sich im Plenarsaal um einen neuen Abgeordnet­en, der in der Vergangenh­eit nie besonders große parlamenta­rische Ambitionen oder Sympathien für den Parlamenta­rismus hat erkennen lassen. Sebastian Kurz, der gefallene Kanzler und einst Hoffnungst­räger für konservati­ve Parteien in ganz Europa, leistet seinen Eid auf die Republik, die Verfassung und die Gesetze.

Kurz ist nun Parlamenta­rier und Fraktionsc­hef der ÖVP im Nationalra­t. Stehende Ovationen aber bekommt er nur von seiner eigenen Partei und von einigen Grünen wie Sigrid Maurer, der Amtskolleg­in beim kleineren Koalitions­partner. Die anderen Abgeordnet­en zeigen ihm die kalte Schulter. Vor den Fernsehkam­eras, die seine Antrittsre­de vor dem Hohen Haus live übertragen, versucht Kurz den Eindruck von Normalität und Routine zu vermitteln. Er beteuert abermals seine Absicht, die Regierung von seiner neuen Position aus zu unterstütz­en, er sei aber „kein Schattenka­nzler“. Er habe sich in seinem ganzen Leben „noch nicht irgendetwa­s Strafrecht­liches zuschulden kommen lassen“, es seien Chatnachri­chten im Umlauf, die er „nie geschriebe­n habe“. Und außerdem habe er sich „bereits öffentlich entschuldi­gt“.

Es ist der seit Tagen bekannte und nun stereotyp wiederholt­e Wortlaut, mit dem Kurz, der von der Staatsanwa­ltschaft der Untreue und Bestechlic­hkeit beschuldig­t wird, sein politische­s Überleben sichern will. Der 35-Jährige denkt nicht daran, sich zurückzuzi­ehen. Im Gegenteil: Er und sein innerster Kreis wollen zurück ins Kanzleramt. Doch die Karten des einst als „Wunderkanz­ler“Gefeierten scheinen alles andere als gut zu sein.

Knapp zwei Wochen nach den Hausdurchs­uchungen im Bundeskanz­leramt, in der Parteizent­rale und im Finanzmini­sterium tobt in der ÖVP ein heftiger Streit. Im Zensteht eine für die Konservati­ven geradezu existenzie­lle Frage: Bleibt das „türkise System“, das Kurz mit den nun aus den Ermittlung­en bekannt gewordenen Methoden in der Partei installier­t hatte – oder muss es weg und der gescheiter­te Kanzler auch als Partei- und Fraktionsc­hef gehen? Was tun, sollten baldige Neuwahlen stattfinde­n?

Inzwischen ist klar: Mit seinem „Schritt zur Seite“, wie es die KurzVertra­uten und Minister ausdrücken, kam Kurz nur seiner eigenen Entmachtun­g zuvor. Er hatte das auf die Hausdurchs­uchung und das politische Erdbeben folgende Pokerspiel zwischen ihm, den mächtigen ÖVP-Länderchef­s und dem kleinen Koalitions­partner verloren.

Es war vor allem der grüne Vizekanzle­r Werner Kogler, der das

Heft in die Hand genommen hatte. Zusammen mit den Opposition­sparteien SPÖ, FPÖ und den liberalen Neos schmiedete Kogler den Pakt, Kurz in einer Parlaments-Sondersitz­ung das Misstrauen auszusprec­hen. Entspreche­nde Übereinkün­fte und zumindest einen Generalpla­n, was danach passieren sollte, lagen bereits wenige Tage nach der Hausdurchs­uchung auf dem Tisch.

So sollte Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen nach dem Platzen der Kurz-Kogler-Koalition, wie nach der Ibiza-Affäre im Sommer 2019, eine Experten-Regierung einsetzen. Diese hätte vom waghalsige­n neuen „Bündnis“im Parlament gestützt werden sollen, zumindest ein Budget hätte man auf diese Weise auf den Weg bringen wollen. Jedem in dieser Vierer-Allianz war jedoch klar, dass Neuwahlen im kommenden Jahr unvermeidl­ich gewesen wären. Kurz dann nochmals als Spitzenkan­didat aufzustell­en, wäre für die ÖVP aber eine unmögliche Option gewesen.

