Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Erinnern an ein schreckliches Verbrechen
Vor 120 Jahren ermordeten deutsche Soldaten Zehntausende Menschen in Afrika. Nur wenige Leute wissen darüber Bescheid. Fachleute wollen das ändern.
Statuen, Gedenksteine und Tafeln gibt es an vielen Plätzen, in Straßen oder auch in Parks. Sie erinnern an bestimmte Menschen oder historische Ereignisse. So ein Gedenkstein steht auch auf einem Friedhof in der Hauptstadt Berlin. Er erzählt vom Aufstand der Bevölkerungsgruppe Ovaherero in Namibia. Damals hieß das Land noch Deutsch-Südwestafrika. Der Aufstand dort ist bereits 120 Jahre her. Doch über die Botschaft des Gedenksteins ärgern sich noch heutzutage zahlreiche Menschen.
Sicherlich fragst du dich nun: warum? Dafür musst du wissen: Im 19. Jahrhundert glaubten einige Länder in Europa, sie könnten andere Gegenden der Welt für sich beanspruchen. So teilten sie auch den Kontinent Afrika unter sich auf, und gründeten dort Kolonien. Damit sind Gebiete außerhalb eines Staates gemeint, die von dem Staat besetzt und ausgebeutet werden. Deutsche fuhren mit ihren
Schiffen unter anderem an die Küste des heutigen Namibias, und begannen, dort Siedlungen zu gründen.
Aber dort lebten längst Menschen, die zum Beispiel den Völkern
Ovaherero, Nama, Damarer und Owambo angehörten. „Die deutschen Siedler beuteten die Bevölkerung und ihre Rohstoffe aus, und raubten den Menschen ihr Land“, erklärt Matthias Henkel. Er ist Leiter eines Museums in Berlin. „Die Ovaherero und Nama waren damit natürlich nicht einverstanden. Sie fühlten sich zu Recht betrogen, und aus ihrer Heimat vertrieben.“Darum begannen sie im Januar 1904 einen Aufstand gegen die deutschen Besetzer.
Um die Deutschen zu schützen, schickte das Deutsche Reich Soldaten. „Der Kommandeur Lothar von Trotha erließ einen folgenschweren Befehl, alle Ovaherero umzubringen“, sagt Matthias Henkel. Daraufhin erschossen die deutschen Soldaten etwa 60.000 Menschen. Viele weitere ließen sie verdursten. Auch die Nama wurden von den Deutschen angegriffen, weitere mindestens 10.000 Menschen wurden dabei getötet. Heute nennt man das einen Völkermord.
Doch was hat diese Geschichte nun mit dem Gedenkstein und dem Ärger darüber zu tun? „Dieser Stein verschweigt den wesentlichen Teil der Wahrheit“, sagt der
Experte. „Denn die Inschrift erwähnt lediglich die sieben deutschen Soldaten, die bei dem Aufstand umkamen.“Die Zehntausenden getöteten Ovaherero und Nama erwähne der Stein gar nicht.
Dabei ist der Gedenkstein das einzige Denkmal in Berlin, das an die frühere deutsche Besetzung des heutigen Namibias erinnert. „Für mich ist dieser Gedenkstein ein Stein des Anstoßes“, sagt Matthias Henkel. „Er ist anstößig, weil er einem die Wahrheit verschweigt.“Zugleich sei er ein Anstoß dafür, sich genauer mit der Geschichte Deutschlands auseinanderzusetzen.
Um das zu tun, haben Matthias Henkel und die Künstlerin Isabel Tueumuna Katjavivi eine Ausstellung in Berlin geschaffen. Sie soll im Kulturstall, Schloss und Gutshof Britz, bis 21. Juli dazu beitragen, dass wir die Geschichte besser verstehen, auch wenn sie grausam ist. (Philipp Brandstädter, dpa)