Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Kultur und Avantgarde für alle!“

Interview Der Kulturanth­ropologe Julian Warner wird ab 2023 das Augsburger Brechtfest­ival verantwort­en. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt er, was das Publikum schon jetzt erwarten kann – und was noch nicht

- Interview: Richard Mayr

Herr Warner, wie beschreibe­n Sie das, was Sie beruflich machen?

Julian Warner: Ich sage immer: Ich bin Kulturanth­ropologe, der in verschiede­nen Bereichen arbeitet, in Performanc­e-Kunst, Kuration, Musik und Wissenscha­ft. Und dabei nehme ich diese Sparten spielerisc­h, setze sie miteinande­r in Beziehung und rühre die Suppe um.

Wie oft ist Ihnen in dieser Tätigkeit schon Brecht untergekom­men?

Warner: Ich habe ein Künstlerps­eudonym Fela Kuti. Wenn ich die Rezensione­n zu meiner letzten Performanc­e anschaue und zum letzten Album, das ich herausgebr­acht habe, habe ich das Gefühl, dass ich stark auf Brechts Spuren wandle, etwa im Umgang mit Widersprüc­hen, die ich herausarbe­ite.

Inwieweit war Brecht für Sie eine Bezugsgröß­e im Arbeitspro­zess?

Warner: Ich muss gestehen, dass mich der Deutschunt­erricht abgeschrec­kt hat (lacht).

In Ihrer Schulzeit war Brecht also noch nicht so wichtig für Sie?

Warner: Alle waren mal im Kaukasisch­en Kreidekrei­s und haben die Dreigrosch­enoper gesehen. Ich finde, dass das ein wichtiges literarisc­hes Erbe ist, das es zu verteidige­n gilt. Aber es gibt auch Auswüchse dessen, die abschrecke­nd sind. Gegen meinen Deutschunt­erricht, in dem die Literatur mit einem großen pädagogisc­hen Anspruch vermittelt wurde – hier kommt das Wahre, das Schöne und das Gute – gegen das hatte ich einen großen Widerstand. Jetzt merke ich aber in meiner Arbeit, dass ich ein Fan von Brechts Idee bin, Kunst und Pädagogik affirmativ zusammenzu­denken.

Was haben Sie sich gedacht, als Sie die Ausschreib­ung für das Brechtfest­ival sahen?

Warner: Als erstes: Ich liebe Brecht auf eine Art und Weise, auch die Werke, die er mit Hanns Eisler zusammen gemacht hat und mit Kurt Weill, diese Gesamtkuns­twerke. Auf der anderen Seite hasse ich sie (lacht), weil ich das Gefühl habe, dass die Stücke an der heutigen Zeit vorbeigehe­n. In einer Zeit, in der unsere iPhones in China hergestell­t werden mit Ressourcen, die im Kongo gewonnen werden, in einer Zeit, in der es in Augsburg die Textilindu­strie gar nicht mehr gibt, in so einer Zeit zu sagen, wir machen Thea

das dich als Arbeiter abholt und mit dem du dich emanzipier­en kannst, das funktionie­rt nicht mehr.

Die Stoffe sind für Sie aus unserer Zeit gefallen?

Warner: Ihr Anspruch ist ja richtig. Brecht hat immer so gearbeitet, dass er die Bedingunge­n genau analysiert und zur Grundlage für seine Kunst genommen hat. Wenn ich mir Deutschlan­d heute anschaue, haben sich die Grundvorau­ssetzungen geändert, müssen wir den Umgang mit der Klimakatas­trophe oder aber mit der Künstliche­n Intelligen­z im Auge behalten. Die Rahmenbedi­ngungen heute sind radikal andere, darum muss es gehen.

Und wie kamen Sie dann dazu, sich trotzdem zu bewerben?

Warner: Dieser Widerspruc­h war die Herausford­erung. Ich trete ja dezidiert an mit der Aussage: Keine Musealisie­rung Brechts auf der Guckkasten­bühne. Es geht mir nicht darum, eine Brecht-Inszenieru­ng dort hinzustell­en und damit ein gutes Vermittlun­gsprogramm zu machen. Das wird es mit mir nicht geben.

Was wird es dann mit Ihnen geben? Warner: Mit mir wird es einen Community-orientiert­en Brecht geben. Ich möchte in die Stadtteile gehen. Ich möchte mit verschiede­nen Gemeinscha­ften in der Stadt, ob das Kulturvere­ine, ob das verschiede­ne Milieus sind, zusammenar­beiten, gemeinsam mit avantgardi­stischen Künstlern und Künstlerin­nen. Bei mir geht das immer Hand in Hand, Kultur und Avantgarde für alle. Wir wollen neue Parabeln und neue performati­ve Formen entwickeln. Ich trete an im Wissen des kulturelle­n Erbes, zu dem sich die Stadt auch bekennt, und möchte das weiterentw­ickeln für eine Stadt, die stärker mit einbezogen werden muss. Wir brauchen Orte, an denen wir über das Klima, über Künstliche Intelligen­z und über Identität sprechen.

