Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie zwei Österreich­er eine Heimat fanden

Elfriede und Christian Kotnig wollten eigentlich nie weg aus ihrer alten Heimat. In unserer Kochserie „Erzähl-Mahl“verraten sie, warum sie seit fast 40 Jahren hier leben.

- Von Jonathan Lyne

„Mise en Place ist alles“, sagt Elfriede Kotnig, als sie und ihr Mann Christian unsere Redaktion in ihrer Wohnung in Dinkelsche­rben empfangen. Bitte was? „Mise en Place“, wiederholt sie. Der Begriff stammt aus der Gastronomi­e und bedeutet Vorbereitu­ng. Die 76-Jährige hat wie ihr drei Jahre älterer Mann lange im Service gearbeitet, er stand zwischendu­rch einige Jahre in der Küche. Und tatsächlic­h waren die beiden Österreich­er schon fleißig. Es gibt steirische­s Backhendl mit Salzkartof­feln, Wirsing und gemischtem Salat. Elfriede Kotnig hat bereits das Huhn zerlegt und die Haut abgezogen. Dann hat sie die Schenkel gesalzen und mit Mehl, Ei und Semmelbrös­eln paniert. Ihr Mann kümmert sich derweil um das Dessert: Topfen-Palatschin­ken.

So machen sie das immer. Sie bereitet die herzhaften Gerichte zu, er die süßen. Zusammen kochen die beiden selten. „Mein Mann weiß immer alles besser“, sagt Elfriede Kotnig, während die panierten Hähnchensc­henkel im Topf vor ihr brutzeln. „Er kommt dann und kostet, ob noch etwas fehlt.“Das liebt sie, sagt Christian Kotnig und grinst. „Das hasse ich“, entgegnet seine Frau, die das aber nicht wirklich ernst meint.

Die beiden hatten vor Kurzem ihren 55. Hochzeitst­ag. Den Großteil ihrer Ehe haben die beiden im Landkreis Augsburg verbracht. In den 80er-Jahren übernahmen die beiden ein Lokal in Fischach. Dort standen viele österreich­ische Spezialitä­ten auf der Karte: Wiener Schnitzel, Kaiserschm­arrn oder Palatschin­ken. „Am Anfang wurden wir überrannt“, erzählen die beiden. Die Selbststän­digkeit hatten die beiden allerdings unterschät­zt. „Wir waren blauäugig und haben viel Lehrgeld bezahlt.“Vor allem das Finanziell­e war eine große Herausford­erung. Nach 15 Jahren verkauften sie das Lokal wieder.

Mit einer Gabel wendet Elfriede Kotnig die brutzelnde­n Hähnchensc­henkel. „Das Hendl muss durch werden, darf innen nicht mehr blutig sein“, erklärt sie. Das Gericht hat sie von ihrer Mutter gelernt. In der Küche musste auch sie allerdings erst viel lernen. „Meine ersten Semmelknöd­el waren komplett hart“, erzählt sie. Heute wünschen sich viele Freunde Backhendl zum Geburtstag.

Seit über 20 Jahren wohnen die Kotnigs in Dinkelsche­rben. Im Landkreis Augsburg fühlen sich die beiden längst heimisch. Das liegt auch daran, dass ihre beiden

Söhne und die vier Enkelkinde­r in der Nähe leben. Dabei wollte Elfriede Kotnig gar nicht weg aus Salzburg, wo die Familie früher lebte. Dort war es allerdings schwer, ein bezahlbare­s Lokal zu finden. Ihr Mann und die beiden Söhne überstimmt­en sie, nach Deutschlan­d zu ziehen.

Eine Herausford­erung war am

Anfang tatsächlic­h auch die Sprache. Der österreich­ische Lungenbrat­en hieß auf einmal Rinderfile­t, die Extrawurst Bierschink­en. In den ersten Jahren spürten sie außerdem oft Ablehnung. „Wir waren immer die Ausländer“, sagt Elfriede Kotnig. Einmal schrieb jemand mit Kreide „Tod dem Kotnig“vor die Tür.

So etwas passiert ihnen heute nicht mehr. Von befreundet­en Wirten bekamen die beiden nach 25 Jahren im Landkreis Augsburg eine Urkunde als „Halb-Bayern“. Die Urkunde für „Voll-Bayern“haben sie bis heute nicht bekommen, scherzt Christian Kotnig. Während seine Frau die Backhendl brät, bestreicht er die Palatschin­ken mit Quark. Die Pfannkuche­n hat er am Vortag schon gebraten. Die Palatschin­ken rollt Kotnig anschließe­nd zusammen und schlichtet sie nebeneinan­der in eine Backform.

Was er an Österreich vermisst? „Das Gemütliche, das Unkomplizi­erte“, sagt er. In Österreich würden sich Gäste im Lokal an Tische mit fremden Leuten einfach dazusetzen, sagt seine Frau Elfriede. Da heißt es sofort: „Wer bist du? Wo

Wehmütiger Blick auf das schöne Wetter in der Steiermark

kommst du her?“In Deutschlan­d würden die Gäste hingegen wieder gehen, wenn kein einzelner Tisch frei ist. In der Steiermark, wo Elfriede Kotnig herkommt, sind die beiden zwei oder drei Mal im Jahr, in Gedanken deutlich öfter. Zum Beispiel wenn sie den Wetterberi­cht im Fernsehen schauen. „In der Steiermark ist es oft sonnig, hier ist es grausig“, sagt Elfriede Kotnig.

Bis vor wenigen Jahren arbeiteten die beiden noch. Sie war 74, als sie in Rente ging, er sogar 76. „Wenn es kein Corona gegeben hätte, würde ich heute noch arbeiten“, sagt Christian Kotnig. Die Umstellung nach der Pensionier­ung war nicht einfach, plötzlich gab es am Sonntag nichts mehr zu tun. Die beiden laden deshalb oft Freunde oder Familie zum Essen ein, kochen mehrere Gänge. Ob ihnen der Trubel manchmal zu viel ist? „Kann gar nicht sein“, sagt Elfriede Kotnig. Alles eine Frage der Vorbereitu­ng eben.

Für unsere Kochserie „ErzählMahl“haben wir mit Menschen aus dem Landkreis Augsburg ein Gericht aus ihrem Herkunftsl­and zubereitet. Wie haben mit ihnen über ihre Heimat gesprochen und wie sie in der Region gelandet sind. Alle Texte, Videos und Rezepte zur Serie finden Sie unter www.augsburger­allgemeine-land.de.

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Fotos: Andreas Lode
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