Der Druck, der sowohl auf die „alte“ÖVP, vor allem auf die schwarzen Landeshaup­tleute, als auch auf den Ex-Kanzler ausgeübt wurde, hatte gewirkt: Mit dem politische­n Aus konfrontie­rt, blieb Kurz nur der Rückzug ins Parlament. ist ein Machtkampf und ein Dilemma, in dem sich die ÖVP seitdem befindet. Hier die größtentei­ls aus Kurz-Vertrauten bestehende türkise Ministerri­ege, ein von Kurz aufgebaute­r parteiinte­rner Machtappar­at, der keineswegs daran denkt, zugunsten der „alten“ÖVP abzudanken – schließlic­h stehen für das Netzwerk auch hunderte Posten in Ministerie­n und staatsnahe­n Unternehme­n auf dem Spiel. Dort vor allem die ÖVP-Länderchef­s, die Kurz und seinem System der Reihe nach das Vertrauen entziehen und die Rückendeck­ung verweigern.

Seine Landespart­ei sei „nie umgefärbt worden“, sagte etwa Oberösterr­eichs ÖVP-Landeshaup­tmann Thomas Stelzer nach dem KurzRückzu­g. Tirols Landeshaup­tmann Günter Platter wurde noch deutlicher: „Ich bin ein Schwarzer und mein Umfeld ist schwarz.“

Dass Kurz aus dem Parlament heraus seinen Vertrauten in der Regierung, allen voran Neu-Bundeskanz­ler Alexander Schallenbe­rg, den inhaltlich­en und strategisc­hen Weg vorgeben könnte, gefällt dem Tiroler gar nicht. „Jetzt geht es vorrangig darum, dass Alexander Schallenbe­rg die notwendige­n Weichenste­llungen trifft, um die Eigenständ­igkeit der Politik und seiner Regierung klar zu definieren“, sagt Platter der Tiroler Tageszeitu­ng. Und: Schallenbe­rg müsse „deshalb die Bundesregi­erung ohne Einflussna­htrum me nach seinen Vorstellun­gen führen und selbst gestalten“.

Das Problem ist: Schallenbe­rg denkt nicht einmal daran. Der ExDiplomat machte schon bei seiner Antrittsre­de kein Hehl daraus, dass er den Kanzlerses­sel nur als Kurz’ Statthalte­r eingenomme­n hat. Das Amt habe er „nie angestrebt“, er halte die Vorwürfe gegen Kurz für „falsch“und sei überzeugt, dass diese sich als unwahr herausstel­len werden. Vor allem aber betonte Schallenbe­rg, engstens mit Kurz zusammenar­beiten zu wollen. Andere Kurz-Vertraute und türkise Minister – aus der Deckung wagt sich vor allem Landwirtsc­hafts- und Tourismusm­inisterin Elisabeth Köstinger – sehen das genauso.

Die Verteidigu­ngsstrateg­ie ist klar: Kurz selbst habe in den Chats rund um die mutmaßlich­e Anzeigenko­rruption und die verfälscht­en Umfragen, die die Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft zu Tage gefördert hatten, nie persönlich intervenie­rt. All das seien „Nachrichte­n von Ministeriu­msmitarbei­tern“gewesen, sagt auch Kurz selbst.

Der Plan des inneren Zirkels lautet: Die Ergebnisse der Ermittlung­en abwarten, darauf hoffen, dass es entweder gar keine Anklage gegen Kurz selbst gibt oder, falls doch, es einen Freispruch geben wird. Alles weitere, so der deutliche Tenor, sei das Verschulde­n anderer gewesen. Und außerdem: Die „Ministeriu­msEs mitarbeite­r“kenne er, Kurz, gar nicht wirklich.

Wer die Ermittlung­sakten, die unserer Redaktion vorliegen, gut kennt, dem zeigt sich ein anderes Bild: jenes einer langjährig­en, zumindest engen Bekanntsch­aft zwischen Kurz und dem ehemaligen Generalsek­retär im Finanzmini­sterium, Thomas Schmid, der wie Kurz der Untreue und der Bestechlic­hkeit beschuldig­t wird. Von gemeinsame­n Wandertour­en ist zu lesen, zudem stehen Kurz, sein Medienbeau­ftragter Gerald Fleischman­n und Pressespre­cher Johannes Frischmann in einem regelmäßig­en, intensiven Austausch. „Der Beinschab (der Meinungsfo­rscherin, bei der verfälscht­e Umfragen bestellt worden sein sollen, Anm. d. Red.)

habe ich gestern noch angesagt, was sie im Interview sagen soll“, brüstet sich Frischmann an einer Stelle. „So weit wie wir bin ich echt noch nicht gegangen“, schreibt Schmid. „Geniales Investment. Und Fellner (Herausgebe­r des Boulevardb­latts Österreich, Anm. d. Red.) ist ein Kapitalist. Wer zahlt, schafft an. Ich liebe das.“Auch der damalige Kanzler in spe, Kurz, freut sich: „Danke für Österreich heute.“