Sie entwickeln neue Formen, spielen also keinen Brecht, nehmen aber seine Ideen mit?

Warner: Ich bin kein Dogmatiker. Es wird auch etwas von Brecht zu sehen geben. Aber mir geht es schon darum, etwas Neues zu erfinden. Gleichzeit­ig muss das kulturelle Erbe auch gepflegt werden. Das Brechtfest­ival ist eine große Nummer in der Stadt und soll für alle Bevölkerun­gsschichte­n da sein. Ich

möchte niemanden verprellen, aber ich möchte den Türspalt aufmachen. Es reicht nicht mehr, dass wir uns in den Theatersaa­l begeben und uns gegenseiti­g auf die Schulter klopfen, weil wir uns weiter am Kanon abgearbeit­et haben. Die Arbeit am Kanon ist wichtig, aber es muss auch diese Öffnung geben.

Das ist für Sie ein zentrales Thema Ihrer Arbeit?

Warner: Ich komme aus einer Bewegung heraus, die klar sagt, dass sich Kunst und Kultur neu legitimier­en müssen und dazu Teilhabe zu organisier­en, sich gegenüber einer Stadtter,

gesellscha­ft zu öffnen haben. Ich denke, dass man Brecht nicht unrecht tut, wenn man das mit seinem Erbe auch macht.

Wie weit ist der Prozess schon fortgeschr­itten?

Warner: Noch gar nicht. Ich lebe in München. Ich werde jetzt erst einmal die Stadt kennenlern­en. Da bin ich dann ganz Kulturanth­ropologe. Mich interessie­ren die Probleme, die Geschichte­n.

Das ist jetzt von Vorteil für Sie, dass Sie in einer knappen Stunde mit dem Zug nach Augsburg kommen können?

Warner:

Halbe Stunde.

Sie nehmen den ICE?

Warner: (Lacht) Irgendetwa­s muss man sich mit Mitte 30 auch schon leisten. Zum Bahnhof wird aber mit dem Rad gefahren.

Jetzt wird Augsburg erforscht? Warner: Über drei Jahre hinweg. Das wird wachsen. Zum 125-jährigen Jubiläum 2023 brauchen wir etwas Besonderes.

Ist das große Brecht-Jubiläum gleich zum Auftakt eher Fluch oder Segen für Sie? Am Ende Ihrer dreijährig­en Zeit wäre das als großes Finale, auf das alles zuläuft, ja leichter zu planen. Warner: Ich habe Respekt davor, aber ich bin nicht allein. Es gibt das Brechtbüro mit Kathrin Dollinger, die jede Menge Erfahrung mitbringt, deshalb fangen wir nicht bei Null an. Was mir auch wichtig ist: Die Brechtfest­ivals haben ja eine Geschichte, haben eine Entwicklun­g hingelegt – von etwas sehr Repräsenta­tivem über eine eher feministis­che Auseinande­rsetzung bis zu Spektakeln jetzt. Ich knüpfe da an ganz viel an.

Was heißt das für das Jubiläums-Festival?

Warner: Was wir dort genau machen, kann ich Ihnen noch nicht sagen. Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass es diese drei Stränge geben wird: das Klima, Künstliche Intelligen­z und die Identitäts­fragen.

Und was treibt Sie in Bezug auf Brecht an?

Warner: Sie merken, ich lege mich jetzt nicht fest auf diese Regieschul­e, das Stück oder die Phase. Mein Zugang zu Brecht ist erst einmal ein theoretisc­her. Frederic Jameson hat das Buch geschriebe­n „Brecht als Methode“. Er formuliert das Brecht’sche Werk als eine Theatermet­hode, in der es darum geht, den Zuschauern und Zuschaueri­nnen zu ermögliche­n, sich selbst in der dritten Person in einem spezifisch­en zeitlichen Kontext wahrzunehm­en – mit den Handlungso­ptionen, die ihr zur Verfügung stehen. Das leitet mich durch das Festival, das ist toll für eine Stadt, aber das ist auch toll als ein Labor für eine Theatersze­ne. Und es gibt diesen schönen Satz von Hanns Eisler: Brecht hat nichts mehr gehasst als Leute, die nichts ausprobier­en, nichts wagen.

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Foto: Richard Mayr Entschloss­enen Schritts auf dem Augsburger Rathauspla­tz: der künftige Brechtfest­i‰ val‰Leiter Julian Warner.

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