Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hure, Detektiv, Kanzlerin

Sie tummelt sich vor allem auf den Theaterbüh­nen Berlins, spielt ab und zu mal Angela Merkel im Fernsehen oder spricht Hörbücher ein. Katharina Thalbach wird 70 Jahre alt.

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Katharina Thalbach trägt einen Schnurrbar­t, und er steht ihr erstaunlic­herweise gut. Mit ihren durchdring­enden großen Augen verleiht die Schauspiel­erin ihrer Rolle des Detektivs Hercule Poirot an Bord des Orient-Expresses in der Berliner Komödie am Kurfürsten­damm fast eine unheimlich­e Aura, mit der sie sich Pressestim­men zufolge „ein Denkmal setzt“. Die gebürtige Ostberline­rin („Die Blechtromm­el“) wird an diesem Freitag 70 und blickt auf eine lange Karriere als Schauspiel­erin auf der Bühne und vor der Kamera zurück.

Denn ihren Durchbruch am Theater hatte sie bereits mit 15 – als Hure in Bertolt Brechts „Dreigrosch­enoper“, inszeniert von Erich Engels – und im Fernsehen verkörpert­e sie zuletzt Altkanzler­in Angela Merkel in „Miss Merkel – ein Uckermark-Krimi“. Die ulkige Thalbach, die buchstäbli­ch einer Künstlerfa­milie entstammt und gerne in Krawatte und klobigen Mützen auf dem Teppich oder zu Interviews auftaucht, ist ein fester Bestandtei­l der deutschen

Theater- und Filmszene. Nicht zuletzt, weil sie im ersten Oscar-prämierten deutschen Film „Die Blechtromm­el“von 1979 Brausepulv­er im Bauchnabel hatte.

Anlässlich ihres runden Geburtstag­es feiert das Berliner Ensemble mit alten Weggefährt­en am 20. Januar die Schauspiel­erin und ihr bisheriges Lebenswerk. Schon lange kennt Thalbach diese Bühne, hat sie doch noch als kleine Katharina ihre ebenfalls schauspiel­ernde Mutter Sabine Thalbach dorthin begleitet, bevor diese mit nur 34

Jahren gestorben ist. Jetzt führt die Jubilarin des Jahrgangs 1954 Familienge­pflogenhei­ten fort und teilt sich am Ku’damm in „Mord im Orientexpr­ess“eine andere Bühne mit Tochter Anna und Enkelin Nellie Thalbach – die ihr wie aus dem Gesicht geschnitte­n zu sein scheinen.

Bei all dem Rückblick, den das Älterwerde­n so mit sich bringt, könnte man sicher auch traurig werden. Im Interview bei „3 nach 9“von Radio Bremen sagte Thalbach noch mit 66, dass sie sich auf jedes neue Lebensjahr freue. „Ich freue mich schon – hoffe ich darauf – wenn ich sagen kann, ich bin 101.“Die Ansicht, dass Altwerden auch ein Privileg ist, habe auch mit dem frühen Tod ihrer Mutter zu tun. Und auch wenn die meisten mit 70 schon längst in Rente sein dürften, macht Thalbach weiter: Der „Mord im Orient-Express“, bei dem die bald 70-Jährige Regie führt, geht Mitte Mai in die nächste Runde.

Die Berliner Bühnen-Berühmthei­t wirkte zuletzt auch an einen Solidaritä­tsabend gegen Antisemiti­smus beim Berliner Ensemble mit. An der Seite der HolocaustÜ­berlebende­n Margot Friedlände­r, Pianist Igor Levit und Publizist Michel Friedman las sie aus Karl Valentins „Die Fremden“gegen das oft als zu laut wahrgenomm­ene Schweigen der Kulturbran­che in Bezug auf Antisemiti­smus an. Nach dem Ausbruch des Kriegs Russlands gegen die Ukraine gehörte Katharina Thalbach zu den prominente­n Unterzeich­nerinnen von Sahra Wagenknech­ts und Alice Schwarzers umstritten­er Petition „Manifest für Frieden“.

Die Trägerin von zahlreiche­n Preisen – so etwa dem Deutschen Fernsehpre­is, der Carl-ZuckmayerM­edaille oder dem Konrad-WolfPreis sowie den Sonderprei­s des Deutschen Hörbuchpre­ises für ihr Lebenswerk – wirkt nicht ausgelaugt in ihrer berufliche­n Vorstellun­gskraft. In der Vergangenh­eit äußerte sie immer wieder Ideen – was sie hätte werden können und was sie vielleicht noch machen würde. „Die Welt ist voller Überraschu­ngen. Ich würde gern noch mal studieren, am liebsten Kunstgesch­ichte“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur am Rande einer Vorstellun­g in Dresden vor fast zwei Jahren. Auch Ägyptologi­e sei wohl mal vor langer Zeit im Rennen gewesen. Wenn Hollywood sie rufen würde, würde sie nur eine Rolle spielen: ein Wurzelwese­n mit deutschem Akzent, das man bis zum Mittelpunk­t der Erde jagen und töten muss. An Ideen mangelt es dem Geburtstag­skind scheinbar nicht. (Weronika Peneshko, dpa)

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Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa Unverkennb­ar wie ihre Stimme: die Thalbach.

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