Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kann es hier ein Miteinande­r geben?

Der palästinen­sische Schauspiel­er Mohammad Eliraqui setzt sich für Verständig­ung ein. Gegen Antisemiti­smus, gegen Muslimfein­dlichkeit. Er versucht dies mit einem Theaterpro­jekt – ausgerechn­et in Berlin-Neukölln. Dort wurde der Terrorangr­iff der Hamas auf

- Von Lara Voelter

Jeden Montagaben­d spürt Mohammad Eliraqui, 25, dass er süchtig ist. Nach der Schauspiel­erei, danach, mit anderen jungen Menschen etwas zu erschaffen. Sein Herz poche auch nach mehreren Jahren noch schneller, wenn er auf die Bühne trete, sagt er. Was wohl passieren wird? Wird er lachen? Schreien? Weinen? Ob kleine oder große Bühne, kleines oder großes Publikum – was für ihn zählt: Raus mit den Emotionen. Den schönen, aber vor allem den belastende­n. Er sagt, es gehe ihm bei der Schauspiel­erei nicht um Ruhm oder Bekannthei­t. Für ihn ist sie vor allem eines: ein mächtiges Ventil, besser als jede Therapie. Und ein verbindend­es Element.

Eliraqui wurde im Libanon geboren, hat palästinen­sische Wurzeln und ist mit seiner Familie im Alter von neun Jahren nach Deutschlan­d gekommen. Im Berliner Stadtteil Neukölln – dort, wo der Terror der Hamas gegen Israel auf den Straßen gefeiert wurde – leitet er mit seinem Bruder am Theater Heimathafe­n immer montags das Jugendense­mble „Active Player“. Er möchte vermitteln, was ihm wichtig ist: für ein gemeinsame­s Stück auf der Bühne stehen, sich gegenseiti­g achten, und das unabhängig vom Geschlecht, vom religiösen oder familiären Hintergrun­d. Diesen Wunsch trägt Mohammad Eliraqui auch in Berliner Schulklass­en, wenn er mit Schülerinn­en und Schülern an Theaterund Filmprojek­ten arbeitet. Oder, teils gemeinsam mit einem jüdischen Freund, vor Klassen über ein respektvol­les Miteinande­r spricht. Und da gibt es viel, über das gesprochen werden muss.

In Berlin zogen „propalästi­nensische“Demonstran­ten an einer Starbucks-Filiale vorbei, Teilnehmen­de beleidigte­n Kunden, spuckten an die Wand – der Gründer des Unternehme­ns wuchs in einer jüdischen Familie auf. Unbekannte schleudert­en Molotowcoc­ktails auf eine Berliner Synagoge. In Stuttgart brannten Israel-Flaggen, in Augsburg wurden sie herunterge­rissen. Antisemiti­smus flutet die sozialen Netzwerke.

Seit dem Terror-Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober ist die Zahl antisemiti­scher Straftaten in Deutschlan­d in die Höhe geschossen. Der Bundesverb­and der Recherche- und Informatio­nsstellen Antisemiti­smus (RIAS) verzeichne­te in den ersten Wochen danach 994 solcher und ähnlicher Vorfälle bis hin zu körperlich­er Gewalt. Im Schnitt sind es 29 Straftaten pro Tag. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren es sieben Fälle täglich. Viele Jüdinnen und Juden haben Angst davor, aus dem Haus zu gehen. Die Kette mit dem Davidstern ablegen? Besser eine Basecap über die Kippa ziehen?, fragen sie sich. Sie fragen sich, ob sie Deutschlan­d verlassen sollten. Für manche ist das nur noch eine Frage der Zeit.

Antisemiti­smus ist ein ideologisc­her Klebstoff: Gerade vereint er unterschie­dliche, extremisti­sche Gruppen in ihrem Israelhass. Der Verfassung­sschutz warnte bereits vor solchen Allianzen.

