Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Die psychologische Komponente der Bauernproteste
Juli Zeh und Reinhard Kaiser-Mühlecker äußern sich medial zu den großen Demonstrationen. Für beide ist klar, dass es dabei nicht nur ums Finanzielle geht.
Die geballten Proteste der Bauern in Deutschland haben auch die Kulturteile in den Tageszeitungen des Landes erreicht. Die Schriftstellerin Juli Zeh und der österreichische Schriftsteller Reinhard Kaiser-Mühlecker haben sich zu den Protesten geäußert und kommen beide zu ähnlichen Schlüssen, was die Bauern dazu bringt, vehement gegen die Abschaffung der Dieselsubvention und der KfzSteuerermäßigung protestieren. Beide sagen, dass es nicht allein ums Geld, sondern um mehr geht.
Juli Zeh hat sich im Podcast des Nachrichtenportals spiegel online mit Juan Moreno eine halbe Stunde über die Proteste der Bauern unterhalten. In ihren Romanen wie „Unterleuten“und „Über Menschen“hat sie es immer wieder geschafft, den Blick auf gesellschaftliche Bereiche zu lenken, die in Romanen oft nicht zu finden sind. Und Zeh hat auch viel mit Landwirten gesprochen. Die Proteste könne sie nachvollziehen. Kleinere Betriebe stecken oft in finanziellen Schwierigkeiten und sind auf die Subventionen angewiesen. Das Finanzielle ist also die eine Sache, um die es bei den Protesten geht. Aber es kommt etwas hinzu: „Sachlich und emotional ist das ein Beruf, wo einem von allen Seiten vors Schienbein getreten wird. Was du machst, machst du falsch“, sagt Zeh über die Bauern. Bei den Protesten stehen nach Zeh deshalb nicht nur die konkreten Kürzungen im Fokus. „Es geht nicht nur um den Agrardiesel, es geht auch um das Ganze“.
Wer meint, diese emotionale Komponente des Protests mit ein paar warmen Worten einfangen zu können, löst das Problem nicht. „Das ist die Antwort der SPD in den letzten Jahren gewesen“, sagt Zeh. Die Leute auf Augenhöhe ansprechen und abholen, habe etwas von Infantilisierung, als ob man mit Kindern umgehe. „Eine Symbolpolitik, mit der man echte Maßnahmen durch warme Worte ersetzt.“Für den Fortgang der Proteste sieht sie zwei Szenarien, falls die Regierung bei ihrem Angebot einer Staffelung der Kürzung bleibt: eine Eskalation der Proteste, die sie für wenig wahrscheinlich hält. Die andere Möglichkeit: „Man zieht sich frustriert in den Alltag zurück.“Dann allerdings gehen die Bauern mit einer Hypothek zurück nach Hause. Und dies könne sich dann später anderswo kanalisieren.
In Österreich, wo die Bauern nicht demonstrieren, ist die Stimmungslage unter den Landwirten allerdings ähnlich. Der Schriftsteller Reinhard Kaiser-Mühlecker, der selbst ausgebildeter Landwirt ist, führt seit einigen Jahren den Hof seiner Eltern. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagt er, dass Verzweiflung die Stimmung unter den Bauern gut beschreibe. „Die Landwirtschaft fühlt sich überhaupt nicht mehr gesehen oder vertreten. Und wenn sie mal gesehen wird, wird sie oft nur gering geschätzt.“In erster Linie sieht er bei den Protesten in Deutschland ebenfalls das psychologische Element als Ursache stärker gewichtet als das finanzielle. „Die Gräben zwischen den Landwirten, der Gesellschaft und der Politik werden immer größer.“
Und Kaiser-Mühlecker führt aus, dass sich auch der Klimawandel bei den Landwirten negativ bemerkbar mache. Gleichzeitig gebe es völlig praxisferne Regulierungen. „In Deutschland müssen die Landwirte laut einer neuen Regel kürzlich bis zu einem Stichtag einen Teil ihrer Fläche begrünt haben. Aber es hat die ganze Zeit geregnet, deshalb konnte niemand aussähen. Geändert wurden die Regeln trotzdem nicht.“Eine Lösung der Probleme sieht KaiserMühlecker in einer politischen Idee, wie die Landwirtschaft in zehn oder zwanzig Jahren aussehen soll. Bauern würden langfristig investieren. „Aber die aktuelle Politik, die so sprunghaft und kopflos ist, sorgt in einem Maße für Frustration, die nur rechten Protestparteien nutzt.“