Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Bioladen kämpft sich aus finanzieller Not
„Natur Pur“in Wertingen hat wirtschaftliche Probleme. Es folgt ein Hilferuf an die Kundinnen und Kunden. Jetzt geht es langsam wieder bergauf.
Mit dem Öffnen der Tür klingelt es, und die Welt, die man gerade betreten hat, scheint eine heile zu sein. Und eine verwinkelte. Hier eine Stufe, dort ein schmaler Durchgang, und neben der Kasse geht es noch mal ums Eck. Obst und Gemüse, Käse und Wurst, Aufstriche, Kosmetik und der Duft nach Tee. Das ist der Bioladen „Natur Pur“in der Wertinger Innenstadt, der seit 2015 besteht. Und der in finanzielle Nöte geraten ist. Hinter der Kasse steht an diesem Tag Marga Feistle. Rot-weiß gestreifte Bluse, freundliches Lächeln. Sie unterstützt ihre Tochter und Ladeninhaberin Cecilia Feistle, wo es nur geht. Bei einer Tasse Kaffee im Bistro des Bioladens erzählt sie, wie es um das Geschäft steht und welche Idee neuen Aufschwung gebracht hat.
„Am Anfang von Corona war noch alles gut“, erinnert sich Marga Feistle. Die Menschen konnten nicht in den Urlaub fahren und nicht in Restaurants gehen, und so gaben viele ihr Geld für Bioprodukte aus. Das sorgte für stabile Umsätze auch im Natur Pur. Doch die Pandemie zog sich, es folgte der Krieg in der Ukraine und damit höhere Kosten fürs Heizen, für Sprit und Lebensmittel. „Es gehört zur Mentalität der Deutschen, dass als Erstes am Essen gespart wird“, sagt Marga Feistle. „Das ist nachvollziehbar, aber für uns schwer auszuhalten.“Die Folge für den Wertinger Bioladen war bis zu 20 Prozent weniger Umsatz. Im Frühsommer 2023 war dann klar: „Jetzt geht’s ans Eingemachte.“Die Situation besserte sich nicht, und die beiden Frauen erkannten: Finden sie jetzt keine Lösung, können sie den Laden möglicherweise nur noch bis Ende des Jahres halten. „Alle Reserven waren aufgebraucht“, so Marga Feistle.
Den rettenden Vorschlag brachte ein Kunde, dem sie von ihren Schwierigkeiten erzählten. Er schlug vor, seinen Jahresbedarf an Einkäufen vorab zu bezahlen, um einen finanziellen Puffer zu schaffen – was er dann auch tat. Und Cecilia und Marga Feistle auf die Idee brachte, einen Flyer aufzusetzen. Auf der Vorderseite stand in großen Buchstaben: „Wir brauchen Euch! Jetzt!“Darin klärten sie die Kundinnen und Kunden offen und ehrlich über ihre wirtschaftliche Situation auf und baten um Unterstützung – zum Beispiel, in dem sie im Bekanntenkreis für den Bioladen werben oder selbst mehr einkaufen.
Oder eben, indem sie einen beliebigen Betrag im Voraus zahlen, damit das Geschäft liquide bleibt. „Denn wenn heute eine Lieferung kommt, muss die morgen bezahlt werden“, erklärt Marga Feistle. Das könne eng werden, wenn die Ware
noch gar nicht weiterverkauft sei. Jetzt kann man im Natur Pur also „Anschreiben wie früher im Kramladen“. Als die Feistles den Kundinnen und Kunden die Flyer in die Hand drückten und aufklärten, „war der Schrecken groß“, so Marga Feistle.
Der Bioladen in Wertingen wird geschätzt, längst hat sich eine Stammkundschaft aufgebaut. Denn da sei etwa das, eigenen Angaben zufolge, größte UnverpacktSortiment im Landkreis. Und der Service: Anders als in großen Supermärkten haben die Menschen
im Bioladen mit den Verkäuferinnen Ansprechpartnerinnen, die beraten, helfen oder auch einfach mal plaudern. Senioren oder Alleinstehende freuen sich, dass eine einzelne Tomate, Zwiebel oder Orange gekauft werden kann und sie nicht zur großen Packung greifen müssen. Und wenn ein Kunde ein spezielles Produkt sucht und es dieses im Laden bislang nicht gibt, dann nimmt Cecilia Feistle es nach Möglichkeit fest im Sortiment auf.
Die Botschaft, die die Feistles vermitteln wollten: „Zusammen können wir es schaffen.“Ihre Ehrlichkeit
kam bei den Kundinnen und Kunden gut an. Der Aufruf rüttelte wach und war erfolgreich. Zehn bis 15 Kunden ließen sich Warengutscheine ausschreiben, überschlägt Marga Feistle grob. Inzwischen haben einige ihr Guthaben sogar verlängert. Und auch einige neue Bio-Käuferinnen und -Käufer konnte das kleine Geschäft gewinnen. Zum einen, weil sie vom Aufruf gehört hatten und zum anderen, weil viele Menschen neu nach Wertingen ziehen „und sich freuen, wenn sie unseren Bioladen entdecken.“Daneben erhielt Natur Pur auch Aufmerksamkeit durch eine Bio-Brotbox-Aktion für Erstklässlerinnen und Erstklässler in Wertingen und Unterstützung von Bürgermeister Willy Lehmeier, der die Wirtschaftssenioren zur Beratung in den Bioladen schickte.
Hinter ihrer inzwischen leeren Kaffeetasse sitzend fasst Marga Feistle voll Zuversicht zusammen: „Der Rückschritt ist gestoppt.“Ganz langsam blicke man nun „in Richtung positive Aussichten“und einen Umsatzzuwachs. Einige Monate werde man wohl noch brauchen, um zu sehen, ob die Entwicklung so weitergeht. Die Sorgen und die Anspannung seien nicht spurlos an den Feistle-Frauen und den beiden Mitarbeiterinnen vorbeigegangen. „Aber Geduld und Durchhaltevermögen helfen, neue Energie zu schöpfen“, ist sich Marga Feistle sicher.