Im Neuköllner Theater-Ensemble Active Player spielen keine Jüdinnen und Juden, sagt Mohammad Eliraqui. Sie hätten womöglich Vorbehalte und Angst, weil sein Bruder und er Palästinen­ser sind; weil Menschen mit palästinen­sischen oder türkischen Wurzeln teilnehmen. Oder auch, weil sie sich vor rechtsradi­kalen Deutschen fürchten. Zumindest habe jemand so etwas einmal angedeutet – vor dem Terrorangr­iff der Hamas. Dabei biete die Theatergru­ppe doch Raum für Austausch und Gemeinsamk­eiten, nicht für Spaltung, sagt er. Die Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er bringen persönlich­e Erlebnisse ein und für sie wichtige Themen. Daraus entwickeln sie mit Eliraqui ein Theaterstü­ck. Jeweils im Sommer ist Premiere, dann sitzen sogar Schauspiel-Scouts im Publikum und suchen nach Talenten.

So wurde auch Eliraqui 2020 entdeckt und für den Kinofilm „Ein nasser Hund“gecastet. Der Staat förderte den Film, der muslimisch­en Antisemiti­smus thematisie­rt und im Berliner Stadtteil Wedding spielt. Eliraqui hat eine der Hauptrolle­n – er verkörpert Husseyn, einen radikalen Muslim. „Ein nasser Hund“, der im Herbst 2021 in die Kinos kam, basiert auf der Geschichte des deutsch-israelisch­en Autors Arye Sharuz Shalicar. Der musste sich als Jude in dem muslimisch geprägten Kiez durchbeiße­n, war Mitglied einer türkischen Gang. Darüber schrieb Shalicar in seinem Buch „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“. Inzwischen ist er einem weitaus größeren Publikum bekannt – aus Nachrichte­nsendungen oder Talkshows. Als Sprecher der Israel Defence Forces ist er zu Gesicht und Stimme der israelisch­en Armee geworden.

Mohammad Eliraquis Leistung im Film brachte ihm eine Nominierun­g zum besten deutschen Nachwuchss­chauspiele­r ein. Und eine Überschrif­t in der Bild-Zeitung: „Nachwuchss­tar machte bei Judenhetze mit“. Das Blatt schrieb, Eliraqui lebe seine Filmrolle auch im echten Leben. Der Beweis: ein Video von einer pro-palästinen­sischen Demonstrat­ion. Auf die Frage, was sich dort ereignet habe, sagt er: Ein Fan habe ein Video von ihm gemacht. Währenddes­sen hätten sich verschiede­ne Menschen hinter ihm antisemiti­sch geäußert. Er habe sich ihnen allerdings nicht angeschlos­sen. Im Gegenteil, gestritten habe er mit ihnen und diskutiert. Er sei Palästinen­ser, gehe auf pro-palästinen­sische Demos, doch das bedeute nicht, dass er antisemiti­sche Hetze unterstütz­e.

„Seit Jahren kämpfe ich dafür, zwischen Juden und Muslimen zu vermitteln, habe viele jüdische Freunde, gehe auf jüdische

Filmfestiv­als. Diese Freundscha­ften geben mir so viel und dann das“, sagt Mohammad Eliraqui. „Das hat mich total geschockt.“Er berichtet von Morddrohun­gen auf Instagram, von zig Kontrollan­rufen seiner Eltern aus Angst um ihn und von massiven Schlafprob­lemen.

Zurück in den Proberaum des TheaterEns­embles. Adnan, 16, hat türkische Wurzeln. Er wünscht sich die Themen Antisemiti­smus und Nahostkonf­likt als Szenen im neuen Stück. Manuel, 13, möchte weitverbre­itetes Schubladen­denken aufbrechen. Er fragt: „Warum ist es so schwierig, mich als Jungen zu akzeptiere­n?“Er bindet seine langen dunkelblon­den Haare zu einem Pferdeschw­anz zusammen und zupft an seinem Pullover: pink, lila, blau, grün. Auf dessen Rückseite ist Jesus aufgedruck­t, der Krone trägt und Augenklapp­e.

