Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Verfassung­szweifel an neuem Haushalt

Der Haushaltse­ntwurf für das laufende Jahr soll bereits nächste Woche in die Bereinigun­gssitzung des Bundestags gehen. Experten machen jedoch jetzt schon rechtliche Bedenken geltend.

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Von Christian Grimm und Stefan Lange

Im endlosen Ampelstrei­t über den Bundesetat 2024 hat der Haushaltsa­usschuss noch mal klargestel­lt, wer am Ende das Sagen hat: „Ohne Zustimmung des Deutschen Bundestage­s erhält die Bundesregi­erung keinen Cent aus der Staatskass­e.“Die deutliche Formulieru­ng scheint notwendig in Zeiten, in denen SPD, Grüne und FDP den Eindruck erwecken, sie – und nicht das Parlament – hätten die Budgethohe­it. Nach aktueller Planung soll bereits am Donnerstag kommender Woche die sogenannte Bereinigun­gssitzung stattfinde­n, die finale Beratung ist ab dem 29. Januar geplant. Viel Zeit bleibt der Regierung von Olaf Scholz also nicht mehr, um den Parlamenta­riern geordnete Vorschläge zu unterbreit­en. Doch die Ampel ist im internen Zwist verheddert, Sachverstä­ndige machen Druck von außen: Wirklich verfassung­skonform scheint der Haushalt 2024 nicht zu sein.

Nachdem das Bundesverf­assungsger­icht den Nachtragsh­aushalt 2021 gekippt und damit neue Leitplanke­n für die Finanzplan­ungen der Folgejahre aufgestell­t hatte, sieht sich die Regierung zu verstärkte­n Einsparung­en einerseits und Einnahmeer­höhungen anderersei­ts gezwungen. So wird die Luftverkeh­rssteuer angehoben, für 2024 soll das 445 Millionen, danach jährlich 580 Millionen Euro bringen. Diese Steuererhö­hung wird, das räumt die Koalition ein, wohl an die Verbrauche­r weitergege­ben.

Potenzial sieht die Ampel unter anderem im Bereich des Bürgergeld­es. Rund 170 Millionen Euro will sie zum Beispiel einsparen, indem Bürgergeld­empfängern bei „nachhaltig­er Verweigeru­ng der Aufnahme zumutbarer Arbeit“Leistungen entzogen werden. Bei der arbeitende­n Bevölkerun­g kommt das gut an. Es zeigt sich hier aber am Detail, wie schwer die Umsetzung des Haushaltse­ntwurfes insgesamt werden dürfte.

So weist Alexander Thiele von der BSP Business and Law School in Berlin darauf hin, dass das Bundesverf­assungsger­icht die „theoretisc­he Zulässigke­it einer solchen Sanktion“2019 in einem Urteil zwar festgestel­lt, sie aber zugleich „an überaus enge Voraussetz­ungen geknüpft“habe. Den strengen Anforderun­gen aus Karlsruhe werde die Ampelfassu­ng nicht gerecht, heißt es weiter. Mit anderen

Worten: Die Regierung muss, sollte es keine Änderungen geben, mit einer Klage gegen den 2024er-Haushalt rechnen.

Wie Thiele machen auch andere Sachverstä­ndige verfassung­srechtlich­e Zweifel geltend, es geht dabei längst nicht nur ums Bürgergeld. Die Kritik richtet sich etwa gegen die Verwendung der Mittel aus dem Sonderverm­ögen „Bundeswehr“, den Notlagenfe­ststellung­sbeschluss für die AhrtalFlut­folgen und weitere grundlegen­de Festlegung­en. Der Wirtschaft­sund Sozialwiss­enschaftle­r Thiess Büttner von der FriedrichA­lexander-Universitä­t kommt zu dem vernichten­den Schluss: „Insgesamt bleibt jedoch der Eindruck, dass die Bundesregi­erung weiter versucht, die Verschuldu­ng über die verfassung­smäßigen Schuldengr­enzen hinaus auszuweite­n.“

Der Chefhaushä­lter der UnionsFrak­tion, Christian Haase, teilt diesen Eindruck. Er spricht von einer „verfassung­swidrigen und verkorkste­n Haushaltsp­olitik“. Das von der Ampel so titulierte „Sparpaket“sei in Wahrheit ein „Belastungs­paket“, kritisiert Haase. Rund 17 Milliarden Euro müsse Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) einsparen, dazu leisteten die Ministerie­n nur einen Beitrag von 1,4 Milliarden, erklärte der CDUPolitik­er im Gespräch mit unserer

Redaktion. „Ansonsten agiert man mit Verschiebe­bahnhöfen, Hoffnungsw­erten und Einnahmeve­rbesserung­en durch Belastunge­n“, sagt Haase und nennt ein Beispiel: Die neuen Regelungen beim Bürgergeld sollen 250 Millionen Euro an Einsparung­en bringen, gleichzeit­ig kostet die aktuelle Erhöhung rund 2,5 Milliarden.

Grünen-Finanzpoli­tiker SvenChrist­ian Kindler deutete weiteren Beratungsb­edarf an. „Gerade die von der Regierung vorgeschla­genen Änderungen im Klima- und Transforma­tionsfonds müssen wir in ihrer Prioritäte­nsetzung noch bewerten“, sagte er unserer Redaktion.

Die Sozialdemo­kraten tragen nicht zur Beruhigung der Lage bei. Auf ihrer Klausurtag­ung will die SPD-Faktion eine Reform der Schuldenbr­emse beschließe­n. Die Forderung geht auf einen Beschluss des Parteitags vom Dezember zurück, sie hat keine Auswirkung­en auf den Haushalt 2024. Die Signalwirk­ung aber ist groß, denn zumindest die FDP will an der Schuldenbr­emse festhalten. Die Liberalen sind in einer Forsa-Umfrage für RTL und n-tv gerade auf vier Prozent abgerutsch­t und dürften kaum von einer ihrer Kernforder­ungen abweichen.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa

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