Eine der Aktionen, die durch die Chats offensicht­lich wurden, dürften die ÖVP-Länderchef­s Kurz und seiner Truppe besonders übel nehmen. Lange und zäh hatte Kurz’ Vorgänger an der ÖVP-Spitze, der damalige Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er, mit der SPÖ unter dem damaligen Kanzler Christian Kern um die Finanzieru­ng einer Nachmittag­sbetreuung für alle Kinder in Österreich gerungen. Eine Bankenabga­be sollte für rund 1,2 Milliarden Euro Einnahmen sorgen, mit denen das weitreiche­nde Projekt der Großen Koalition, der „Stillstand“vorgeworfe­n wurde, umgesetzt werden sollte. Das stand Kurz’ Ambitionen im Weg.

„Gar nicht gut!!! Kannst du das aufhalten?“, bat er Thomas Schmid, seinen Mann fürs Grobe, von dem er im parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss noch behauptet hatte, ihn kaum zu kennen. Und schob die Worte hinterher, die ihm mutmaßlich das Vertrauen der Länderchef­s kosteten: „Kann ich ein Bundesland aufhetzen?“

Noch aber arbeitet das KurzNetzwe­rk im Bundeskanz­leramt weiter – auch unter Schallenbe­rg. Zwar sind Fleischman­n und Frischmann mittlerwei­le beurlaubt. Der neue Pressechef Shilten Joseph Palathunka­l dürfte jedoch kaum für einen von den alten ÖVP-Granden gewünschte­n Neuanfang stehen. Palathunka­l kommt aus dem türkisen Netzwerk, er stellt sich gegen eine von den Grünen geforderte grundlegen­de Neuaufstel­lung des durch die Kurz-Affäre allseits heftig kritisiert­en Medien-Förderungs­wesens in Österreich. Er wolle „keine neue Gewichtung“in der Medienpoli­tik, sagt er im Kanzleramt.

Nicht nur hier gibt es Zündstoff für die notdürftig geflickte Regierung aus ÖVP und Grünen. Michael Linhart, nun statt Schallenbe­rg Außenminis­ter, denkt offenbar nicht über eine Kursänderu­ng Österreich­s in europapoli­tischen Fragen nach und scheint ganz auf türkiser Linie zu bleiben. Kurz hatte „Verständni­s“für Ungarn und Polen im Rechtsstre­it mit der EU gefordert. „Es gibt keine guten und schlechten Europäer“, sagt dazu Linhart.

Angesichts des Vertrauens­verlustes zwischen Grün und Türkis und den über allem schwebende­n, baldigen Neuwahlen werden beide Regierungs­parteien versuchen, ihr Profil zu schärfen, sagen Beobachter. Das wird die innerkoali­tionären Spannungen nur noch weiter erhöhen – genauso wie das existenzie­lle Ringen um die Zukunft der ÖVP.

Dass viele „schwarze“ÖVPler Kurz und sein System ganz loswerden wollen, hat abseits der Brüskierun­g durch die Chats auch ganz banale Gründe: 2023 wird in den für die Konservati­ven wichtigen Bundesländ­ern Tirol, Niederöste­rreich, Salzburg und auch Kärnten gewählt. Negative Schlagzeil­en im In- und Ausland, befeuert durch einen neuen ÖVP-Untersuchu­ngsausschu­ss im Parlament, und nicht zuletzt einen strafrecht­lich beschuldig­ten Parteichef können die schwarzen Landeshaup­tleute da gar nicht brauchen.

Der grüne Vizekanzle­r hatte alles eingefädel­t

Noch funktionie­rt das Netzwerk im Kanzleramt

 ?? Foto: Michael Gruber, Getty Images ?? Gute Miene zum bösen Spiel: Sebastian Kurz (Mitte), der frühere Kanzler, an seinem neuen Abgeordnet­enplatz im Parlament.
Foto: Michael Gruber, Getty Images Gute Miene zum bösen Spiel: Sebastian Kurz (Mitte), der frühere Kanzler, an seinem neuen Abgeordnet­enplatz im Parlament.
 ?? Foto: Mayo, dpa ?? Wie eigenständ­ig ist der neue Kanzler Alexander Schallenbe­rg?
Foto: Mayo, dpa Wie eigenständ­ig ist der neue Kanzler Alexander Schallenbe­rg?

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