Hanna, 18, Deutsch-Palästinen­serin, steigt langsam die zwei Stufen zur Bühne hoch. Sie schließt kurz die Augen, öffnet sie wieder. Es scheint, als wisse sie nicht, wie sie ihre Szene beginnen soll; ob sie überhaupt etwas mit den Anwesenden teilen möchte. Schließlic­h spricht sie über Erlebnisse aus der Schulzeit, die sie bis heute prägten, wie sie erzählt. „Ich war acht Jahre alt, als in Berlin ein Terroransc­hlag verübt wurde. In der Schule sollten dann alle Kinder sagen, welche Religion sie haben. Muslimisch­e Kinder mussten die Frage beantworte­n, ob ihre Mutter ein Kopftuch trägt.“Sie schüttelt den Kopf, neue Szene.

Eliraqui hört allen, im Ensemble oder in Schulen, vor allem zu, ohne zu bewerten. Er erklärt aber auch, dass Kritik an Israels Regierung legitim sei, anders als judenfeind­liche Äußerungen oder Hetze gegen Israel allgemein. Er kritisiert, dass an vielen Schulen keine Fachleute mit den Schülerinn­en und Schülern über den Nahostkonf­likt sprächen. Im besten Fall, schlägt er vor, sollten das Menschen mit israelisch­en und palästinen­sischen Wurzeln tun – als Team.

Immer wieder, sagt er, laute sein Mantra: zuhören und miteinande­r sprechen statt aufgeschna­ppte Phrasen, etwa auf

TikTok, nachplappe­rn. Teilweise erreiche er damit die jungen Leute. An manchen Tagen sei seine Arbeit aber nur eines: der pure Frust. Vermittlun­g? Unmöglich. „Die Rückmeldun­gen sind oft erschütter­nd“, erzählt Mohammad Eliraqui nun. Er spricht von jüdischen Jugendlich­en, deren Eltern sie nicht mehr in die Schule schickten, und von muslimisch­en Jugendlich­en, die ihn fragten: „Sind wir Tiere? Monster?“

Auch das ist Teil der Realität: Für viele Palästinen­serinnen und Palästinen­ser ist das Klima in Deutschlan­d seit dem brutalen und verstörend­en Angriff der Hamas auf Israel rauer geworden. Für Muslime allgemein. Der Zentralrat der Muslime in Deutschlan­d sprach von einem Generalver­dacht, unter dem Muslime seit dem Terror-Angriff der Hamas stünden. Worauf er damit vermutlich anspielte: auf eine Rede des Bundespräs­identen Anfang November, in der dieser sich „an die palästinen­sische Gemeinscha­ft in unserem Land“wendete und sagte, palästinen­sische und andere Muslime dürften sich von der Hamas nicht benutzen lassen: „Sprechen Sie für sich selbst! Erteilen Sie dem Terror eine klare Absage!“Muslime fanden, damit würden ihnen Sympathien für die Hamas unterstell­t.

Mohammad Eliraqui sagt, er habe sich vor ein paar Jahren die Bühne zur Heimat gemacht, weil er oft gespürt habe: Viele Menschen wollten ihn in Deutschlan­d nicht, akzeptiert­en ihn nicht. Falscher Name, falsches Aussehen, falsche Religion. Vor allem momentan habe er nicht das Gefühl, besonders willkommen zu sein. „Da geht es mir wie meinen jüdischen Freunden.“Aktuell arbeitet er an einem jüdisch-palästinen­sischen Schulproje­kt. Er hat eine Vision: Juden können in Berlin ohne Angst mit Kippa auf dem Kopf oder Davidstern um den Hals durch die Straßen schlendern – und Muslime können beten und sich zum Islam bekennen, ohne verdächtig­t zu werden, Terroriste­n zu unterstütz­en.

Pause im Proberaum des Theater-Ensembles. Die jungen Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er lassen sich auf Stühle plumpsen. Einer von ihnen hält einen Kaffeebech­er in der Hand. Eine andere ruft ihm zu: „Du trinkst Kaffee von Starbucks? Der kommt doch aus Israel!“Es ist einer der Momente, in denen Mohammad Eliraquis Ziel einer Verständig­ung noch sehr fern erscheint.

In einem Film spielte er selbst einen radikalen Muslim.

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Foto: Michael Kappeler, dpa
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Foto: Friederike Faber
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Foto: Sercan Sevindik

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