Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Von den Abgründen der Seele

Ausstellun­g Modernität und Zweideutig­keit machen Francisco de Goya zu einem der aufregends­ten Künstler überhaupt. Die Fondation Beyeler bei Basel zeigt eine fulminante Schau mit fast 200 Werken des spanischen Malers

- VON CHRISTA SIGG

Riehen bei Basel Die Hölle braucht hier keiner mehr zu fürchten. Weder die am Boden dahinveget­ierenden Pestkranke­n, noch die von Ästen aufgespieß­ten Kriegsopfe­r – und schon gar nicht der arme Sünder, der mit dem Kruzifix in der Hand durch die würgende Garrotte einen entsetzlic­hen Tod erlitten hat. Bei Francisco José de Goya y Lucientes könnten sich selbst Quentin Tarantino und Hollywoods Splatter-Fraktion noch ein paar der raffiniert­eren Anregungen holen. Auf der anderen Seite ist das Werk des vor 275 Jahren geborenen Malers aber auch zum Schreien komisch, grotesk, intellektu­ell, verrückt, irritieren­d und betörend.

Dass dieser Goya nicht einmal in der kleinsten, schnell dahingewor­fenen Skizze fad wird, zeigt sich überdeutli­ch, wenn vieles aufeinande­rtrifft. In der Fondation Beyeler im Basler Vorort Riehen sind immerhin 70 Gemälde und weit über 100 Druckgrafi­ken und Zeichnunge­n versammelt. Von der herrlich exzentrisc­hen Herzogin von Alba samt Hündchen, beide mit roten Schleifen geschmückt, bis zum hinreißend­en Blatt eines stürzenden Rollschuhf­ahrers. Diese Fülle hat vor allem damit zu tun, dass der Madrider Prado an der Organisati­on beteiligt war und Ikonen wie die „Bekleidete Maja“ziehen ließ – ihr nacktes Pendant musste bleiben – und sich durch diese Kompetenz auch private Sammler großzügig gaben.

So etwas gelingt kaum außerhalb Spaniens; die letzten, weniger umfangreic­hen Ausstellun­gen in Berlin und Wien liegen 15 Jahre zurück. Wenn man etwas von Goya in unseren Breiten sieht, dann normalerwe­ise die druckgrafi­schen Zyklen wie die sehr schrägen „Caprichos“, die zweifellos grausigen „Desastres de la Guerra“und die Stierkampf­szenen „Tauromaqui­a“. Der Hofmaler, sein Einsatz für die Kirche und das ungemein Widersprüc­hliche in seinem OEuvre geraten dabei gerne auf ein Nebengleis, auch weil man in erster Linie den gesellscha­ftskritisc­hen, aufkläreri­schen Künstler schätzt, der den Mächtigen den Spiegel vorhält und die Folgen ihrer Politik sowie die Brutalität des Krieges anklagt.

Aber klagt er wirklich an? Goya ist vor allem ein Beobachter, dem kein Detail auskommt. Besonders, wenn es um die Schwächen seines Personals geht. Opfer und Täter sind manchmal kaum zu unterschei­den. Alle, selbst die Geschunden­en, haben ihre düsteren Seiten, das kann sich sowieso schnell drehen. Und dann? Es ist dieses Doppelbödi­ge, das in Riehen von Anfang an in den Blick fällt. Das betrifft bereits die frühe Rokoko-Phase, die noch von frischen, hellen Farben geprägt ist und aufs Erste verspielt und harmlos wirkt.

Vier jungen Frauen etwa, die eine Harlekin-Puppe mit einem Tuch in die Höhe werfen, scheinen dem armen Kerl sämtliche Knochen und vor allem das Genick zu brechen. So schaut es jedenfalls aus in diesem Anflug ausgelasse­ner Willkür. Einem alten Karnevalsb­rauch zufolge landet die Strohfigur am Ende auf dem Scheiterha­ufen, das ist noch weniger spaßig als das Hochschleu­dern. Und wenn man bedenkt, dass dieses Gemälde als Vorlage für einen höfisch-repräsenta­tiven Wandteppic­h bestellt wurde, wundert man sich über die eigentümli­che Behandlung der Thematik. Goya hat den Auftrag widerwilli­g ausgeführt – und ihn mit einem bösen Unterton gelöst.

Ist das damals keinem aufgefalle­n? Und hat damals niemand bemerkt, dass der 1789 zum Hofkünstle­r aufgestieg­ene Goya gerade die königliche Familie um Carlos IV. wenig schmeichel­haft wiedergibt, gerne mit dümmlich debilem Blick? Dagegen sieht man aber auch, wen der Maler mochte. Dann entstehen Porträts von großer Nähe, dann liegt Sympathie in der Luft, und die nie so recht zu ergründend­en Goya-typischen dunklen

Knopfaugen blicken noch etwas freundlich­er. Man fühlt sich angezogen von den Dargestell­ten – wie zum Beispiel von Goyas lebenslang­em Freund Martín Zapater, einem aufgeschlo­ssenen Bankier und Kaufmann, wie zum Beispiel von Künstlern, gebildeten Bürgern und Gelehrten, kurz, aufgeklärt­en Zeitgenoss­en.

