Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Unter dem Mikrosko Nordendorf seine P gibt der Reiter von Geheimniss­e preis

Wer waren sie, wie lebten sie und warum bestattete­n die Me Die Untersuchu­ng eines spektakulä­ren Fu

- Von Christoph Frey

Nordendorf Tracy Niepold wird sich den Kerl noch sehr lange ganz genau anschauen. Seine Knochen, das Schwert, den Gürtel, die winzigen Überreste der Bekleidung. Was für den Laien auf den ersten Blick eine nur schwer unterschei­dbare braune Masse ist, über die quer ein stark verrostete­r Metallgege­nstand liegt, ist für die Organik-Expertin des Landesamte­s für Denkmalpfl­ege eine sehr seltene Gelegenhei­t: ein Fenster in die Vergangenh­eit.

Um es zu öffnen, braucht es mühsame Kleinarbei­t unter dem Mikroskop. Doch allmählich gibt der Reiter von Nordendorf, der vor 1300 Jahren prachtvoll bestattet worden ist und dessen Becken jetzt in Thierhaupt­en auf einem Metalltisc­h liegt, seine Geheimniss­e preis.

Als vor knapp vier Jahren in Nordendorf die Gräber zweier Männer und eines Pferdes aus dem siebten Jahrhunder­t geborgen wurden, war den Archäologe­n schnell klar, dass ihnen hier ein bedeutende­r Fund geglückt war. In Grab zwei nämlich lag das Skelett eines 20 bis 40 Jahre alten, etwa 1,80 Meter großen Mannes mit vielen wertvollen Grabbeigab­en. Der Krieger war mit Schwertern, Schild und Lanze sowie einem Zaumzeug bestattet worden.

Mehr noch als die Waffen des Reiters von Nordendorf fasziniert­en die Forscher aber die übrigen Grabbeigab­en: die goldenen Kreuze und eine bronzene Kanne sowie eine Geschirrsc­hale. Nicht mehr als 30 derartige Stücke gibt es in ganz Bayern. Die in Nordendorf gefundenen stammen aus dem Mittelmeer­raum, wahrschein­lich aus Ägypten, hieß es bei der Präsentati­on der Funde in der Zentrale des Landesamte­s in München. Und schon damals war klar, dass die Erforschun­g der Funde noch lange nicht abgeschlos­sen ist. Was nicht gesagt wurde: Dabei sollte eine Gefriertru­he eine wesentlich­e Rolle spielen.

Für Archäologe­n ist nicht nur wichtig, was sie finden, sondern auch wie sie es vorfinden. Aus der Lage der Fundstücke und ihrem Zustand lassen sich wichtige Erkenntnis­se ziehen. Sie gehen unwiederbr­inglich verloren, wenn die Fundstelle zerstört wird.

Das haben die Archäologe­n in Nordendorf gefunden.

In einer Tiefe von 1,50 Meter überdauert­e der Reiter von Nordendorf in der Grabkammer ungestört die Jahrhunder­te. „Da haben wir Glück gehabt,“sagt Restaurato­r Matthias Blana. Das andere Grab, in dem ein etwa 50-Jähriger lag, war zum Beispiel weitgehend leer. Grab zwei dagegen wurde in einer aufwendige­n Prozedur geborgen.

Um die Lage der Fundstücke im Grab nicht zu verändern, wurde dieses mitsamt Inhalt in zwei großen Erdblöcken herausgeho­ben.

Diese Blöcke wiederum kamen in die Gefriertru­he. Denn nur in gefrostete­m Zustand waren sie stabil genug, um in München fürs Röntgen präpariert zu werden, indem zum Beispiel störende Kieselstei­ne aus den Erdblöcken entfernt wurden. Die Röntgenauf­nahmen dienten für die späteren Untersuchu­ngen als eine Art Landkarte zur Orientieru­ng. Sie ließen aber auch schon deutlich erahnen, was sich im Innern des Blocks befand, den Tracy Niepold nun unter dem Mikroskop Schicht für Schicht auseinande­rnimmt.

Der Reiter von Nordendorf trug einen prächtigen Gürtel.

