Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Unter dem Mikrosko Nordendorf seine P gibt der Reiter von Geheimnisse preis
Wer waren sie, wie lebten sie und warum bestatteten die Me Die Untersuchung eines spektakulären Fu
Nordendorf Tracy Niepold wird sich den Kerl noch sehr lange ganz genau anschauen. Seine Knochen, das Schwert, den Gürtel, die winzigen Überreste der Bekleidung. Was für den Laien auf den ersten Blick eine nur schwer unterscheidbare braune Masse ist, über die quer ein stark verrosteter Metallgegenstand liegt, ist für die Organik-Expertin des Landesamtes für Denkmalpflege eine sehr seltene Gelegenheit: ein Fenster in die Vergangenheit.
Um es zu öffnen, braucht es mühsame Kleinarbeit unter dem Mikroskop. Doch allmählich gibt der Reiter von Nordendorf, der vor 1300 Jahren prachtvoll bestattet worden ist und dessen Becken jetzt in Thierhaupten auf einem Metalltisch liegt, seine Geheimnisse preis.
Als vor knapp vier Jahren in Nordendorf die Gräber zweier Männer und eines Pferdes aus dem siebten Jahrhundert geborgen wurden, war den Archäologen schnell klar, dass ihnen hier ein bedeutender Fund geglückt war. In Grab zwei nämlich lag das Skelett eines 20 bis 40 Jahre alten, etwa 1,80 Meter großen Mannes mit vielen wertvollen Grabbeigaben. Der Krieger war mit Schwertern, Schild und Lanze sowie einem Zaumzeug bestattet worden.
Mehr noch als die Waffen des Reiters von Nordendorf faszinierten die Forscher aber die übrigen Grabbeigaben: die goldenen Kreuze und eine bronzene Kanne sowie eine Geschirrschale. Nicht mehr als 30 derartige Stücke gibt es in ganz Bayern. Die in Nordendorf gefundenen stammen aus dem Mittelmeerraum, wahrscheinlich aus Ägypten, hieß es bei der Präsentation der Funde in der Zentrale des Landesamtes in München. Und schon damals war klar, dass die Erforschung der Funde noch lange nicht abgeschlossen ist. Was nicht gesagt wurde: Dabei sollte eine Gefriertruhe eine wesentliche Rolle spielen.
Für Archäologen ist nicht nur wichtig, was sie finden, sondern auch wie sie es vorfinden. Aus der Lage der Fundstücke und ihrem Zustand lassen sich wichtige Erkenntnisse ziehen. Sie gehen unwiederbringlich verloren, wenn die Fundstelle zerstört wird.
Das haben die Archäologen in Nordendorf gefunden.
In einer Tiefe von 1,50 Meter überdauerte der Reiter von Nordendorf in der Grabkammer ungestört die Jahrhunderte. „Da haben wir Glück gehabt,“sagt Restaurator Matthias Blana. Das andere Grab, in dem ein etwa 50-Jähriger lag, war zum Beispiel weitgehend leer. Grab zwei dagegen wurde in einer aufwendigen Prozedur geborgen.
Um die Lage der Fundstücke im Grab nicht zu verändern, wurde dieses mitsamt Inhalt in zwei großen Erdblöcken herausgehoben.
Diese Blöcke wiederum kamen in die Gefriertruhe. Denn nur in gefrostetem Zustand waren sie stabil genug, um in München fürs Röntgen präpariert zu werden, indem zum Beispiel störende Kieselsteine aus den Erdblöcken entfernt wurden. Die Röntgenaufnahmen dienten für die späteren Untersuchungen als eine Art Landkarte zur Orientierung. Sie ließen aber auch schon deutlich erahnen, was sich im Innern des Blocks befand, den Tracy Niepold nun unter dem Mikroskop Schicht für Schicht auseinandernimmt.
Der Reiter von Nordendorf trug einen prächtigen Gürtel.
Bestattet wurde der Krieger mit einem reich verzierten Gürtel, wie er damals in Teilen Mitteleuropas Mode war. Ursprünglich stammten die Gürtel aus Persien, kamen dann über Byzanz (heute Istanbul) nach Mitteleuropa. Das Stück in Nordendorf war mit silberverzierten Eisenbeschlägen reich verziert, wie die aus dem Germanischen stammenden Tierornamente zeigten. „Das Ding ist handwerklich allererste Sahne,“schwärmt Hubert Fehr, ChefArchäologe des Landesamtes für Schwaben und Mittelfranken. Kollegin Niepold hat winzige Stoffreste analysiert und eine große Bandbreite von hochwertigen Mustern entdeckt. „Langsam ergibt sich ein Bild,“sagt sie.
