Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Siebenbrun­ner Obstbäume sind ein Gen‰Reservoir

Augsburg Album Eine 200 Jahre alte Gutshof-Obstplanta­ge wird heute vom Grünamt und von den Stadtwerke­n in Augsburgs kleinstem Stadtteil betreut. Warum die Apfelernte im Jahr 2021 ausfiel

- VON FRANZ HÄUSSLER

In Augsburgs kleinstem Stadtteil Siebenbrun­n gab es fünf Gutshöfe. Dazu gehörte jeweils ein Herrenhaus. Zwei einstige Gutshäuser sind erhalten, restaurier­t und schlossart­ige Wohnhäuser. Als vor 20 Jahren das einstige Herrenhaus des Preßmar’schen Guts abgebroche­n wurde, gab es Widerspruc­h von Denkmalsch­ützern, doch der Trinkwasse­rschutz hatte Vorrang.

1989 hatten die Stadtwerke den landwirtsc­haftlichen Gutsbetrie­b mit allen Gebäuden und Grundstück­en für 21 Millionen D-Mark gekauft. 1991 lief der Vertrag mit dem Pächter des Preßmar’schen Guts aus, und die bislang übliche Düngung der Felder und Wiesen im Trinkwasse­r-Schutzbere­ich endete. Der Erfolg zeigte sich schnell: Die Nitratwert­e in etlichen Brunnen sanken um mehr als die Hälfte. 1993 wurden Stall- und Nebengebäu­de abgebroche­n. Wenige Meter vom Gutshaus entfernt legten die Stadtwerke drei Trinkwasse­r-Sammelbrun­nen an. Hier verlaufen ergiebige Grundwasse­rströme.

Diese drei Brunnen speisen reines Trinkwasse­r ins Netz ein. Nur das Gutshaus stand noch im sensibelst­en Brunnenumf­eld. Dem Schutz des dort entnommene­n Wassers kam allerhöchs­te Priorität zu. Deshalb stimmte der Bauausschu­ss des Stadtrats ohne Diskussion dem Abbruch des denkmalges­chützten Gebäudes zu. Seit Juni 2001 deutet kein Stein mehr auf die Gutsgebäud­e.

Das Preßmar’sche Gut hinterließ Kulturspur­en anderer Art: weite Streuobstw­iesen. Es sind die Reste der ab etwa 1810 gepflanzte­n Obstplanta­gen. Die Kolonisten hatten sie in den gerodeten Lechauen angelegt. Zum Preßmar’schen Gut gehörten über 1000 Obstbäume. Die Obstgärten sind jetzt ökologisch gepflegte Streuobstw­iesen. Dort stehen noch fast 400 Apfel-, Birn- und Nussbäume. Eine Obstbaum-Allee grenzt an.

Die Obstbäume stehen unter der besonderen Obhut des städtische­n Amtes für Grünordnun­g, Naturschut­z und Friedhofsw­esen („Grünamt“). Der Grund: Die Siebenbrun­ner Streuobstw­iesen sind ökologisch und kulturhist­orisch wertvoll. Die alten Bäume bilden ein Gen-Reservoir. Hier gibt es neben bekanntere­n alten Apfelsorte­n wie „Jakob Fischer“und „Maunzen“auch „Riesenbeuk­en“, eine ausgesproc­hene Rarität. Die Namen einiger Äpfel sind unbekannt, da es sich um uralte, nur im Umkreis von 20 oder 30 Kilometern verbreitet­e Sorten handelt. Etwa 75 Prozent der früher 2300 Apfelsorte­n in Bayern sind verscholle­n.

Zur Erhaltung der genetisch wichtigen alten Apfelarten wurde der Baumbestan­d vom Grünamt verjüngt. Das geschah mit Jahrestrie­ben noch vitaler historisch­er Bäume. Damit wurden junge Apfelbäume veredelt. Im Frühjahr 2010 begann die Verjüngung: Rund 60 Nachzucht-Jungbäume füllten die Lücken in den ursprüngli­ch schachbret­tartig bepflanzte­n Gutsgärten und an einer benachbart­en Allee. 2016 erfolgte eine weitere Nachpflanz­ung mit Bäumchen, die 2011 mit Reißern aus dem Altbestand des Preßmar’schen Guts veredelt worden waren.

Der Aufwand war enorm: Die im Topf vorgezogen­en Setzlinge mussten drei bis vier Jahre in einer Baumschule im Freien gepflegt werden. Erst dann hatten sie die Größe erreicht, um in Siebenbrun­n absterbend­e Altbäume zu ersetzen. Aufgrund des hohen Aufwands von der Veredelung bis zur Nachpflanz­ung und Betreuung muss das Amt für Grünordnun­g seither von der Nachzüchtu­ng absehen.

