Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Siebenbrunner Obstbäume sind ein GenReservoir
Augsburg Album Eine 200 Jahre alte Gutshof-Obstplantage wird heute vom Grünamt und von den Stadtwerken in Augsburgs kleinstem Stadtteil betreut. Warum die Apfelernte im Jahr 2021 ausfiel
In Augsburgs kleinstem Stadtteil Siebenbrunn gab es fünf Gutshöfe. Dazu gehörte jeweils ein Herrenhaus. Zwei einstige Gutshäuser sind erhalten, restauriert und schlossartige Wohnhäuser. Als vor 20 Jahren das einstige Herrenhaus des Preßmar’schen Guts abgebrochen wurde, gab es Widerspruch von Denkmalschützern, doch der Trinkwasserschutz hatte Vorrang.
1989 hatten die Stadtwerke den landwirtschaftlichen Gutsbetrieb mit allen Gebäuden und Grundstücken für 21 Millionen D-Mark gekauft. 1991 lief der Vertrag mit dem Pächter des Preßmar’schen Guts aus, und die bislang übliche Düngung der Felder und Wiesen im Trinkwasser-Schutzbereich endete. Der Erfolg zeigte sich schnell: Die Nitratwerte in etlichen Brunnen sanken um mehr als die Hälfte. 1993 wurden Stall- und Nebengebäude abgebrochen. Wenige Meter vom Gutshaus entfernt legten die Stadtwerke drei Trinkwasser-Sammelbrunnen an. Hier verlaufen ergiebige Grundwasserströme.
Diese drei Brunnen speisen reines Trinkwasser ins Netz ein. Nur das Gutshaus stand noch im sensibelsten Brunnenumfeld. Dem Schutz des dort entnommenen Wassers kam allerhöchste Priorität zu. Deshalb stimmte der Bauausschuss des Stadtrats ohne Diskussion dem Abbruch des denkmalgeschützten Gebäudes zu. Seit Juni 2001 deutet kein Stein mehr auf die Gutsgebäude.
Das Preßmar’sche Gut hinterließ Kulturspuren anderer Art: weite Streuobstwiesen. Es sind die Reste der ab etwa 1810 gepflanzten Obstplantagen. Die Kolonisten hatten sie in den gerodeten Lechauen angelegt. Zum Preßmar’schen Gut gehörten über 1000 Obstbäume. Die Obstgärten sind jetzt ökologisch gepflegte Streuobstwiesen. Dort stehen noch fast 400 Apfel-, Birn- und Nussbäume. Eine Obstbaum-Allee grenzt an.
Die Obstbäume stehen unter der besonderen Obhut des städtischen Amtes für Grünordnung, Naturschutz und Friedhofswesen („Grünamt“). Der Grund: Die Siebenbrunner Streuobstwiesen sind ökologisch und kulturhistorisch wertvoll. Die alten Bäume bilden ein Gen-Reservoir. Hier gibt es neben bekannteren alten Apfelsorten wie „Jakob Fischer“und „Maunzen“auch „Riesenbeuken“, eine ausgesprochene Rarität. Die Namen einiger Äpfel sind unbekannt, da es sich um uralte, nur im Umkreis von 20 oder 30 Kilometern verbreitete Sorten handelt. Etwa 75 Prozent der früher 2300 Apfelsorten in Bayern sind verschollen.
Zur Erhaltung der genetisch wichtigen alten Apfelarten wurde der Baumbestand vom Grünamt verjüngt. Das geschah mit Jahrestrieben noch vitaler historischer Bäume. Damit wurden junge Apfelbäume veredelt. Im Frühjahr 2010 begann die Verjüngung: Rund 60 Nachzucht-Jungbäume füllten die Lücken in den ursprünglich schachbrettartig bepflanzten Gutsgärten und an einer benachbarten Allee. 2016 erfolgte eine weitere Nachpflanzung mit Bäumchen, die 2011 mit Reißern aus dem Altbestand des Preßmar’schen Guts veredelt worden waren.
