Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Mit Wut beladen
Etwa 3000 Landwirte demonstrieren in Augsburg. Fast zwei Drittel der Bayern unterstützen deren Anliegen. Ein Augsburger Professor hingegen sieht große Parallelen zu den Aktionen der sogenannten „Klimakleber“.
Von Sandra Baumberger, Katharina Gsöll und Max Kramer
Das Zentrum der Bauernproteste hat sich am Mittwoch nach Augsburg verlagert. Es war seit Ende Dezember bereits die dritte Kundgebung von Landwirten in der Stadt – und mit Abstand die größte: Die Polizei zählte auf dem Plärrergelände am Rand der Innenstadt rund 3000 Teilnehmende, der Bayerische Bauernverband sprach von mehr als 4000. Schon in den frühen Morgenstunden rollten Traktoren aus ganz Schwaben an, Plakate an ihren Fronten verschriftlichten die große Wut auf die Ampelregierung. Im Lauf des Vormittags kam es zu Einschränkungen im Stadtverkehr. Laut Polizei kamen letztlich rund 2000 Fahrzeuge.
Inhaltlich wiederholten Rednerinnen und Redner aus Landwirtschaft und Handwerk bekannte Forderungen, etwa nach einer kompletten Rücknahme der Pläne, die Agrardieselvergütung zu streichen. Als Vertreter einer Ampelpartei stellte sich der FDP-Bundestagsabgeordnete Maximilian Funke-Kaiser
dem Publikum – und bekam wütende Pfiffe zu hören. Auch zahlreiche andere Politikerinnen und Politiker waren anwesend, darunter der CSU-Fraktionsvorsitzende Klaus Holetschek und Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (ebenfalls CSU). Sie traten aber nicht ans Rednerpult. Mit Sprechchören gefeiert wurde Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. Am Rand der Kundgebung sagte er unter anderem, er sei der Überzeugung, die Politik müsse „den Agrardiesel komplett steuerfrei stellen“, gleiches gelte für Biosprit.
Abseits der Demo kritisierte der Freie-Wähler-Chef Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der in einem Video vor einer Unterwanderung der Bauernproteste durch extreme Kräfte gewarnt und zum Schutz der Demokratie aufgerufen hatte. „Wenn Robert Habeck von Umsturzgefahren spricht, dann ist das eine völlig deplatzierte Polarisierung der politischen Debatte“, sagte Aiwanger. „Die leiden in Berlin ja mittlerweile unter Realitätsverlust. Wir erleben eine lebendige demokratische Auseinandersetzung, wo eine Bevölkerungsgruppe
auf berechtigte Anliegen hinweist. Das stärkt sogar die Demokratie.“
Fast zeitgleich zu Aiwangers Aussagen machte am Mittwoch die Nachricht die Runde, dass es bei der eskalierten Protestaktion gegen Habeck am Hafen von Schlüttsiel zu strafbaren Handlungen gekommen war. Vergangene Woche hatten sich Landwirte angeschickt, eine Fähre mit Habeck an Bord zu stürmen. Das sei „vollkommen unbestritten“, sagte die Leitende Oberstaatsanwältin. Mittlerweile seien fünf Strafanzeigen eingegangen, erste Versammlungsteilnehmer inzwischen identifiziert.
Für Bayern hatten Vertreter des Bauernverbands und auch Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) zuletzt immer wieder betont, dass die Demonstrationen ordnungsgemäß angemeldet seien. Das stimmt nicht immer, im
Unterallgäu etwa waren allein am Montag laut Polizei 66 von 73 Bauernprotesten nicht im Vorfeld angezeigt. Herrmann hatte es als „empörend und unanständig“bezeichnet, die Aktionen der Landwirte beispielsweise mit Blockaden der sogenannten „Klimakleber“zu vergleichen.
Professor Josef Franz Lindner vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Universität Augsburg bewertet das ganz anders. Er sieht rechtlich keinerlei Unterschied zwischen den unangemeldeten Straßenblockaden der Landwirte und den Blockaden der Klimaaktivisten der „Letzten Generation“. „Versammlungen müssen angemeldet werden. Das gilt sowohl für die Klimaaktionen als auch für die Landwirte“, erklärt Lindner auf Anfrage. „Wer Versammlungen durchführt, ohne sie vorher der Versammlungsbehörde angemeldet zu haben, handelt rechtswidrig – unabhängig von Thema und Motiv der Versammlung.“
Doch während die Klimakämpfer auf offene Feindseligkeit in großen Teilen der Bevölkerung stoßen, bleibt die Sympathie mit den Bäuerinnen und Bauern groß: 61
Prozent der Deutschen sprechen sich dafür aus, den geplanten Abbau von Vergünstigungen im Agrarsektor wieder zurückzunehmen. In Bayern sind fast zwei Drittel dieser Meinung. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für unsere Redaktion. Ein gutes Drittel der bundesweit Befragten sieht die Einschnitte weniger kritisch. Der Rest ist unentschlossen.
Während die Demo in Augsburg laut Polizei ohne Probleme verlief, kam es nach neuen Informationen unserer Redaktion am Montag in Kaufbeuren zu einem Zwischenfall. Dort hatten Traktoren Hilfskräfte der Johanniter behindert, die auf dem Weg zu einer gestürzten Seniorin waren.
Die Frau hatte in ihrem Haus den Hilfe-Knopf an ihrem NotfallArmband gedrückt. Erst nach einer Stunde, so berichtet es die Tochter der Rentnerin, seien die Pflegekräfte zum Haus durchgekommen. Sie waren in einem Wagen ohne Blaulicht unterwegs. Die Frau liegt jetzt mit geprellten und angebrochenen Rippen in einer Klinik. (mit klu, sari, dpa)
Hilfskräfte der Johanniter kommen nicht zu gestürzter Frau durch.