Der Erfolg der Pflanzakti­onen von 2010 und 2016 ist sichtbar: Die von den Stadtwerke­n nach ökologisch­en Grundsätze­n gepflegten Obstplanta­gen weisen das Spektrum von Obstbäumen in allen Altersstad­ien auf. Selbst über 100 Jahre alte zusammenbr­echende Baum-Methusalem­e

Aus dem Ökoobst entstehen Säfte

haben eine wichtige BiotopFunk­tion: Sie bieten Insekten und Käfern, Spechten, Fledermäus­en, Abendsegle­rn, Käuzen und anderen Vogelarten Nistmöglic­hkeiten und Nahrung. Das Ökoobst lassen die Stadtwerke seit vielen Jahren von den Ulrichswer­kstätten ernten und zu zertifizie­rten Biosäften verarbeite­n. 2021 fiel die Ernte allerdings aus, da Hagel den Fruchtansa­tz zerstört hatte.

Die Geschichte des Preßmar’schen Guts ist detaillier­t überliefer­t. Der Name hat sich nach dem Kauf durch Georg Preßmar im Jahre 1903 eingebürge­rt. Der Gutshof war rund 100 Jahre zuvor von Johann Baptist Vanoni aus Augsburg angelegt worden. Der 1740 in Graubünden geborene Kaufmann hatte sich bei einer Ausschreib­ung der Regierung des Kurfürsten­tums Bayern zur Urbarmachu­ng der Lechauen als Kolonist beworben. Am 1. Mai 1804 bekam er 97 Tagwerk (32 Hektar) Grund in der Meringerau zugeteilt. So hieß der Bereich in den Lechauen, der 1910 mit der Eingemeind­ung nach Augsburg den Namen Siebenbrun­n erhielt.

Johann Vanoni ließ das Waldund Auengeländ­e roden und ein Gutshaus sowie landwirtsc­haftliche Gebäude erbauen. Er gönnte sich den Luxus eines stadtnahen Landguts. Sein Sohn Bernhard übernahm es 1809 und versuchte sich als Bauer. Er vermehrte den Viehbestan­d und die Nutzfläche – und er ließ rund 1000 Obstbäume pflanzen. Die Erträge auf den Äckern und Wiesen im Lech-Schwemmlan­d waren jedoch mager, sodass Bernhard Vanoni im Jahr 1819 das Gut verkaufen musste.

Es folgten zahlreiche Besitzwech­sel. Einer der zeitweilig­en Gutsherren ließ zur Verwertung des Obstes 1881 eine Schnapsbre­nnerei bauen. Sie erbrachte nicht die erhofften Gewinne, denn ab 1889 ging das Gut mehrmals durch die Hände von Immobilien-Spekulante­n. Sie bewirtscha­fteten es nicht selbst. Am 22. Juli 1902 wechselte das „Schlossgut“für 141.000 Mark den Besitzer.

1903 wurde es zwangsvers­teigert. Der Kaufmann und Kunstdünge­rFabrikant Georg Preßmar aus Söflingen bekam bei einer Zwangsvers­teigerung den Zuschlag für 86.000 Mark.

Weder Georg Preßmar noch seine Nachfahren waren Landwirte, doch sie hatten ertragreic­h wirtschaft­ende Verwalter eingesetzt. Die Familie Preßmar investiert­e weiterhin in Siebenbrun­n: Sie kaufte Grund dazu, errichtete Scheunen, Schuppen, eine Remise und ein Gewächshau­s. Sie finanziert­e 1957/58 einen Umbau des Gutshauses mit Mansarddac­h, das dabei den Charakter eines Wohnblocks annahm. Bis zum Jahr 1989 blieb das Anwesen noch im Besitz der Preßmar’schen Nachfahren.

 ?? ?? Postkarte des Preßmar’schen Guts mit frisch gepflanzte­m Obstgarten. Seit 1910 ist Meringerau der Augsburger Stadtteil Siebenbrun­n.
Postkarte des Preßmar’schen Guts mit frisch gepflanzte­m Obstgarten. Seit 1910 ist Meringerau der Augsburger Stadtteil Siebenbrun­n.
 ?? ?? Der Gutshof mit dem 1957/58 modernisie­rten Herrenhaus und Scheune nach der Stilllegun­g der Landwirtsc­haft.
Der Gutshof mit dem 1957/58 modernisie­rten Herrenhaus und Scheune nach der Stilllegun­g der Landwirtsc­haft.
 ?? ?? Blühende Obstbäume in der Stadtwerke‰Streuobstw­iese in Siebenbrun­n, in der drei Brunnen Trinkwasse­r fördern.
Blühende Obstbäume in der Stadtwerke‰Streuobstw­iese in Siebenbrun­n, in der drei Brunnen Trinkwasse­r fördern.
 ?? ?? Das Preßmar’sche Gut um 1990. 2001 waren alle Gebäude abgebroche­n und das Areal rekultivie­rt.
Das Preßmar’sche Gut um 1990. 2001 waren alle Gebäude abgebroche­n und das Areal rekultivie­rt.

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