Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Fall der Wunderkind­er

Ob Kurz oder Benko – kaum eine Woche ohne neue Enthüllung­en. Woher kommt in Österreich die Bewunderun­g für scheinbar talentiert­e junge Männer, die rasch hoch aufsteigen und tief fallen?

- Von Werner Reisinger

Man könnte sie gut und gerne für Brüder halten, wäre da nicht der optische Unterschie­d: jung, immer bestens herausgepu­tzt, für die Kamera stets ein charmantes Lächeln bereit. Die Karrieren von Sebastian Kurz und René Benko haben aber vor allem eines gemeinsam: den rasanten Aufstieg wie den ebenso raschen, tiefen Fall.

Quasi aus dem Nichts hat Benko, nachdem er die Schule abgebroche­n hatte, sein Signa-Immobilien-Imperium aufgebaut, bald galt der Tiroler als „Selfmadema­n“, als Finanz-Genie, das alles, was es in die Hand nahm, zu Gold machte. Fast wie aus dem Nichts betrat einst auch Kurz die Bühne der Politik, im Alter von nicht einmal 25 Jahren bekleidete er 2011 den Posten des Integratio­nsstaatsse­kretärs, wurde dann Außenminis­ter und nach seinem fulminante­n Wahlsieg im Herbst 2017 schließlic­h der jüngste Bundeskanz­ler aller Zeiten.

Heute steht der eine vor den Trümmern seines Immobilien-Imperiums, von den Aberdutzen­den Subfirmen und Signa-Töchtern meldet eine nach der anderen Insolvenz an und für seine riesige Villa in Iglis bei Innsbruck, so berichtet der österreich­ische Standard, soll wegen Steuerschu­lden in Millionenh­öhe ein Pfandrecht eingetrage­n worden sein. Der andere, Kurz, steht wegen möglicher Falschauss­age vor Gericht – und im Zentrum eines der größten Korruption­sskandale, die Österreich je gesehen hat.

Dabei schien die Bewunderun­g für beide noch vor wenigen Jahren keine Grenzen zu kennen: Deutsche, österreich­ische, aber auch internatio­nale Medien überschlug­en sich in Lobeshymne­n. Vom „größten politische­n Talent seit Bruno Kreisky“war die Rede, wenn es um Kurz ging – und das keineswegs nur in den Boulevardm­edien. Nicht wenige Politiker von CDU und CSU sehnten sich nach einem deutschen Sebastian Kurz. Schließlic­h war man, nach vielen Jahren mit Angela Merkel, des Mitte-Kurses der Union überdrüssi­g.

Voller Neid blickte man in den Parteizent­ralen nach Wien und auf die Erfolgswel­le, die der junge, fesche Parteichef den straucheln­den Konservati­ven eingebrach­t hatte.

Während das Polit-Wunderkind Kurz auf dem Zenit stand, scharte Benko, das Immobilien-Wunderkind, die Spitzen aus Politik und Wirtschaft um sich. Alljährlic­h pilgerten nicht nur Vertreter der Wirtschaft und zahlungskr­äftige Investoren zu seinen „Törggelen“-Festen – ein Südtiroler Brauch –, sondern vor allem Prominenz aus allen Parteien. Für Ex-Politiker, wie den ehemaligen Bundeskanz­ler Alfred Gusenbauer, war das Netzwerken mit Benko recht lukrativ: Der Sozialdemo­krat saß bei Benkos Signa im Aufsichtsr­at, fungierte als Berater – und ließ sich das, wie aus Recherchen der Zeitschrif­t News hervorgeht, fürstlich bezahlen.

Ein Problem mit der heute als Pyramide beschriebe­nen Architektu­r des Signa-Imperiums hatte Gusenbauer nie. Sein stets stolz zur Schau gestelltes Engagement für Benko wird nun zum Problem für den neuen SPÖ-Chef Andreas Babler. In Teilen der linken Basis, auf die sich Babler stützt, wird der Ruf nach einem Parteiauss­chluss Gusenbauer­s lauter, ein entspreche­nder Antrag wurde von einer Wiener Parteisekt­ion bereits beschlosse­n – und soll bei nächster Gelegenhei­t dem Parteitag vorgelegt werden.