Dieses lässt den Schluss zu, dass der Reiter von Nordendorf zu Lebzeiten prächtig ausstaffiert durch die Landschaft stolzierte und fein gewebte Kleider trug. Damals galt viel mehr als heute: „Kleider machen Leute.“Eine dem sozialen Status entsprechende Garderobe war nur möglich, wenn es auch zu jener Zeit, die vielen als das finsterste Mittelalter gilt, entsprechende Handwerker und Handelsnetzwerke gab. Dass dem so war, dafür mehren sich in der Forschung die Hinweise, sagt Fehr.
„Das Ding ist handwerklich allererste Sahne.“
Hubert Fehr
Das Lechtal rund um Augsburg war im frühen Mittelalter dicht besiedelt.
Er zeichnet für das Lechtal des siebten Jahrhunderts das Bild eines blühenden und dicht besiedelten Landstrichs, der über die alte Römerstraße Via Claudia mit den internationalen Handelswegen verbunden war. Zentrum sei nach wie vor
Augsburg gewesen. Zwar nicht mehr so groß wie zu Zeiten als römische Provinzhauptstadt, aber immer noch Sitz eines Bischofs und möglicherweise auch der ersten bayerischen Herzöge. Der Lech, der in späteren Jahrhunderten Bayern und Schwaben trennte, habe zu Zeiten des Reiters von Nordendorf als politische Grenze noch keine Rolle gespielt, sagt Fehr.
Der Reiter sei ein Angehöriger der Oberschicht im Speckgürtel einer international vernetzten Metropole gewesen. Dass er so prachtvoll bestattet wurde, ist nach Angaben der Forscher eine Besonderheit der damaligen Zeit. Weder in den Jahrhunderten davor noch danach habe es so prächtige Grabbeigaben gegeben, die Menschen verbuddelten mit ihren Verstorbenen wahre Vermögen. Das galt auch für die Angehörigen ärmerer Schichten
Heute ist davon nicht mehr viel übrig. In Nordendorf hat die Zeit die mit Silber verzierten Gürtelbeschläge zu unansehnlichen Klumpen werden lassen, die nur mit höchstem Aufwand hergerichtet werden können. Einen von vier Knöpfen, die die
Schwertscheide des Reiters zierten, hat sich Matthias Blana vorgenommen. Unter den Händen des versierten Restaurators kam ein feuervergoldeter Silberknopf zum Vorschein, dessen Halbedelsteine aus Indien stammen. Manche Verzierungen seien so fein gearbeitet, dass sie nur unter dem Mikroskop zu sehen sind, sagt Blana, der die Handwerkskunst des Schöpfers des
Schmuckstücks rühmt: „Das möchte ich mal von einem heutigen Goldschmied sehen.“
Einen „geradezu absurden Aufwand für die Ausstattung ihrer Toten“hätten die Menschen des 6. und 7. Jahrhunderts betrieben, sagt Fehr und liefert auch die Erklärung dazu: „Sie haben es gekonnt.“Forscher sprächen für das sechste und siebte Jahrhundert vom „Goldenen Zeitalter der Landbevölkerung“. Dafür sprechen auch die Knochenfunde aus dieser Zeit: Im Vergleich zu früheren und späteren Jahrhunderten sind die Toten größer – sie waren besser ernährt als zu anderen Zeiten. Ein möglicher Grund dafür: Das Römische Reich gab es nicht mehr, das der Karolinger noch nicht – und damit mussten die Menschen weniger Abgaben zahlen an eine Organisation, die Burgen und Straßen baute oder Heere unterhielt.
Die Untersuchung von Textil- und Lederresten, wie sie jetzt an dem Skelett von Nordendorf vorgenommen wird, ist in der Archäologie erst seit wenigen Jahrzehnten Standard, sagt Fehr. Genau deshalb bringe sie noch viele neue Erkenntnisse. Manches freilich dürfte für immer Spekulation bleiben. So wird davon ausgegangen, dass der Reiter und seine Zeitgenossen einen altgermanischen Dialekt sprachen, möglicherweise aber beherrschten sie nebenher noch eine Art Vulgär-Latein.
Offen ist nach wie vor die Todesursache des Mannes. Sein Skelett wird erst ganz zum Schluss von einem Anthropologen untersucht. Starb der Krieger eines gewaltsamen Todes, hat das vermutlich Spuren hinterlassen. Siechte er dagegen an einer Blutvergiftung dahin, wird sich das wohl nicht mehr feststellen lassen.
„Das möchte ich mal von einem heutigen Goldschmied sehen.“
Matthias Blana
Ausstellung über das frühe Mittelalter in Friedberg
Möglich ist noch eine ganze Reihe von Untersuchungen, spätestens in eineinhalb Jahren soll ein Ergebnis vorliegen. Dann soll der Reiter Teil einer Ausstellung über das frühe Mittelalter im Lechtal sein, die in Friedberg gezeigt wird.
Bis dahin wird Tracy Niepold noch etliche Stunden über dem Mikroskop verbringen. Stück für Stück werden sie und ihre Kollegen vom Landesamt den Erdblock sezieren, um den Geheimnissen des Reiters von Nordendorf auf die Spur zu kommen. „Wir sind noch mittendrin.“