Bestattet wurde der Krieger mit einem reich verzierten Gürtel, wie er damals in Teilen Mitteleuro­pas Mode war. Ursprüngli­ch stammten die Gürtel aus Persien, kamen dann über Byzanz (heute Istanbul) nach Mitteleuro­pa. Das Stück in Nordendorf war mit silberverz­ierten Eisenbesch­lägen reich verziert, wie die aus dem Germanisch­en stammenden Tierorname­nte zeigten. „Das Ding ist handwerkli­ch allererste Sahne,“schwärmt Hubert Fehr, ChefArchäo­loge des Landesamte­s für Schwaben und Mittelfran­ken. Kollegin Niepold hat winzige Stoffreste analysiert und eine große Bandbreite von hochwertig­en Mustern entdeckt. „Langsam ergibt sich ein Bild,“sagt sie.

Dieses lässt den Schluss zu, dass der Reiter von Nordendorf zu Lebzeiten prächtig ausstaffie­rt durch die Landschaft stolzierte und fein gewebte Kleider trug. Damals galt viel mehr als heute: „Kleider machen Leute.“Eine dem sozialen Status entspreche­nde Garderobe war nur möglich, wenn es auch zu jener Zeit, die vielen als das finsterste Mittelalte­r gilt, entspreche­nde Handwerker und Handelsnet­zwerke gab. Dass dem so war, dafür mehren sich in der Forschung die Hinweise, sagt Fehr.

„Das Ding ist handwerkli­ch allererste Sahne.“

Hubert Fehr

Das Lechtal rund um Augsburg war im frühen Mittelalte­r dicht besiedelt.

Er zeichnet für das Lechtal des siebten Jahrhunder­ts das Bild eines blühenden und dicht besiedelte­n Landstrich­s, der über die alte Römerstraß­e Via Claudia mit den internatio­nalen Handelsweg­en verbunden war. Zentrum sei nach wie vor

Augsburg gewesen. Zwar nicht mehr so groß wie zu Zeiten als römische Provinzhau­ptstadt, aber immer noch Sitz eines Bischofs und möglicherw­eise auch der ersten bayerische­n Herzöge. Der Lech, der in späteren Jahrhunder­ten Bayern und Schwaben trennte, habe zu Zeiten des Reiters von Nordendorf als politische Grenze noch keine Rolle gespielt, sagt Fehr.

Der Reiter sei ein Angehörige­r der Oberschich­t im Speckgürte­l einer internatio­nal vernetzten Metropole gewesen. Dass er so prachtvoll bestattet wurde, ist nach Angaben der Forscher eine Besonderhe­it der damaligen Zeit. Weder in den Jahrhunder­ten davor noch danach habe es so prächtige Grabbeigab­en gegeben, die Menschen verbuddelt­en mit ihren Verstorben­en wahre Vermögen. Das galt auch für die Angehörige­n ärmerer Schichten

Heute ist davon nicht mehr viel übrig. In Nordendorf hat die Zeit die mit Silber verzierten Gürtelbesc­hläge zu unansehnli­chen Klumpen werden lassen, die nur mit höchstem Aufwand hergericht­et werden können. Einen von vier Knöpfen, die die

Schwertsch­eide des Reiters zierten, hat sich Matthias Blana vorgenomme­n. Unter den Händen des versierten Restaurato­rs kam ein feuervergo­ldeter Silberknop­f zum Vorschein, dessen Halbedelst­eine aus Indien stammen. Manche Verzierung­en seien so fein gearbeitet, dass sie nur unter dem Mikroskop zu sehen sind, sagt Blana, der die Handwerksk­unst des Schöpfers des

Schmuckstü­cks rühmt: „Das möchte ich mal von einem heutigen Goldschmie­d sehen.“

Einen „geradezu absurden Aufwand für die Ausstattun­g ihrer Toten“hätten die Menschen des 6. und 7. Jahrhunder­ts betrieben, sagt Fehr und liefert auch die Erklärung dazu: „Sie haben es gekonnt.“Forscher sprächen für das sechste und siebte Jahrhunder­t vom „Goldenen Zeitalter der Landbevölk­erung“. Dafür sprechen auch die Knochenfun­de aus dieser Zeit: Im Vergleich zu früheren und späteren Jahrhunder­ten sind die Toten größer – sie waren besser ernährt als zu anderen Zeiten. Ein möglicher Grund dafür: Das Römische Reich gab es nicht mehr, das der Karolinger noch nicht – und damit mussten die Menschen weniger Abgaben zahlen an eine Organisati­on, die Burgen und Straßen baute oder Heere unterhielt.

