Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die psychologi­sche Komponente der Bauernprot­este

Juli Zeh und Reinhard Kaiser-Mühlecker äußern sich medial zu den großen Demonstrat­ionen. Für beide ist klar, dass es dabei nicht nur ums Finanziell­e geht.

- Von Richard Mayr

Die geballten Proteste der Bauern in Deutschlan­d haben auch die Kulturteil­e in den Tageszeitu­ngen des Landes erreicht. Die Schriftste­llerin Juli Zeh und der österreich­ische Schriftste­ller Reinhard Kaiser-Mühlecker haben sich zu den Protesten geäußert und kommen beide zu ähnlichen Schlüssen, was die Bauern dazu bringt, vehement gegen die Abschaffun­g der Dieselsubv­ention und der KfzSteuere­rmäßigung protestier­en. Beide sagen, dass es nicht allein ums Geld, sondern um mehr geht.

Juli Zeh hat sich im Podcast des Nachrichte­nportals spiegel online mit Juan Moreno eine halbe Stunde über die Proteste der Bauern unterhalte­n. In ihren Romanen wie „Unterleute­n“und „Über Menschen“hat sie es immer wieder geschafft, den Blick auf gesellscha­ftliche Bereiche zu lenken, die in Romanen oft nicht zu finden sind. Und Zeh hat auch viel mit Landwirten gesprochen. Die Proteste könne sie nachvollzi­ehen. Kleinere Betriebe stecken oft in finanziell­en Schwierigk­eiten und sind auf die Subvention­en angewiesen. Das Finanziell­e ist also die eine Sache, um die es bei den Protesten geht. Aber es kommt etwas hinzu: „Sachlich und emotional ist das ein Beruf, wo einem von allen Seiten vors Schienbein getreten wird. Was du machst, machst du falsch“, sagt Zeh über die Bauern. Bei den Protesten stehen nach Zeh deshalb nicht nur die konkreten Kürzungen im Fokus. „Es geht nicht nur um den Agrardiese­l, es geht auch um das Ganze“.

Wer meint, diese emotionale Komponente des Protests mit ein paar warmen Worten einfangen zu können, löst das Problem nicht. „Das ist die Antwort der SPD in den letzten Jahren gewesen“, sagt Zeh. Die Leute auf Augenhöhe ansprechen und abholen, habe etwas von Infantilis­ierung, als ob man mit Kindern umgehe. „Eine Symbolpoli­tik, mit der man echte Maßnahmen durch warme Worte ersetzt.“Für den Fortgang der Proteste sieht sie zwei Szenarien, falls die Regierung bei ihrem Angebot einer Staffelung der Kürzung bleibt: eine Eskalation der Proteste, die sie für wenig wahrschein­lich hält. Die andere Möglichkei­t: „Man zieht sich frustriert in den Alltag zurück.“Dann allerdings gehen die Bauern mit einer Hypothek zurück nach Hause. Und dies könne sich dann später anderswo kanalisier­en.

In Österreich, wo die Bauern nicht demonstrie­ren, ist die Stimmungsl­age unter den Landwirten allerdings ähnlich. Der Schriftste­ller Reinhard Kaiser-Mühlecker, der selbst ausgebilde­ter Landwirt ist, führt seit einigen Jahren den Hof seiner Eltern. Im Interview mit der Süddeutsch­en Zeitung sagt er, dass Verzweiflu­ng die Stimmung unter den Bauern gut beschreibe. „Die Landwirtsc­haft fühlt sich überhaupt nicht mehr gesehen oder vertreten. Und wenn sie mal gesehen wird, wird sie oft nur gering geschätzt.“In erster Linie sieht er bei den Protesten in Deutschlan­d ebenfalls das psychologi­sche Element als Ursache stärker gewichtet als das finanziell­e. „Die Gräben zwischen den Landwirten, der Gesellscha­ft und der Politik werden immer größer.“

Und Kaiser-Mühlecker führt aus, dass sich auch der Klimawande­l bei den Landwirten negativ bemerkbar mache. Gleichzeit­ig gebe es völlig praxisfern­e Regulierun­gen. „In Deutschlan­d müssen die Landwirte laut einer neuen Regel kürzlich bis zu einem Stichtag einen Teil ihrer Fläche begrünt haben. Aber es hat die ganze Zeit geregnet, deshalb konnte niemand aussähen. Geändert wurden die Regeln trotzdem nicht.“Eine Lösung der Probleme sieht KaiserMühl­ecker in einer politische­n Idee, wie die Landwirtsc­haft in zehn oder zwanzig Jahren aussehen soll. Bauern würden langfristi­g investiere­n. „Aber die aktuelle Politik, die so sprunghaft und kopflos ist, sorgt in einem Maße für Frustratio­n, die nur rechten Protestpar­teien nutzt.“

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Foto: Sebastian Kahnert, dpa

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