Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Was nach der Kochserie im Kopf bleibt
In der Serie „Erzähl-Mahl“hat die Redaktion mit zehn Menschen aus dem Ausland gekocht, die hier eine neue Heimat gefunden haben. Ein Rückblick.
„Was gibt es wohl heute zu essen?“Diese Frage stellte sich die Redaktion, wenn es zu einem Kochtermin ging. „Erzähl-Mahl“nannte sich die Serie, bei der die beiden Redaktionsvolontäre Anna Mohl und Jonathan Lyne mit Menschen aus dem Ausland gekocht haben. Getroffen haben sie Menschen aus Österreich, der Ukraine, Tschechien, Afghanistan, der Türkei, England, Japan, Polen, Finnland und Georgien. Die Redaktion durfte in zehn Küchen hineinschauen und zehn spannende Persönlichkeiten kennenlernen, die sehr offen und über mehrere Stunden ihre Geschichte erzählten. Das ist im Gedächtnis geblieben.
1. Heimat ist ein vielschichtiger Begriff.
Manche verbinden ihn mit Essen, manche mit Kindheit. Viele mit ihren Kindern, mit ihren Lieben. Viele unserer Gastgeberinnen und Gastgeber bezeichnen den Landkreis als ihre Heimat. Trotzdem bleibt für sie ihr Geburtsland ein wichtiger Teil ihrer Identität. „In meiner Brust schlagen zwei Herzen“, sagte beispielsweise Regina Adam. Es bleibt die Erkenntnis: Heimat können mehrere Orte sein.
2. Aller Anfang ist schwer. Menschen aus dem Ausland lassen vieles hinter sich zurück. Es ist anstrengend, in einem fremden Land zu leben und vieles nicht zu verstehen. Wenn der Schulabschluss in Deutschland nicht anerkannt wird. Wenn einem mit Ablehnung begegnet wird. Wenn trotz Heimweh nicht heimgefahren werden kann, weil die Heimat zu weit weg ist oder weil dort Krieg oder politische Spannungen herrschen.
3. Viele haben den Landkreis als herzlich erlebt.
Fast alle sind gut aufgenommen worden. Die Vorurteile, die man Deutschen nachsagt – humorlos, unfreundlich, kühl – wurden vor Ort größtenteils entkräftet.
4. Viele hielt und hält die Liebe hier. Ob sie mit dem Partner nach Deutschland kamen oder hier jemanden trafen: In vielen Geschichten war es die Liebe, die die Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner in den Landkreis brachte. Sie trafen sich beim Tanzen,
im Restaurant, bei der Arbeit oder in der Nachbarschaft. Erst recht mit Kindern fühlten sich viele wirklich verwurzelt.
Integration geht durch Sprache. Dabei gilt: Übung macht den Meister. Nicht zu lange auf den „richtigen Moment“warten, nicht auf die perfekte Grammatik. „Dieser Punkt kommt nie“, sagte etwa die Finnin Ritva Schultheiss. Sich nicht nur mit Menschen aus dem Ausland umgeben. „Ich möchte deutsche Freunde finden“, sagte der Afghane Zaki Rahimi. Da sich eine Sprache nicht von selbst lernt, heißt das: Es braucht Eigeninitiative. An vielen Stellen müssen Kompromisse eingegangen werden.
5. Die Sprache ist wichtig. 6. Es gibt viele Gründe, dankbar zu sein.
Die Freiheit, Sicherheit, die gute Wirtschaft und der hohe Lebensstandard Deutschlands sind nicht selbstverständlich und für viele der Grund, ein Leben fernab der eigenen Heimat aufzubauen.
7. Essen und Heimat gehören zusammen.
Für viele ist das Essen ein wichtiger Bestandteil ihres Heimatgefühls. Vera Malyuzhkovych aus der Ukraine freute sich über die große Runde, die sich bei ihr zusammenfand, wie in ihrer alten Heimat. Regina Adam aus Polen ist das gemeinsame Essen ein Anliegen. Elfriede und Christian Kotnig aus Österreich vermissen es, dass man sich in Deutschland in Lokalen nicht einfach so dazusetzt. Bei Kadriye und Arif Diri aus der Türkei trudelt oft die ganze Verwandtschaft ein, um die guten Lahmacun zu essen. Bei Katsuko YabukiSchmid aus Japan ist die Teezeremonie wichtig, die feierlich gemeinsam begangen wird.
8. Bei der Gastfreundlichkeit können sich die Deutschen durchaus eine Scheibe abschneiden.
Allein die Bereitschaft, bei so einem Projekt mitzumachen, ist nicht selbstverständlich. Doch vielerorts wurde zusätzlich zum Essen noch ein Wein aus der Heimat geöffnet oder ein zuvor vorbereiteter Nachtisch hervorgezaubert. Man kam ins Gespräch über Bräuche – ob das die Karpfenschuppe im Geldbeutel ist, die in Polen Glück bringt, oder der georgische Tischführer, der sich vor dem Essen einen Spruch ausdenkt. Die angehenden Redakteure bekamen sogar Ohrringe, Kürbisse und Origami geschenkt.
9. Gewürze sind wichtig. Zaki Rahimi wollte nicht auf Kurkuma verzichten, bei anderen war es der Dill, der nicht fehlen durfte. In Osteuropa wird gerne säuerlich gegessen. Viele Zutaten sind im Landkreis auch vorhanden, werden aber nicht oder anders genutzt. Wer hätte gewusst, dass man aus Kohlrabi Sauerkraut machen oder Sauerampfer einlegen kann? Dass sich Rosinen gut im Reis machen?
10. Es lässt sich so viel voneinander lernen. Ob über georgische Schrift oder japanische Bräuche. Aber auch Deutschland und der Landkreis konnten mit einigem punkten. Die Engländer Stephanie Montague und Zac Rowbotham schätzen die Kässpätzle und den Kuchen, Ritva Schultheiss die Saftschorle und Petra Wallner aus Tschechien die deutschen Schlager. Die Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner fanden die Serie allesamt super und hätten gerne beieinander probiert.