Der Aufwand war enorm: Die im Topf vorgezogenen Setzlinge mussten drei bis vier Jahre in einer Baumschule im Freien gepflegt werden. Erst dann hatten sie die Größe erreicht, um in Siebenbrunn absterbende Altbäume zu ersetzen. Aufgrund des hohen Aufwands von der Veredelung bis zur Nachpflanzung und Betreuung muss das Amt für Grünordnung seither von der Nachzüchtung absehen.
Der Erfolg der Pflanzaktionen von 2010 und 2016 ist sichtbar: Die von den Stadtwerken nach ökologischen Grundsätzen gepflegten Obstplantagen weisen das Spektrum von Obstbäumen in allen Altersstadien auf. Selbst über 100 Jahre alte zusammenbrechende Baum-Methusaleme
Aus dem Ökoobst entstehen Säfte
haben eine wichtige BiotopFunktion: Sie bieten Insekten und Käfern, Spechten, Fledermäusen, Abendseglern, Käuzen und anderen Vogelarten Nistmöglichkeiten und Nahrung. Das Ökoobst lassen die Stadtwerke seit vielen Jahren von den Ulrichswerkstätten ernten und zu zertifizierten Biosäften verarbeiten. 2021 fiel die Ernte allerdings aus, da Hagel den Fruchtansatz zerstört hatte.
Die Geschichte des Preßmar’schen Guts ist detailliert überliefert. Der Name hat sich nach dem Kauf durch Georg Preßmar im Jahre 1903 eingebürgert. Der Gutshof war rund 100 Jahre zuvor von Johann Baptist Vanoni aus Augsburg angelegt worden. Der 1740 in Graubünden geborene Kaufmann hatte sich bei einer Ausschreibung der Regierung des Kurfürstentums Bayern zur Urbarmachung der Lechauen als Kolonist beworben. Am 1. Mai 1804 bekam er 97 Tagwerk (32 Hektar) Grund in der Meringerau zugeteilt. So hieß der Bereich in den Lechauen, der 1910 mit der Eingemeindung nach Augsburg den Namen Siebenbrunn erhielt.
Johann Vanoni ließ das Waldund Auengelände roden und ein Gutshaus sowie landwirtschaftliche Gebäude erbauen. Er gönnte sich den Luxus eines stadtnahen Landguts. Sein Sohn Bernhard übernahm es 1809 und versuchte sich als Bauer. Er vermehrte den Viehbestand und die Nutzfläche – und er ließ rund 1000 Obstbäume pflanzen. Die Erträge auf den Äckern und Wiesen im Lech-Schwemmland waren jedoch mager, sodass Bernhard Vanoni im Jahr 1819 das Gut verkaufen musste.
Es folgten zahlreiche Besitzwechsel. Einer der zeitweiligen Gutsherren ließ zur Verwertung des Obstes 1881 eine Schnapsbrennerei bauen. Sie erbrachte nicht die erhofften Gewinne, denn ab 1889 ging das Gut mehrmals durch die Hände von Immobilien-Spekulanten. Sie bewirtschafteten es nicht selbst. Am 22. Juli 1902 wechselte das „Schlossgut“für 141.000 Mark den Besitzer.
1903 wurde es zwangsversteigert. Der Kaufmann und KunstdüngerFabrikant Georg Preßmar aus Söflingen bekam bei einer Zwangsversteigerung den Zuschlag für 86.000 Mark.
Weder Georg Preßmar noch seine Nachfahren waren Landwirte, doch sie hatten ertragreich wirtschaftende Verwalter eingesetzt. Die Familie Preßmar investierte weiterhin in Siebenbrunn: Sie kaufte Grund dazu, errichtete Scheunen, Schuppen, eine Remise und ein Gewächshaus. Sie finanzierte 1957/58 einen Umbau des Gutshauses mit Mansarddach, das dabei den Charakter eines Wohnblocks annahm. Bis zum Jahr 1989 blieb das Anwesen noch im Besitz der Preßmar’schen Nachfahren.