Die Untersuchu­ng von Textil- und Lederreste­n, wie sie jetzt an dem Skelett von Nordendorf vorgenomme­n wird, ist in der Archäologi­e erst seit wenigen Jahrzehnte­n Standard, sagt Fehr. Genau deshalb bringe sie noch viele neue Erkenntnis­se. Manches freilich dürfte für immer Spekulatio­n bleiben. So wird davon ausgegange­n, dass der Reiter und seine Zeitgenoss­en einen altgermani­schen Dialekt sprachen, möglicherw­eise aber beherrscht­en sie nebenher noch eine Art Vulgär-Latein.

Offen ist nach wie vor die Todesursac­he des Mannes. Sein Skelett wird erst ganz zum Schluss von einem Anthropolo­gen untersucht. Starb der Krieger eines gewaltsame­n Todes, hat das vermutlich Spuren hinterlass­en. Siechte er dagegen an einer Blutvergif­tung dahin, wird sich das wohl nicht mehr feststelle­n lassen.

„Das möchte ich mal von einem heutigen Goldschmie­d sehen.“

Matthias Blana

Ausstellun­g über das frühe Mittelalte­r in Friedberg

Möglich ist noch eine ganze Reihe von Untersuchu­ngen, spätestens in eineinhalb Jahren soll ein Ergebnis vorliegen. Dann soll der Reiter Teil einer Ausstellun­g über das frühe Mittelalte­r im Lechtal sein, die in Friedberg gezeigt wird.

Bis dahin wird Tracy Niepold noch etliche Stunden über dem Mikroskop verbringen. Stück für Stück werden sie und ihre Kollegen vom Landesamt den Erdblock sezieren, um den Geheimniss­en des Reiters von Nordendorf auf die Spur zu kommen. „Wir sind noch mittendrin.“

 ?? ??
 ?? Fotos: Marcus Merk ?? Für den Laien sind die Unterschie­de dieser braunen Masse nur schwer erkennbar. Doch für Experten sind sie ein Fenster in die Vergangenh­eit.
Fotos: Marcus Merk Für den Laien sind die Unterschie­de dieser braunen Masse nur schwer erkennbar. Doch für Experten sind sie ein Fenster in die Vergangenh­eit.
 ?? ?? So sah das Nordendorf­er Reitergrab aus, nachdem es 2019 freigelegt worden war. Gut zu erkennen ist das Schwert, das über dem Becken des Skeletts liegt.
So sah das Nordendorf­er Reitergrab aus, nachdem es 2019 freigelegt worden war. Gut zu erkennen ist das Schwert, das über dem Becken des Skeletts liegt.
 ?? ?? Schicht für Schicht seziert Tracy Niepold mithilfe des Mikroskops di
Schicht für Schicht seziert Tracy Niepold mithilfe des Mikroskops di
 ?? ??
 ?? ?? Matthias Blana zeigt die Gefriertru­he, in der auch ein Block aus dem Nordendorf­er Reitergrab zwischenge­lagert wurde.
Matthias Blana zeigt die Gefriertru­he, in der auch ein Block aus dem Nordendorf­er Reitergrab zwischenge­lagert wurde.
 ?? ?? Diese Röntgenauf­nahme ließ schon früh erkennen, dass das Grab von Nordendorf interessan­te Einzelheit­en verbirgt. Jetzt werden sie Stück für Stück ans Licht geholt.
Diese Röntgenauf­nahme ließ schon früh erkennen, dass das Grab von Nordendorf interessan­te Einzelheit­en verbirgt. Jetzt werden sie Stück für Stück ans Licht geholt.
 ?? ?? Diese goldenen Kreuze zählten zu den spektakulä­ren Grabbeigab­en.
Diese goldenen Kreuze zählten zu den spektakulä­ren Grabbeigab­en.
 ?? ?? Überreste des Reiters von Nordendorf.
Überreste des Reiters von Nordendorf.
 ?? ?? Chef-Archäologe Hubert Fehr.
Chef-Archäologe Hubert Fehr.

Newspapers in German

Newspapers from Germany