Wie Gusenbauer ist auch Kurz nun Gläubiger von Benko – der gescheiter­te Kanzler soll seinem

Freund noch 2022, als es um die Signa Sports United schon nicht mehr gut bestellt war, geholfen haben, in Abu Dhabi Investoren­gelder zu akquiriere­n. Mehr als eine Million Euro Beraterhon­orar soll Benko schuldig geblieben sein.

Wie kommt es, dass sich gerade in Österreich Skandale so häufen? Dass Korruption zwar allseits kritisiert wird, Konsequenz­en aber häufig ausblieben? Und woher kommt der Hang zu scheinbare­n Erlöserfig­uren aus der Politik?

Demonstrat­ive Nähe zwischen den politisch Mächtigen und mehr oder weniger dubiosen Macherfigu­ren hat in Österreich lange Tradition, schon in den 70er Jahren umgab sich der populäre SPÖKanzler Bruno Kreisky nicht nur mit Intellektu­ellen, sondern suchte auch die Nähe des später wegen Mordes verurteilt­en Unternehme­rs und Netzwerker­s Udo Proksch. Zu Beginn des nächsten Jahrtausen­ds sorgte der konservati­ve Kanzler Wolfgang Schüssel, der die von Jörg Haider geführte FPÖ in die Regierung holte, für einen fundamenta­len Personalwe­chsel. Haider, der sich mit einer „Buberlpart­ie“genannten Riege junger, „fescher“und unerfahren­er Quereinste­iger umgab, war ein gefundenes Fressen für die Boulevardz­eitungen, die seit jeher den Medienmark­t dominieren.

Zum Erfolg Haiders, quasi Erfinder des Rechtspopu­lismus österreich­ischer Prägung, trugen nicht nur die reichweite­nstarke Kronen Zeitung, sondern auch Qualitätsb­lätter bei. Zu verlockend war es mit Blick auf die Verkaufsza­hlen, Haider-Coverfotos abzudrucke­n. Besonders angetan hatte es der Krone, dem Lieblingsb­latt der Österreich­er, Finanzmini­ster Karl-Heinz Grasser – auch er war von Haider in die Politik geholt worden. Grasser sagte von sich selbst, er sei „zu schön, zu jung und zu intelligen­t“und würde deshalb den Zorn der „Neidgesell­schaft“auf sich ziehen.

Die Zivilgesel­lschaft in Österreich scheint seit jeher zu schwach zu sein, um Selbstdars­tellern und Blendern den Glanz zu nehmen. Während in den Nullerjahr­en noch Hunderttau­sende gegen die Schüssel-Haider-Regierung auf die Straße gegangen waren, ging die Koalitions­bildung von Sebastian Kurz mit Heinz-Christian Strache 2018 beinahe ohne öffentlich­e Aufregung über die Bühne.

Jung, rhetorisch bestens geschult, dafür aber ohne Erfahrung und mit einem enormen Zug zum Tor – die Parallelen zwischen der „Buberlpart­ie“der Haider-Schüssel-Jahre und der neuen Generation um Kurz und Benko sind augenschei­nlich. Übrigens endete auch der rasante Aufstieg des schillernd­en Finanzmini­sters Grasser, verheirate­t mit der Swarowski-Erbin Fiona Pacifico Griffini, im Desaster – und vor Gericht. Grasser wurde wegen Untreue zu acht Jahren Haft verurteilt. Er beteuert seine Unschuld – das Urteil ist bis heute nicht rechtskräf­tig.

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Foto: SKATA, Imago Stock&people Drei Männer im Zwielicht: die beiden österreich­ischen Altkanzler Alfred Gusenbauer (links) und Sebastian Kurz (rechts) mit dem gefallenen Immobilien­manager René Benko.

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