Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wie zwei Österreicher eine Heimat fanden
Elfriede und Christian Kotnig wollten eigentlich nie weg aus ihrer alten Heimat. In unserer Kochserie „Erzähl-Mahl“verraten sie, warum sie seit fast 40 Jahren hier leben.
„Mise en Place ist alles“, sagt Elfriede Kotnig, als sie und ihr Mann Christian unsere Redaktion in ihrer Wohnung in Dinkelscherben empfangen. Bitte was? „Mise en Place“, wiederholt sie. Der Begriff stammt aus der Gastronomie und bedeutet Vorbereitung. Die 76-Jährige hat wie ihr drei Jahre älterer Mann lange im Service gearbeitet, er stand zwischendurch einige Jahre in der Küche. Und tatsächlich waren die beiden Österreicher schon fleißig. Es gibt steirisches Backhendl mit Salzkartoffeln, Wirsing und gemischtem Salat. Elfriede Kotnig hat bereits das Huhn zerlegt und die Haut abgezogen. Dann hat sie die Schenkel gesalzen und mit Mehl, Ei und Semmelbröseln paniert. Ihr Mann kümmert sich derweil um das Dessert: Topfen-Palatschinken.
So machen sie das immer. Sie bereitet die herzhaften Gerichte zu, er die süßen. Zusammen kochen die beiden selten. „Mein Mann weiß immer alles besser“, sagt Elfriede Kotnig, während die panierten Hähnchenschenkel im Topf vor ihr brutzeln. „Er kommt dann und kostet, ob noch etwas fehlt.“Das liebt sie, sagt Christian Kotnig und grinst. „Das hasse ich“, entgegnet seine Frau, die das aber nicht wirklich ernst meint.
Die beiden hatten vor Kurzem ihren 55. Hochzeitstag. Den Großteil ihrer Ehe haben die beiden im Landkreis Augsburg verbracht. In den 80er-Jahren übernahmen die beiden ein Lokal in Fischach. Dort standen viele österreichische Spezialitäten auf der Karte: Wiener Schnitzel, Kaiserschmarrn oder Palatschinken. „Am Anfang wurden wir überrannt“, erzählen die beiden. Die Selbstständigkeit hatten die beiden allerdings unterschätzt. „Wir waren blauäugig und haben viel Lehrgeld bezahlt.“Vor allem das Finanzielle war eine große Herausforderung. Nach 15 Jahren verkauften sie das Lokal wieder.
Mit einer Gabel wendet Elfriede Kotnig die brutzelnden Hähnchenschenkel. „Das Hendl muss durch werden, darf innen nicht mehr blutig sein“, erklärt sie. Das Gericht hat sie von ihrer Mutter gelernt. In der Küche musste auch sie allerdings erst viel lernen. „Meine ersten Semmelknödel waren komplett hart“, erzählt sie. Heute wünschen sich viele Freunde Backhendl zum Geburtstag.
Seit über 20 Jahren wohnen die Kotnigs in Dinkelscherben. Im Landkreis Augsburg fühlen sich die beiden längst heimisch. Das liegt auch daran, dass ihre beiden
Söhne und die vier Enkelkinder in der Nähe leben. Dabei wollte Elfriede Kotnig gar nicht weg aus Salzburg, wo die Familie früher lebte. Dort war es allerdings schwer, ein bezahlbares Lokal zu finden. Ihr Mann und die beiden Söhne überstimmten sie, nach Deutschland zu ziehen.
Eine Herausforderung war am
Anfang tatsächlich auch die Sprache. Der österreichische Lungenbraten hieß auf einmal Rinderfilet, die Extrawurst Bierschinken. In den ersten Jahren spürten sie außerdem oft Ablehnung. „Wir waren immer die Ausländer“, sagt Elfriede Kotnig. Einmal schrieb jemand mit Kreide „Tod dem Kotnig“vor die Tür.
So etwas passiert ihnen heute nicht mehr. Von befreundeten Wirten bekamen die beiden nach 25 Jahren im Landkreis Augsburg eine Urkunde als „Halb-Bayern“. Die Urkunde für „Voll-Bayern“haben sie bis heute nicht bekommen, scherzt Christian Kotnig. Während seine Frau die Backhendl brät, bestreicht er die Palatschinken mit Quark. Die Pfannkuchen hat er am Vortag schon gebraten. Die Palatschinken rollt Kotnig anschließend zusammen und schlichtet sie nebeneinander in eine Backform.
Was er an Österreich vermisst? „Das Gemütliche, das Unkomplizierte“, sagt er. In Österreich würden sich Gäste im Lokal an Tische mit fremden Leuten einfach dazusetzen, sagt seine Frau Elfriede. Da heißt es sofort: „Wer bist du? Wo
Wehmütiger Blick auf das schöne Wetter in der Steiermark
kommst du her?“In Deutschland würden die Gäste hingegen wieder gehen, wenn kein einzelner Tisch frei ist. In der Steiermark, wo Elfriede Kotnig herkommt, sind die beiden zwei oder drei Mal im Jahr, in Gedanken deutlich öfter. Zum Beispiel wenn sie den Wetterbericht im Fernsehen schauen. „In der Steiermark ist es oft sonnig, hier ist es grausig“, sagt Elfriede Kotnig.
Bis vor wenigen Jahren arbeiteten die beiden noch. Sie war 74, als sie in Rente ging, er sogar 76. „Wenn es kein Corona gegeben hätte, würde ich heute noch arbeiten“, sagt Christian Kotnig. Die Umstellung nach der Pensionierung war nicht einfach, plötzlich gab es am Sonntag nichts mehr zu tun. Die beiden laden deshalb oft Freunde oder Familie zum Essen ein, kochen mehrere Gänge. Ob ihnen der Trubel manchmal zu viel ist? „Kann gar nicht sein“, sagt Elfriede Kotnig. Alles eine Frage der Vorbereitung eben.
Für unsere Kochserie „ErzählMahl“haben wir mit Menschen aus dem Landkreis Augsburg ein Gericht aus ihrem Herkunftsland zubereitet. Wie haben mit ihnen über ihre Heimat gesprochen und wie sie in der Region gelandet sind. Alle Texte, Videos und Rezepte zur Serie finden Sie unter www.augsburgerallgemeine-land.de.