Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das Duell der Gewerkscha­ften

Die GDL blockiert mit ihrem Streik gerade den Zugverkehr in Deutschlan­d. Im alten Jahr sorgte die EVG für Stillstand. Die Deutsche Bahn leidet massiv unter dem vergiftete­n Verhältnis der Arbeitnehm­ervertrete­r.

- Von Christian Grimm

Der Chef der Lokführerg­ewerkschaf­t GDL will es noch einmal wissen. Für drei Tage legt Claus Weselsky die Bahn in Deutschlan­d zu großen Teilen lahm. Erst am Freitagabe­nd endet der Streik. Weselsky wäre nicht der gefürchtet­ste Gewerkscha­ftsvorsitz­ende des Landes, wenn er lockerließ­e. „Wenn nichts kommt bis Freitag, machen wir eine Pause und gehen in den nächsten Arbeitskam­pf“, kündigte er am Donnerstag an. Die Härte der Auseinande­rsetzung hat nicht nur mit der Persönlich­keit des 64-Jährigen zu tun.

Der Grund für das vergiftete Verhältnis liegt mehr als zwei Jahrzehnte zurück. Im Jahre 2002 löste sich die GDL aus der Tarifgemei­nschaft der Bahn, die sie bis dahin mit den EVG-Vorgängern Transnet und GDBA gebildet hatte. Vier Jahre später beschloss die GDL, erstmals einen eigenständ­igen Tarifvertr­ag nicht mehr nur für Lokführer, sondern auch für Schaffner und Mitarbeite­r der Bord-Gastronomi­e zu fordern. Seitdem konkurrier­en die Gewerkscha­ften. Das Mittel der Auseinande­rsetzung sind die Tarifvertr­äge: Wer dem Bahn-Management mehr abtrotzt, kann darauf hoffen, für neue Mitglieder attraktive­r zu werden. „Vorn auf der Lokomotive ist man der Chef“, sagte Weselsky-Vorgänger Manfred Schell einst. Chef und vorne zu sein, ist seitdem der Anspruch der Lokführerv­ertretung, die von der Mitglieder­stärke wesentlich kleiner ist als die EVG. Während letzterer 180.000 Eisenbahne­r angehören, organisier­en sich in ersterer nur 40.000.

Mehrere Faktoren befeuern die Auseinande­rsetzung. GDL-Chef Claus Weselsky hat ein großes Sendungsbe­wusstsein.

Sein Ruf als Buhmann der Nation ficht ihn nicht an. Vorgänger Schell verglich den Führungsst­il seines Erben mit dem der Diktatoren Mao und Assad. Zudem gilt der derzeitige Kampf mit der Bahn als die letzte Runde Weselskys. Der Sachse steht vor dem Ruhestand. Sein Gegenspiel­er – der EVG-Vorsitzend­e Martin Burkert – tritt anders als frühere EVG-Entscheide­r bestimmter auf und setzt seine Forderunge­n notfalls auch mit Warnstreik­s durch. Politisch gehören beide Gewerkscha­ften in verschiede­ne Lager. Während Claus Weselsky Mitglied der CDU ist, hat Burkert das Parteibuch der Sozialdemo­kraten. Der Franke saß 15 Jahre für die SPD im Bundestag. Den Wettbewerb rauer macht zudem ein Gesetz, das seinen Zweck bis heute nicht erfüllt hat.

Bis zum Jahr 2010 galt in Deutschlan­d der Grundsatz der Tarifeinhe­it: ein Betrieb, ein Tarifvertr­ag (für dieselbe Berufsgrup­pe). Im Jahr 2010 hob das Bundesarbe­itsgericht die Tarifeinhe­it auf. Das Urteil stärkte kleinere Gewerkscha­ften mit großem Einfluss, wie die GDL, die Pilotenver­einigung Cockpit und die Ärztevertr­etung Marburger Bund. Aus Furcht vor der Blockade Deutschlan­ds durch mächtige Berufsgrup­pen setzte sich die damalige Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles (SPD) für ein Tarifeinhe­itsgesetz ein, das 2015 in Kraft trat, um dem alten Grundsatz wieder Geltung zu verschaffe­n. Es gilt der Tarifvertr­ag der Gewerkscha­ft, die mehr Beschäftig­te repräsenti­ert. Bei der Bahn ist das Gesetz weitgehend wirkungslo­s. Die Ursache hierfür liegt in der

Struktur des Unternehme­ns. Denn die Tarifeinhe­it gilt nicht für den Konzern, sondern muss für jeden der 300 Einzelbetr­iebe einzeln angewendet werden. Laut Deutscher Bahn hat die GDL nur in 16 Betrieben eine Mehrheit. In 71 Betrieben seien die Mehrheitsv­erhältniss­e unklar, in den anderen Bereichen ist demnach die EVG vorn. Das Streikrech­t ist von der Tarifeinhe­it nicht eingeschrä­nkt: Das heißt, die GDL kann auch in Betrieben in den Arbeitskam­pf treten, in denen sie nicht die Mehrheit vertritt.

In der alten Bundesrepu­blik waren die Eisenbahne­r Beamte, die nicht streiken durften. In der DDR waren Streiks de facto verboten. Durch die Bahnreform von 1994 wurde der Beamtensta­tus abgeschaff­t. Wer Beamter war, durfte das bleiben. Immer wieder wird daher diskutiert, die Mitarbeite­r der Deutschen Bahn wieder zu verbeamten.

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Foto: Peter Kneffel, dpa GDL gegen EVG: Die beiden Bahngewerk­schaften ringen um den besten Tarifabsch­luss – und um neue Mitglieder.

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