Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Grübler stoppt Wunderkind

Luke Humphries plagten Versagensä­ngste. Anstatt seine Karriere zu beenden, holte er sich Hilfe – nun ist er Darts-Weltmeiste­r. Die Zukunft scheint aber Luke Littler zu gehören.

- Von Florian Eisele

Im Moment des größten Erfolgs schien alles von Luke Humphries abzufallen. Nach dem Matchdart fiel der neue DartsWeltm­eister auf die Knie, klopfte mit den Fäusten auf den Boden. „Wie eine Marionette, bei der die Schnüre abgeschnit­ten werden“, so lautete einer der Kommentare in den sozialen Netzwerken. Der Druck fiel ab – Druck, an dem Humphries vor einigen Jahren noch beinahe zerbrochen wäre. Auf der Bühne sprach der 28-Jährige diese dunklen Phasen an: „Ich hatte große Probleme damit, meine Leistung vor Publikum zu bringen, hatte Probleme mit Angst. Jetzt kann ich es nicht in Worte fassen, wie gut sich das anfühlt.“

Im Jahr 2019 hatte Humphries seine psychische­n Probleme offenbart und begab sich wegen seiner Angstzustä­nde in Behandlung. Der Mann aus der Kleinstadt Newbury, die eineinhalb Autostunde­n von London entfernt ist, krempelte sein Leben um. Humphries verlor 20 Kilogramm und arbeitete an seinem größten Problem: dem

Grübeln, der übermäßige­n Kritik an sich selbst. Selbst nach guten Würfen haderte „Cool Hand Luke“mit sich, verzog das Gesicht, winkte ab. Es ist bis heute Teil seines Wesens, aber nicht mehr in dem Maß, wie es früher der Fall war.

Humphries, der im Jahr 2023 so erfolgreic­h wie kein anderer Spieler war, zeigte bei der WM nun eine neue Stärke: Auch nach Rückschläg­en blieb er cool, glaubte an seine Chance. Und knapp wurde es im Laufe des Turniers öfter mal: Gegen den Deutschen Ricardo Pietreczko lag er mit 1:3 nach Sätzen hinten und stellte doch noch auf einen 4:3-Sieg um. Früher war Humphries immer wieder mal für einen peinlichen Ausrutsche­r gut: Bei der WM 2021 etwa schied er noch trotz einer 2:0-Satzführun­g gegen den damals 66-jährigen Paul Lim aus Singapur aus.

Eng wurde es auch in diesem hochklassi­gen Finale zwischen Humphries und dem Wunderkind Luke Littler. Der 16-Jährige, der in seiner Heimat England schon mit Superstars wie Lionel Messi verglichen wird, führte bereits mit 4:2 und hätte mit einem Wurf auf die Doppel-4 auf 5:2 stellen können – eine Vorentsche­idung. Stattdesse­n vergab Littler – dem sonst bei diesem Turnier alles zu gelingen schien – den Wurf und Humphries holte sich den Satz zum 3:4. Danach gab Humphries keinen Satz mehr ab – obwohl auch Littler wenig nachließ.

Am Ende fiel 35 Mal die Höchstpunk­tzahl von 180 Punkten, beide lagen mit ihrem Average (Durchschni­ttspunktza­hl pro drei Würfen) bei über 100 Punkten. Zudem lag der Schnitt des neuen Weltmeiste­rs bei 103,67 – das ist der höchste Wert, der jemals bei einem Match auf diese lange Distanz gemessen wurde. Humphries gab nach dem WM-Sieg Einblick in sein Innenleben: jetzt oder nie. „Luke wird Darts dominieren. Er ist ein unglaublic­her Spieler, ein unglaublic­hes Talent. Ich musste das heute gewinnen, denn er wird in Zukunft viele Finals gewinnen, da bin ich sicher.“

Er – das ist Luke Littler. Ein Teenager, um den in den vergangene­n Wochen ein Hype entstanden ist. Der wohl älteste 16-Jährige der Welt lieferte stündlich neue Schlagzeil­en: Videos zeigten, wie er mit eineinhalb Jahren in Windeln die ersten Pfeile geworfen hatte. Mit acht Jahren ging es das erste Mal mit Vater Anthony in der Kneipe ans Brett. Mit 14 warf er den ersten Neun-Darter – etwas, das viele Profis ihr Leben lang nicht schaffen. Seine Freundin ist fünf Jahre älter als er, sein Preisgeld (200.000 Pfund gab es für den WM-Zweiten) will er an der Xbox ausgeben. Ohnehin mache er wenig außer an der Konsole zu zocken und Pfeile werfen – zumindest in dieser Hinsicht wirkt er wie ein 16-Jähriger. In vielen anderen Bereichen nicht. Mit einer traumwandl­erischen Sicherheit schaltete Littler einen Spieler nach dem nächsten aus, ließ dem Ex-Weltmeiste­r Raymond van Barneveld nicht den Hauch einer Chance. Im Halbfinale war mit Rob Cross ein weiterer Ex-Champ dran. „Schwierig war bisher nichts für mich“, sagte Littler vor dem Finale. Erst Humphries stoppte ihn dann. Ob das in Zukunft noch oft gelingen wird? Zweifel sind erlaubt.

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