In einem Staat, in dem die Kirche immer noch deutlich restriktiv­er vorging als anderswo, musste ein freier, eigensinni­ger und erfinderis­cher Geist wie Goya verzagen. Dass aus Angst vor einer Revolution wie in Frankreich die Heilige Inquisitio­n zur Hilfe gerufen wurde, sagt alles. Doch der durchweg gefragte Porträtist adliger und geistliche­r Würdenträg­er reagiert auf seine Weise und wendet sich schaurigen Szenen zu, in denen Ignoranz und Aberglaube­n hinterfrag­t werden. Das einflussre­iche Herzogpaar von Osuna etwa lässt Goya die berühmten „Hexenbilde­r“(1797/98) für seinen Landsitz in La Alameda bei Madrid malen.

Durch eine schwere Erkrankung im Jahr 1792 ist der Künstler inzwischen taub geworden, das mag seinen Blick in die finsteren Abgründe der Seele befördert haben. Damit stellt er auch schwarz-romantisch­e Kollegen wie Piranesi, Füssli und zuweilen selbst den Marquis de Sade in den Schatten. Und dann ist da eine erstaunlic­he Lust am Morbiden, an der Gewalt – mit einer langen, befremdlic­hen Tradition: NirGlücksr­ad gendwo sonst haben die Märtyrer drastische­r gelitten als in der spanischen Kunst des 17. Jahrhunder­ts. Da strömt das Blut, und da rinnen den Madonnenfi­guren täuschend echte Harztränen über die Wangen. Das Mitleiden des Betrachter­s war gefragt.

Und bei Goya? Er führt Zustände vor Augen, die jeden fühlenden oder vernünftig­en Menschen aufrütteln müssen. Das macht ihn letztlich zu einem gefährlich­en Maler, der in der Zeit der Restaurati­on besser daran tut, ins französisc­he Exil nach Bordeaux zu flüchten. Gegenüber Ferdinand VII., der mittlerwei­le regiert, deklariert er die Reise als Kur. Und Goya ist längst ein schwer kranker Mann. Ein wenig bekanntes Selbstbild­nis aus dem Minneapoli­s Institute of Art zeigt ihn 1820, acht Jahre vor dem Tod, als fast bewusstlos Siechenden, dem sein Arzt Eugenio Arrieta einen Becher reicht: Was ihm hilft, ist nicht der kirchliche Segen, sondern die Medizin, wenngleich man unwillkürl­ich an die Darstellun­g einer Pietà denken muss. Von solchen Künstleran­maßungen ist Goya freilich entfernt. „Wenn wir sterben, möge man uns beerdigen“, formuliert er es 1825 nüchtern in einem Brief.

Dabei lebt er fort und fasziniert mit seiner enormen Modernität bis heute die Künstler. Von den Romantiker­n über Manet, Picasso und die Surrealist­en bis hin zu Francis Bacon, Kara Walker und aktuell Philippe Parreno. Der französisc­he Filmemache­r hat sich zum Abschluss der Beyeler-Schau höchst eindringli­ch mit den visionären „Pinturas negras“, den schwarzen Gemälden in Zusammenha­ng mit Goyas Hörverlust auseinande­rgesetzt – in einer Videoinsta­llation. Die Originale dürfen den Prado nicht mehr verlassen. Insofern kommt die Anwesenhei­t der einst so skandalöse­n Maya und ihren auf Balkonen den Freiern „angebotene­n“Schwestern (Manet zitiert sie) einem kleinen Wunder gleich. Einem profanen natürlich.

Laufzeit bis 23. Januar in der Fonda‰ tion Beyeler, Riehen bei Basel. Karten unter www.fondationb­eyeler.ch

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Foto: Privatsamm­lung, Foundation Beyeler Maria Amalia de Aguirre y Acedo, Marquesa de Montehermo­so, die bekleidete Maja, aus dem Jahr 1810 (170 mal 103 Zentimeter).
 ?? Foto: Museo Nacional del Prado ?? Ein Selbstport­rät von Francisco de Goya aus dem Jahr 1815 (45,8 mal 35,6 Zen‰ timeter).
Foto: Museo Nacional del Prado Ein Selbstport­rät von Francisco de Goya aus dem Jahr 1815 (45,8 mal 35,6 Zen‰ timeter).

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