Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ein Biberbacher mit einem kreativen Schwung
Korbinian Nießner widmet sich der Kunst der Schönschrift. Doch der 34-Jährige, der freiberuflich tätig ist, sorgt sich um die Zukunft der Kalligrafie.
Korbinian Nießner beherrscht die Kunst der „Schönschrift“. Im Fachjargon wird diese Kunst als „Kalligrafie“bezeichnet. Sie folgt festen Regeln und sogar historischen Vorbildern und hat eine „schöne Spur“, erklärt der 34-Jährige aus Biberbach und grenzt diese Schriftform damit auch von der Handschrift ab, denn die Handschrift eines Menschen sei individuell geprägt. Doch Korbinian Nießner, der seine Werke aus dem Bereich der Kalligrafie, der Fotografie und des Kommunikationsdesigns freiberuflich anbietet, bangt auch um die Zukunft der Kalligrafie.
Gelehrt wird das Fach, das er selbst einst studiert hat und worin er seine Bachelor- und Masterarbeit angefertigt hat, heute nur noch selten. Und doch versucht der Absolvent der Hochschule Augsburg diese Form der Kunst zu erhalten bzw. für diese Form der Kunst insbesondere im Bereich der Bildungsarbeit eine Lanze zu brechen.
Korbinian Nießner hat bereits Kurse angeboten – nicht in erster Linie, um die Kunst der Kalligrafie weiterzugeben, sondern, um deutlich zu machen, wie wichtig die analoge Arbeit ist – auch und gerade in Zeiten der Digitalisierung. „Fürs Lernen ist die analoge Arbeit unersetzlich“, weiß der Kommunikationsdesigner. Defizite, die bereits in der Grundschule immer stärker zutage treten, führt Nießner auch darauf zurück, dass die digitale Technik im Alltag immer stärker wird und die analoge Arbeit zu verdrängen droht. In seiner Arbeit mit einer Gruppe von zwölf Kindern, die den Kalligrafen zu Beginn des Kurses eher an hüpfende Flummibälle erinnerten, zeigte sich jedoch, wie befriedigend die Arbeit mit den Händen für diese Kinder war. Und auch mit Erwachsenen habe er bereits erprobt, wie
es möglich sein kann, binnen eines Tages kalligrafische Werke zu produzieren.
Nießner kam zur Kalligrafie über Umwege. Beworben hat sich der Gestalter einst mit einer Mappe von Fotografien, obwohl er eigentlich hätte eine Auswahl seiner Fertigkeiten und Fähigkeiten zeigen sollen. „Ich habe viel gewagt, aber es hat funktioniert“, erklärt er rückblickend. In der Fachklasse Schrift, die nur noch marginal als gestalterische Disziplin wahrgenommen werde und heute in der
Typografie aufgeht, habe die Kalligrafie ihn gefunden. Im Wintersemester 2010 hat er sein Studium begonnen, acht Semester später schloss er dieses mit dem Bachelor ab. Vier Semester Masterstudium folgten. Bereits nach dem Grundstudium setzte Korbinian Nießner seinen Schwerpunkt auf die Kalligrafie und beschreibt – immer noch fasziniert von dieser Fachrichtung – welchen Einfluss die Bewegung darauf haben kann, wie etwas aufs Papier gebracht wird.
In seiner Masterarbeit ergründet
Nießner das alte Gestaltungsprinzip des Ornaments und verbindet es mit der freien Kalligrafie. Damit hievt er nicht nur eine alte Kunst ins Hier und Jetzt, sondern entwickelte sich auch selbst weiter: In seiner Bachelorarbeit ging es um die analog-digitale, künstlerisch-didaktische, abstrakte Kalligrafie; in seiner Masterarbeit erweitert er diesen Ansatz um Muster, Elemente und Ornamente im Bereich der systemischen, aber mitnichten symmetrischen Kalligrafie. Der Kommunikationsdesigner,
der ein Verfechter der Handarbeit ist, hat mit seiner Masterarbeit über abstrakte kalligrafische Ornamente ein Werk geschaffen, das von Handarbeit durchzogen ist und doch ein hochmodernes, digitales Werk darstellt: Organische Formen vereinen Kunst und Technik, Asymmetrien bringen Bewegung und Dynamik in jedes einzelne Werk.
Mit Blick auf seine Eltern, die Sozialpädagogen sind, und seine Brüder – einer ist Lehrer, einer ist Polizist – bezeichnet sich Korbinian
Nießner schmunzelnd als „schwarzes Schaf“der Familie, denn klassisch und strukturiert ist weder sein Arbeitsalltag noch seine künstlerische Passion für bewegende und bewegte Formen der Kalligrafie. Heute arbeitet der Schriftkünstler, der während seines Studiums bei der St. Gregor Kinder-, Jugend- und Familienhilfe gejobbt hat, im Dienstleistungssektor und bietet seine Werke in ganz unterschiedlichen Branchen an. Sowohl Steuerberater als auch Betreiber von Kosmetikstudios setzen auf die gestalterischen Arbeiten des Biberbachers.
Und auch wenn fernab des kreativen Schwungs, der sich durch die Arbeiten von Nießner zieht, vieles digital passiert, so hat der 34-Jährige doch auch eine Mission, und die liegt in der Verquickung der Kunst und der Bildung. Nießner will zeigen, wie wichtig das analoge Schaffen in einer digital geprägten Welt ist. Pionierarbeit leistete er bereits mit seiner Masterarbeit, denn bereits darin ist ein Entwurf eines didaktischen Konzepts enthalten. Der Einblick in die Kulturtechnik der Kalligrafie und des Ornaments seien im Zuge der praktischen Umsetzung nur eine Komponente. Die Schulung der Konzentrationsfähigkeit, der Wahrnehmung und des Transferdenkens wären weitere Ziele.