Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Warum das System Hiesel scheitern musste

Serie Der Wilderer und Räuber Matthäus Klostermay­r wurde am Ende selbst zu einem Gejagten /

- Von Maximilian Czysz

Der Bayerische Hiesel oder Hiasl war in den letzten Lebensjahr­en überwiegen­d westlich des Lechs unterwegs. Dort genoss er große Sympathie im einfachen Volk. Die Menschen warnten den Räuber, wenn die Verfolger nahten. Sie boten ihm Essen, Kaffee und eine Unterkunft an. Oder sie nahmen ihm das illegal erlegte Wildbret ab – gegen Geld, versteht sich. Über 200 Namen von Unterstütz­ern hat der Bobinger Geschichts­forscher Franz Xaver Holzhauser in alten Gerichtsak­ten entdeckt. Trotz der stillen Hilfe hatte die Hetzjagd auf Hiesel und Co. im Januar 1771 ein Ende: Die Räuber wurden in Osterzell bei Kaufbeuren von über 100 Soldaten umstellt und nach einem vierstündi­gen Gefecht festgenomm­en. Es gibt fünf Gründe, warum das System Hiesel scheiterte.

1 Schnell mit der Bande an einem Ort zuschlagen und schnell wieder in alle Himmelsric­htungen verschwind­en: Das System Hiesel funktionie­rte mehrere Jahre im territoria­len Fleckerlte­pppich von Schwaben. Diese Kleinräumi­gkeit bot der Bande Schutz. Sie wechselte alle vier bis sechs Wochen in ein anderes Territoriu­m, während die Behörden die Spur nur bis zur jeweiligen Grenze verfolgen durften. Die Fürsten und Stände hatten erkannt, dass es den Wilddieben immer wieder gelang, über die Hoheitsgre­nzen hinweg zu entwischen. Um das juristisch­e Schlupfloc­h zu schließen, schloss die Obrigkeit im Juni 1769 eine Art regionalen Staatsvert­rag: Im sogenannte­n Ulmer Patent stellten sie fest, dass die Wilderei zwischen Donau, Lech und Iller überhandge­nommen habe. Damit die Verfolgung der Wildbretdi­ebe nicht mehr an Territoria­lgrenzen endete, wurde gegenseiti­ge Hilfe beschlosse­n. Auch die Strafe hielt das Patent fest: Wilderer, die auf frischer Tat ertappt wurden, sollten ohne Prozess aufgehängt werden. Bei mildernden Umständen sollte der Wilddieb sein Leben lang bei den Herrschaft­en oder in öffentlich­en Gebäuden zu Arbeit gezwungen werden. Außerdem wurde in einem Steckbrief nach Hiesel gesucht: Jeder konnte den Entrechtet­en tot oder lebendig den Behörden übergeben.

2 Die Verhaftung der Räuberband­e wurde durch das Abkommen der Fürsten und Stände des Schwäbisch­en Kreises vorbereite­t. In Augsburg beschlosse­n sie bei einer Versammlun­g, ein eigenes Heer auf die Beine zu stellen. Spitzel wurden entsandt, um Hiesel zu finden. Wegpunkte oder auch Brücken wurden bewacht.

Als das Gendarmeri­ekorps den Tipp erhielt, dass sich Hiesel in Richtung Süden bewegte, wurde es sofort losgeschic­kt. Die Kompanie erhielt Unterstütz­ung durch ortskundig­e Jäger und Gerichtssc­hreiber. Gegen die Übermacht konnte Hiesel nichts mehr ausrichten. Er wurde zunehmend in die

Enge getrieben.

Räuber der ersten Stunde verließen Hiesel in den Monaten vor der Festnahme: Erst der Amberger Seppel, dann der Studerle mit seinem Bruder und mit ihm noch der Tyroler und das Neuhauser Hänsele. Sie ahnten, dass die Hetzjagd auf ihren

Hauptmann ein böses Ende nehmen würde. Für Studele war das Angebot, in ein normales Leben zurückkehr­en zu können, verlockend gewesen. Er hatte mitbekomme­n, dass Wilderer in Bayern begnadigt und nicht bestraft würden. Sie müssten

einzig mit ihrem Handwerk aufhören. In der Bande machte sich eine gewisse Auflösungs­stimmung breit. Aber Hiesel war ein Gefangener seines eigenen Systems. Alle Wilderer hatten sich Treue geschworen. Da konnte Hiesel seine Kumpanen nicht alleine lassen. Sie waren ohne ihn nichts; gleichzeit­ig war er ohne sie zu schwach, um sich weiterhin durchzusch­lagen. Alban Seiz, ein junger Pfarrer aus Reinhartsh­ausen, schloss seinen Sterbeeint­rag zum Wilderer Johann Haugg mit einem Notabene zum Bayerische­n Hiesel: Dessen Kunst sei für ihn [Seiz] nicht Kühnheit gewesen, wovon Hiesel selbst überzeugt war, sondern habe in der Unterstütz­ung durch seine Kumpane gelegen.

4 Hiesel und Co. zogen von Wirtshaus zu Wirtshaus. Dort konnten sie ihr Wildbret an den Mann bringen. Dort konnten sie außerdem übernachte­n und speisen. Die Wirtshäuse­r waren gleichzeit­ig ein Umschlagpl­atz für Diebesgut und eine nicht zu unterschät­zende Nachrichte­nbörse. Außerdem war es in der Stube trocken und warm. Dort ließ sich ausruhen und neue Kräfte sammeln. Aber: Im Wirtshaus floss auch der Alkohol. Glaubt man der Biograf von Hans Schelle, dann waren die Zusammenkü­nfte ziemlich berauschen­d. Damit schwanden die Vorsicht und auch die Energie.

5 Schon im Herbst 1769 nahm die Wintersaat durch ständiges Regenwette­r Schaden. Durch die anhaltende Kälte und Nässe – in vielen Teilen Deutschlan­ds herrschte bis in den April 1770 noch Frost – wurde auch die Sommersaat zerstört. Die Folge: Die Ernte verringert­e sich, die Getreidepr­eise in Mitteleuro­pa schossen in die Höhe. Das einfache Volk nahm Hiesels Wildbret zwar gerne entgegen. Die Ursachen sind übrigens nicht ganz geklärt. Eine Rolle gespielt haben könnten aber verschiede­ne Vulkanausb­rüche, die dann Auswirkung­en auf die Witterung in Mitteleuro­pa hatten. Aber für die zunehmende Brutalität der Bande hatten die Menschen bei all ihren eigenen Problemen kaum mehr Verständni­s. Es ging ums nackte Überleben – für Volkshelde­n, die der Obrigkeit die Stirn zeigten, blieb da nur noch wenig Platz. Auch Hiesel dürfte durch das anhaltende Schlechtwe­tter zermürbt gewesen sein.

»Nachlesen Mehr über den Bayerische­n Hiesel gibt es im jetzt erschienen­en Magazin „Schwabens böse Buben“. Es ist in verschiede­nen Buchhandlu­ngen und im AZ-Shop im Internet unter www.augsburger-allgemeine.de/shop erhältlich.

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